Mindesthaltbarkeit:Was Supermärkte gegen die Verschwendung von Lebensmitteln tun

Pullach, AEZ, Kühlschrank mit abgelaufenen Lebensmitteln zum kostenlosen Mitnehmen,

Unter dem Slogan "Zu gut für die Tonne" verschenkt das AEZ Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abläuft.

(Foto: Angelika Bardehle)
  • Jährlich landen in Deutschland um die 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll.
  • Manche Supermärkte verkaufen die Ware, die bald abläuft, zu einem reduzierten Preis.
  • In den Amper-Einkaufszentren können Kunden die am Tag ablaufenden Lebensmittel umsonst mitnehmen.
  • Andere Supermärkte geben Lebensmittel, die bald ablaufen, an die Tafeln.

Von Pia Ratzesberger und Stefan Salger

Manche Supermärkte sichern ihren Müll in der Nacht. Die Tonnen sind dann mit Schlössern verrammelt, keiner soll sich an ihnen bedienen, und das zeigt eigentlich schon ganz gut, dass der Müll vielleicht doch keiner ist. Wer stiehlt schon Abfall? Aber Abfall sind eben auch die noch verpackten Nudeln, die noch essbaren Joghurts, in einem Jahr landen in Deutschland um die 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Das hat vor allem mit dem einen Wort zu tun, das so viele missverstehen: dem Mindesthaltbarkeitsdatum.

Bis zu diesem Datum, verspricht der Hersteller, sieht die Ware genau so aus, wie er sich das vorstellt, zum Beispiel die luftige Sahne auf dem Pudding, nach diesem Datum aber ist der Pudding nicht unbedingt schlecht. Manche Supermärkte in der Stadt verkaufen die Ware, die bald abläuft, deshalb reduziert. In den Amper-Einkaufszentren aber geht man nun noch einen Schritt weiter: Die Kunden werden die am Tag ablaufenden Lebensmittel nun auch umsonst mitnehmen können.

Bisher gab es kostenlose Lebensmittel vor allem an drei Orten in der Stadt, an den sogenannten Fair-Teilern in Neuhausen, Haidhausen und an der Schwanthalerhöhe, dort zum Beispiel im Eine-Welt-Haus. Privatleute geben Lebensmittel ab, die sie übrig haben, und andere nehmen die wieder mit, organisiert von der Initiative Foodsharing. Ein Anfang, aber ein sehr kleiner. Bis zum Jahr 2030 will das Bundesernährungsministerium erreichen, dass nur noch halb so viele Lebensmittel verschwendet werden wie bisher, dazu müssen also auch die Supermärkte mitmachen - und einer, der in München nun mitmachen will, ist Udo Klotz.

Er ist nicht unbedingt ein Weltverbesserer, sondern erst einmal ein Ökonom. Gemeinsam mit Familienmitgliedern führt er die zwölf im Münchner Westen angesiedelten Amper-Einkaufszentren, kurz AEZ. Gute Lebensmittel aus formalen Gründen wegzuschmeißen sieht er nicht ein, das sei Ressourcenverschwendung, eine unnötige Belastung für die Umwelt - und Geldverschwendung, denn auch die Entsorgung kostet.

Was im AEZ im Fürstenfeldbrucker Stadtteil Buchenau unter dem Slogan "Zu gut für die Tonne" vor ein paar Wochen als Versuch begann, wird nun - früher als geplant - in allen elf Supermärkten von Klotz eingeführt: In den Filialen werden außerhalb des Marktbereichs ein Kühlschrank und ein Regal aufgestellt, dort landen die Produkte genau am Tag des Mindesthaltbarkeitsdatums. Ebenso wie in vielen anderen Discountern und Supermärkten werden Waren mit nahendem Mindesthaltbarkeitsdatum auch im AEZ bereits für die Hälfte verkauft.

Fragt man bei anderen Supermärkten nach, ob sie Ähnliches planen, lautet die Antwort: nein. Bei Rewe heißt es zum Beispiel, man verkaufe in jedem Supermarkt im Schnitt ohnehin "98 bis 99 Prozent aller Lebensmittel". Dank immer genauerer Prognosen am Computer bestellten die Märkte im besten Fall nur noch so viel, wie gebraucht werde; die Prognosen berücksichtigten das Wetter oder die Schulferien. Restliche Ware, die bald ablaufe, gebe man zu den Tafeln, ein paar Tage vorher reduziere man den Preis um bis zu 30 Prozent. Die gleiche Antwort bekommt man bei Lidl, man setze die Preise "deutlich" herunter, übrige Ware gebe man an die Tafeln ab.

Niemand kommt nur ins AEZ, um die kostenlosen Sachen mitzunehmen

Die Tafeln aber, die bedürftigen Menschen helfen, dürfen nur vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums Lebensmittel annehmen. Sonst geht die Haftung für mögliche gesundheitliche Folgen vom Hersteller auf denjenigen über, der "die Ware in den Verkehr gebracht hat". Die Tafeln also wären zum Beispiel verantwortlich, wenn sich einer mit abgelaufenem Quark den Magen verdirbt - und so rechtfertigen manche Supermärkte auch, dass sie nachts ihre Tonnen absperren.

Sollten mehr Supermärkte Waren verschenken, wäre das für die Münchner Tafel allerdings "nicht unbedingt ein Problem", heißt es dort. Zum einen gehe es bisher um eher kleinere Mengen, um jeweils einen Kühlschrank, ein Regal. Zum anderen bekomme die Tafel viele Lebensmittel direkt von den Herstellern, zum Beispiel von Bäckereien oder Molkereien. "Wir würden versuchen, das damit zu kompensieren."

In Fürstenfeldbruck habe sich das Projekt bisher jedenfalls bewährt, sagt Klotz, es komme auch niemand nur ins AEZ, um die kostenlosen Sachen mitzunehmen. Das würde sich ohnehin nicht lohnen, Kühlschrank und Regal würden den ganzen Tag über mit ausgelisteten Waren befüllt. Manchmal sei das Regal leer, manchmal fänden sich Milchprodukte und Fertiggerichte neben Konserven oder Nudeln.

Planen lasse sich das kaum, und weil man die Sachen nicht mit in den Einkaufsbereich mitnehmen darf, kaufen die meisten ohnehin erst ein und werfen dann einen Blick in den Kühlschrank, wie Klotz berichtet. Er will das Ganze noch ausbauen, bald soll auch Obst oder Gemüse, das sich wegen Druckstellen nicht gut verkaufen lässt, neben den "ablaufenden" Waren liegen.

Ob am Ende tatsächlich weniger Müll in den Tonnen landet, entscheidet sich auch später - nach dem Supermarkt, wenn die Kunden das angedrückte Obst oder den fast abgelaufenen Joghurt zu Hause ins Regal räumen. Jeder achte Einkauf landet der Statistik nach wieder im Müll. Jeder Münchner wirft im Schnitt 82 Kilo Lebensmittel weg. Innerhalb eines Jahres.

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