Mitten in Fürstenried:Augen zu und durch

300 Jahre lang ging alles gut, niemand rüttelte an der für ganz Bayern wichtigen Sichtachse zwischen Schloss Fürstenried und der Frauenkirche. Dann schlug die Autobahndirektion Südbayern zu und spannte neue Wegweiser über Autobahn A95, und der Ärger ist groß

Von Jürgen Wolfram

Ein Blick sagt manchmal mehr als tausend Worte. Im Exerzitienhaus Schloss Fürstenried schauen sie derzeit verdrossen, wenn nicht finster drein. Den kirchlichen Schlossherren ist der Spaß vergangen, seit die Autobahndirektion Südbayern, ohne lang zu fragen, mit einer brückenartigen Konstruktion neue Wegweiser über die A 95 gespannt hat. Was die Behörde damit anrichtete, fasst Ernst Ziegler, Vorsitzender des Historischen Vereins Forstenried, so zusammen: "Durch die Eingriffe wurde eine der bedeutendsten, rund 300 Jahre alten Sichtachsen Bayerns verschandelt."

Offenbar reicht die Allgemeinbildung in Straßenbauämtern so weit nicht zurück. Drum hier zur Nachhilfe: Hofbaumeister Joseph Effner hat das einstige Jagdschloss Fürstenried bewusst so konzipiert, dass sich der Blick zwischen zwei Lindenalleen geradewegs auf die Türme der Frauenkirche richtet. Einen Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 1963 darf man durchaus so interpretieren, dass auch dem Münchner Rathaus die Sichtachse bis heute heilig sein sollte.

Vielleicht muss man Forstenrieder oder Fürstenrieder sein, um die Schwere des Frevels zu ermessen. Um, wie Ortsteilhistoriker Ziegler urteilt, in der neuen Beschilderung der Garmischer Autobahn einen "Akt der Barbarei" zu sehen, eine Beschädigung des kulturellen Erbes. Doch die Leitung des Exerzitienhauses mit ihrem Draht zu höheren Mächten findet längst auch in der nüchternen Welt der Politik Unterstützung für ihren Antrag, die profane Unterbrechung der Sichtachse rückgängig zu machen. "Was die Autobahndirektion sich da geleistet hat, ist nicht okay", konstatierte unlängst auch der Vorsitzende des örtlichen Bezirksausschusses Ludwig Weidinger (CSU).

Andererseits fühlt sich das Gremium nicht richtig zuständig für den Konflikt. Und hat nicht die Übersichtlichkeit auf der Garmischer Autobahn ebenfalls ihren Wert, in diesen Zeiten des Wachstums zumal, wo es mehr denn je auf eine intelligente Verkehrslenkung ankommt? Abgesehen davon: Mancher Fürstenrieder wäre schon froh, wenn er am Ende der grassierenden Nachverdichtung noch eine Blickbeziehung zur nächsten Straßenecke herstellen könnte. Da muss ihm eine durchgängige Sichtverbindung vom Stadtrand bis ins Zentrum zwangsläufig wie ein märchenhaftes Privileg erscheinen.

Ein Kompromiss im Schilderdrama ist noch nicht in Sicht. Die großformatigen Wegweiser an die Lindauer Autobahn umzupflanzen, ergibt wenig Sinn, und eine blickfeste Verlagerung oder Aufstockung von Schloss und Liebfrauendom verbietet sich von selbst. Der Erbauer des Fürstenrieder Baujuwels, Kurfürst Max Emanuel, wüsste vermutlich auch keinen Ausweg. Er soll am liebsten Kunstwerke und Mätressen in den Blick genommen haben. Verkehrstafeln haben ihn bei seinen Kutschfahrten zu diesen Zielen niemals irritiert.

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