Milliardenprojekt:München versteht Bahnhof

Milliardenprojekt: Wo heute der Starnberger Flügelbahnhof ist, soll künftig ein 75-Meter-Hochhaus entstehen.

Wo heute der Starnberger Flügelbahnhof ist, soll künftig ein 75-Meter-Hochhaus entstehen.

Weniger Autos und mehr Shops, ein neuer Turm und ein altes Mosaik: Die Bahn hat ihren Plan für den Münchner Hauptbahnhof vorgelegt - doch der wirft viele Fragen auf.

Von Martin Bernstein, Katja Riedel und Marco Völklein

Ein 75-Meter-Hochhaus genau dort, wo derzeit noch der Starnberger Flügelbahnhof steht; und das bisherige Empfangsgebäude soll einem neuen weichen. Bis zum Jahr 2026, so das Versprechen der Deutschen Bahn (DB), könnte ein neuer Hauptbahnhof entstehen - sofern die Frage des geplanten zweiten S-Bahn-Tunnels endlich mal entschieden sein sollte. Dennoch stellen sich einige Fragen zu dem Projekt, in das die Bahn bis zu eine Milliarde Euro stecken möchte.

Wie sehen die Fraktionen im Stadtrat den Vorschlag?

Bei SPD und Grünen trifft der Entwurf auf breite Zustimmung. Schließlich setzt die Bahn damit weitgehend den 2006 vorgelegten Entwurf des Münchner Architektenbüros Auer Weber um - und genau darauf hatte der Stadtrat stets gepocht. Selbst das neue 75-Meter-Hochhaus findet Christian Amlong (SPD) gut: "Wo, wenn nicht am Hauptbahnhof, könnte man so etwas möglich machen?" Die CSU gibt sich zurückhaltender: "Wir werden das am Montag in der Fraktion ausführlich besprechen", sagt Michael Kuffer (CSU). Vor allem die "verkehrliche Erschließung", so Kuffer, könnte noch zu längeren Diskussionen führen.

Was ist das Problem beim Verkehr?

Die Stadt will die Chance nutzen und mit dem Neubau die gesamte Bahnhofsumgebung "aufwerten", wie es heißt. So soll der Bahnhofsvorplatz komplett autofrei werden, nur Radler, Fußgänger und Trams dürfen queren. Anwohner befürchten bereits, dass dann viele Autos auf andere Trassen, etwa die Paul-Heyse-Straße, ausweichen. Laut Planungsreferat hält sich das aber in Grenzen: Am Altstadtring prognostizieren die Gutachter etwa 1500 Autos mehr pro Tag, am Bavariaring etwa 1000 Fahrzeuge zusätzlich. Und Tobias Ruff (ÖDP) warnt: Radler und Fußgänger auf einem Platz ohne eine klare Trennung - das könnte am Ende ähnlich chaotisch werden wie derzeit am Marienplatz.

Muss es für das neue Hochhaus keinen Gestaltungswettbewerb geben?

Das ist offen. Bei wichtigen Projekten besteht die Stadt meist darauf, dass mehrere Architekten in einem Wettbewerb um die beste Lösung für ein stadtbildprägendes Projekt ringen. Für das Empfangsgebäude gab es einen solchen Wettbewerb bereits 2006. Den hatten die Architekten von Auer Weber für sich entscheiden können. Für das nun nachträglich dazukonstruierte Hochhaus an der Arnulfstraße gab es aber keinen Wettbewerb, sagen Kritiker. Gut möglich ist daher, dass sich die Stadtgestaltungskommission in die Sache einschaltet.

Welchen Einfluss hat die Stadtgestaltungskommission?

Bei wichtigen Bauten in der Stadt greift das Gremium ein, in dem neben Stadtbaurätin und Oberbürgermeister auch Stadträte, Heimatpfleger, Architekten und andere Fachleute sitzen. Sie prüfen, wie sich der Neubau in das Stadtbild einfügt. Weil der Hauptbahnhof ein solch prägendes Gebäude ist, werden all diese Fachleute ihre Meinung äußern. Die Kommission kann Baurecht weder erteilen noch verhindern - sie kann aber Empfehlungen aussprechen, die andere Behörden dann aufgreifen. So musste beim Bau des neuen Pschorr-Hauses in der Neuhauser Straße die verspiegelte Fassade entschärft werden, einige der glänzenden Paneele wurden abmontiert.

Noch einschneidendere Folgen für den Bauherrn und das Architekturbüro hatte die Meinung des Gremiums zu Abriss und Neubau des Hotels Königshof am Stachus. Hier drangen Kommission und Stadtbaurätin darauf, einen Architekten-Wettbewerb nachzuholen, um mehrere mögliche neue Gesichter des Stachus zu vergleichen. Gebremst haben die Stadtgestalter durch ihr Eingreifen nicht, im Gegenteil: Am Ende wird den eher langweiligen Nachkriegsbau nun ein so mutiger wie spektakulärer Neubau des spanischen Büros Nieto Sobejano Arquitectos ersetzen.

Reaktionen von Investoren, Ladenbesitzern und Denkmalschutz

Hauptbahnhof, HBF MÜnchen

Unter Denkmalschutz: Das reliefartige Mosaik Rupprecht Geigers (hinter der Bahnhofsuhr) bleibt im Neubau erhalten, ebenso die Gleishalle.

