Mitreden:Volkes Wille

Workshop zur Entwicklung des "Planungsgebiets Nordost" im München Nordosten, 2015

Beim Workshop zu den geplanten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen rund um Johanneskirchen, Daglfing und Riem durften auch die Bürger mitreden.

(Foto: Catherina Hess)

Fast alle Parteien wollen die Bürgerbeteiligung in der Stadt ausbauen - ohne jedoch falsche Erwartungen zu wecken. Denn der Mitsprache sind klare Grenzen gesetzt

Von Dominik Hutter

So kann es natürlich auch ablaufen: Exakt 762 Leute sprechen sich im Internet für eine Verbannung des Zentralen Landwirtschaftsfestes von der Theresienwiese aus - der Oiden Wiesn zuliebe. Für Digital-Verhältnisse eigentlich eine kleine Zahl, andererseits haben Anträge aus offiziellen Bürgerversammlungen oft noch weniger Unterstützer. Die Online-Petition landet anschließend im Rathaus, Wirtschaftsreferent Josef Schmid empfiehlt die Ablehnung und der Stadtrat folgt ihm. Aus, vorbei. Aber der Bürger hat gesprochen.

Bürgerbeteiligung ist eine schwierige Sache. "Der Bürgerwille wird missachtet", lautet ein Standardsatz der Unzufriedenen - gerade so, als ob es diesen einen Bürgerwillen gäbe. Bei der Frage zum Beispiel, wie viel Freizeitnutzung im Naturschutzgebiet Fröttmaninger Heide erlaubt sein soll, prallten verschiedene Interessensgruppen aufeinander. Naturschützer versus Hundebesitzer. Wer vertritt nun den Bürgerwillen? Und ist es eine Missachtung der Bürger, wenn der Stadtrat sie zwar anhört, dann aber schlicht anderer Meinung ist? Undemokratisch ist das keineswegs, auch wenn das bei Bedarf immer wieder behauptet wird. Das Prinzip nennt sich repräsentative Demokratie und ist die Grundlage des politischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland.

Der angebliche Bürgerwille wird gerne von denen formuliert, die direkt betroffen sind

Dazu kommt noch das Problem, dass der angebliche Bürgerwille gerne nur von denen formuliert wird, die direkt betroffen sind. Oder denen, die es intensiver als andere in den Vordergrund drängt. Der großen Masse ist es entweder egal oder aber sie fühlt sich abgeschreckt, wenn die Aktivisten - wie nicht selten der Fall - in den kompromisslosen Schreihals-Modus wechseln. Das macht es leicht, Partikularinteressen durchzusetzen - was gewählte Politiker, die sich doch dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlen, tunlichst zu vermeiden versuchen.

Eine verbesserte Bürgerbeteiligung ist dennoch in höchstem Maße en vogue, kaum eine Partei kommt heute ohne einen entsprechenden Passus im Wahlprogramm aus. Man müsse in München mehr Demokratie wagen, erklärte kürzlich der grüne Rathaus-Fraktionschef Florian Roth, in Anlehnung an das berühmte Zitat von Willy Brandt. Dazu müsse eine Fachstelle gegründet werden, die geeignete Beteiligungsmodelle und Standards entwickelt. "Worte und Taten gehen weit auseinander", sagt Roth über das amtierende rot-schwarze Rathausbündnis, das sich in seinem Bündnispapier doch eigentlich zu mehr Bürgerbeteiligung in der Stadt verpflichtet hatte.

Bei den Mehrheitsfraktionen ist man sich keiner Schuld bewusst. SPD-Fraktionschef Alexander Reissl verweist auf die vielfältigen Beteiligungsmodelle, die die Stadt vor allem bei Bauprojekten und der Stadtplanung anwendet. Und auf die Schwierigkeit, den einen Bürgerwillen aus den vielen gegensätzlichen Positionen herauszufiltern. Beispiel Fröttmaninger Heide. Tatsächlich gibt es kaum einen Politiker, der nicht spezielle Erfahrungen mit unvereinbaren Widersprüchen vorzuweisen hat. Dazu zählen Bürgerversammlungen, die im Abstand von wenigen Minuten eine Einbahnregelung erst in die eine und dann in die entgegengesetzte Richtung beschließen. Legendär ist auch die Debatte um die Anwohnertiefgarage am Josephsplatz, die von den Anwohnern jahrelang vehement gefordert wurde. Um dann bei Baubeginn abgelehnt zu werden.

