Mitten im Olympiapark:Hauptsache klick

Die Wissenschaft ist um einen Reflex reicher - er tritt gerne im Kreise von München-Touristen auf: der Handy-Zück-Reflex

Von Nicole Graner

Wenn der Arzt mit einem kleinen Hämmerchen sanft auf das Knie schlägt, das Bein einen leichten Kick nach vorne macht, dann spricht man von einem Reflex. Auch dann - einem unbedingten -, wenn der Hund das Fresschen von Herrchen dermaßen lecker findet, dass er einfach ein bisschen sabbern muss. Naja, und dann gibt es ganz persönliche, selbst auserwählte Reize. Zum Beispiel, wenn man nach Feierabend - die Luft war tagsüber sehr trocken im Büro - keinesfalls den Blick auf das Weißbier des Nachbarn werfen darf. Denn dann muss man sofort selbst eins haben: so goldgelb, so hefig, so kühl. Mit einer Blume zum Verlieben. Bei Schokolade ist es ähnlich oder bei Chips zu Fußball-Spielen. Es geht nicht anders. Hast Du eins gegessen, musst du weiterfre. . . Chipsreflex.

Neu ist ein Reflex, den man beobachten kann, wenn man an der U-Bahn-Station "Olympiazentrum" in Richtung BMW-Welt aussteigt. Mit vielen internationalen Besuchern. Kaum sind sie an der Oberfläche, ruft das Ambiente beim Betreten des historischen Olympiapark-Bodens Entzücken hervor, und - Achtung, jetzt kommt der Reflex - sofort werden die Handys gezückt, sofort Bilder gemacht. Egal wie schön, egal ob vor der nicht sehr fotogenen Fahrrad-Station, dem maroden Busbahnhof oder einem Parkschild. Hauptsache Foto.

Ein junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig, kommt aus Hongkong. Er hat schon das Handy gezückt, da steht er noch auf der Rolltreppe. Man weiß ja nie! Kaum draußen, Fotoooooo! Das Bild vom Parkschild und der Straße kann einfach nicht schön sein. Warum er das Bild denn an dieser Stelle mache? "It's a wonderful moment!" But an awful picture. "Nein", sagt er, lächelt über das ganze Gesicht, schön sei das Bild nicht, aber es gehe um den ersten Moment des Wahrnehmens. Da knipse er immer. Aha.

Ein Reflexspray soll übrigens gegen Muskel- und Gelenkschmerzen helfen. Und an der Universität Bonn arbeiten Forscher an einer App, die einem diesen allgegenwärtigen Handyreflex wieder abgewöhnen soll. Und dann? Keine Fotos mehr? "Inconceivable", sagt der junge Chinese und lacht. "Können Sie ein Foto von mir machen?" Klar. Besser als Fahrradständer.

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