Auch Michael Kuffer verweist auf seine jahrelangen Bemühungen um mehr Bürgerbeteiligung. Der CSU-Fraktionsvize hat zusammen mit dem heutigen Bürgermeister Josef Schmid und in Kooperation mit diversen Bürgerinitiativen bereits Standards der Bürgerbeteiligung formuliert. Die inhaltlichen Fragestellungen müssten im Sinne eines Allgemeininteresses formuliert werden, steht etwa in dem 2014 fertiggestellten Katalog. Es dürfe nicht um reine Partikularinteressen gehen. Und: Den Bürgern dürfe keinesfalls ein Ermessensspielraum vorgegaukelt werden, den es gar nicht gibt. Falsche Erwartungen sorgen für Frust - und das sei der Fall, wenn nicht von vornherein feststeht, wo sich die roten Linien des Stadtrats befinden und wo die Rechtslage klare Grenzen setzt. Den Ermessensspielraum sollen die Bürger dann aber auch für sich nutzen dürfen.

Wobei die letztinstanzliche Entscheidung des Stadtrats außer Frage steht. Um auch das letzte Wort den Bürgern zu überlassen, gibt es den Bürger- sowie - auf Landesebene - den Volksentscheid. Bürgerbeteiligung bedeutet für die Akteure zunächst einmal nur die Formulierung von Bürgerinteressen. Einig sind sich die Initiativen und die Rathauspolitiker auch darin, dass ohne seriöse Informationen eine Bürgerbeteiligung sinnlos ist. Die Mechanismen des Internets, das mit seinen Suchalgorithmen allzu gerne nur zur Bestätigung schon vorhandener Meinungen genutzt wird, sind allseits bekannt.

Der Stadtrat beschäftigt sich inzwischen auch mit Online-Petitionen

Schon jetzt gibt es eine ganze Reihe von Beteiligungsmodellen, die in München angewandt werden. Dazu zählen neben den klassischen Bürger- und Einwohnerversammlungen die Vorsprache beim örtlichen Bezirksausschuss, Eingaben an den Oberbürgermeister oder die Teilnahme an seiner Bürgersprechstunde. Zusätzlich gibt es diverse Verfahren bei Bauprojekten - etwa das Bürgergutachten, bei dem durch eine ausgeklügelte Auswahl der Teilnehmer verhindert werden soll, dass nur die üblichen Verdächtigen sowie persönlich Betroffene zu Wort kommen. Auch Online-Petitionen finden inzwischen den Weg ins Rathaus. Allerdings wird dort nur diskutiert, wenn die Forderung überhaupt in den Entscheidungsspielraum des Stadtrats fällt. Zahlreiche Digital-Eingaben drehen sich um Fragen, die eigentlich der Bund, der Freistaat oder aber schlicht Privatpersonen entscheiden müssen. Forderungen wie "Lasst uns ein ukrainisches Restaurant gründen", die schon seit Ende 2014 auf "Openpetition.de" zu finden sind, eignen sich eher als Sammelpunkt für Unterstützer denn als echte Eingabe an den Stadtrat, der normalerweise nicht als Gastronomen-Kollektiv auftritt.

Ein etwas gewagteres Beteiligungsmodell ist der Bürgerhaushalt, für den sich der Stadtrat bereits grundsätzlich ausgesprochen hat. Allerdings nur in einer Light-Version auf Stadtviertelebene und bislang ohne konkrete Umsetzung. Die Grünen wollen die Idee, Bürger an der Erstellung des städtischen Haushalts zu beteiligen, unbedingt weiterentwickeln. Das jedoch lehnen SPD und CSU ab. Die komplizierten Zahlenreihen des Sechs-Milliarden-Etats seien nur für Profis geeignet.

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