(Foto: Florian Peljak)

Wie wird sich das Bahnhofsviertel sonst noch verändern durch den Neubau?

Wenn man sich in der Münchner Geschäftswelt umhört, ist stets dasselbe zu hören: Die Gegend um den Hauptbahnhof gilt als das Entwicklungsgebiet schlechthin. Denn der Hauptbahnhof könnte einmal das Ende einer verlängerten und damit aufgewerteten Einkaufsmeile sein, die ohne Unterbrechung als Fußgängerzone vom Marienplatz über den Stachus hinaus führt. Denkbar wäre eine große Mall, die das langgestreckte Karstadt-Gebäude an der Schützenstraße einbezieht.

Dieses hat die deutsch-irische Investmentgesellschaft Signature Capital im vergangenen Jahr für 180 Millionen Euro gekauft, bis 2026 hat Karstadt einen Mietvertrag. Über die ganz große Lösung zwischen Stachus und Hauptbahnhof wird schon länger spekuliert - gescheitert sind solche Pläne bislang an den komplizierten Eigentumsverhältnissen. Dem Essener Shoppingcenter-Entwickler mfi, der auch die Pasing- und die Riem-Arkaden betreibt und der ein solches Projekt reizvoll gefunden hätte, waren diese vorerst zu kompliziert.

Stehen Investoren denn schon bereit?

Ja, rund um den Hauptbahnhof haben sich einige bereits Immobilien gesichert, deren Wert mit einem neugestalteten und vielleicht sogar verkehrsberuhigten Bahnhofsviertel im Wert deutlich steigen dürfte. Die Inka Service GmbH des verstorbenen Augustiner-Chefs Jannik Inselkammer zum Beispiel hatte bereits 2010 einem Fundus-Fonds der Jagdfeld-Gruppe ein 13 000 Quadratmeter großes Haus an der Arnulfstraße abgekauft, Hauptmieter ist das Hotel Deutscher Kaiser. Die Immobilie ging für 38,5 Millionen Euro an die Inka - für einen vergleichsweise günstigen Quadratmeterpreis unter 3000 Euro. Für die Inka sicher kein schlechtes Geschäft: Die Immobilie befindet sich direkt gegenüber vom Bahnhofseingang an der Arnulfstraße.

Wie sehen eigentlich die Einzelhändler in der Innenstadt die Pläne der Bahn?

Kritisch bis ablehnend. Denn damit der Schienenkonzern den Neubau finanzieren kann, will er möglichst viele Flächen gewinnen, die er zum Beispiel an Handelsketten und Gastronomen vermieten kann. So sieht der Entwurf nun vor, unterm Strich noch einmal 11 000 Quadratmeter Ladenfläche mehr zu errichten als im Auer-Weber-Entwurf von 2006 vorgesehen. Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher ist sich sicher: Wegen der hohen Kaufkraft werden die Geschäfte in der City die zusätzliche Konkurrenz schon verkraften.

Wolfgang Fischer vom Händler- und Gastronomenverband "City Partner" ist da skeptischer: Wenn die Konkurrenten im Hauptbahnhof länger sowie an Sonn- und Feiertagen öffnen dürften, entstünde gegenüber Kaufhäusern in der City eine "Wettbewerbsverzerrung". Diese Frage, so Fischer, habe der Stadtrat noch gar nicht erörtert.

Wie steht es um den Denkmalschutz?

Für das nun geplante 75-Meter-Hochhaus müsste der Starnberger Flügelbahnhof weichen. Der findet sich auf der Denkmalschutzliste des Freistaats - allerdings erst seit 2010. Der preisgekrönte Wettbewerbsentwurf stammt indes von 2006 und genießt damit Vertrauensschutz. Sprich: Der Flügelbahnhof wird verschwinden - das steht so in der Stadtratsvorlage. Gefordert wird lediglich eine wissenschaftliche Dokumentation des Gebäudes mit seiner kolossalen Pfeilerhalle und der Freitreppe, der Schalterhalle und dem Querbahnsteig, das 1949 im Stil des Neuklassizismus unter Leitung von Heinrich Gerbl als erster selbstständiger Bahnhofsbau nach dem Weltkrieg in München errichtet wurde. "Hier ist die Entwicklung einer eigenen Architektur, von der die jüngere Gestaltung des Hauptbahnhofes abweicht, deutlich ablesbar", sagt das Landesamt für Denkmalpflege. Die ebenfalls denkmalgeschützte große Gleishalle von 1958 bleibt laut Planungsreferat im Neubau erhalten.

Und was ist mit dem Mosaik über dem Haupteingang des Bahnhofs?

Kaum jemand kennt es, das 1951 vom Münchner Künstler Rupprecht Geiger geschaffene Mosaik über dem Haupteingang des Bahnhofs. Dabei ist es laut Landesamt das erste abstrakte Kunstwerk im öffentlichen Raum Münchens. Die vor dem Relief angebrachte Bahnhofsuhr gehört nicht zu Geigers Entwurf, bleibt im Neubau jedoch ebenso erhalten wie das Mosaik. Geiger starb 2009 - das Urheberrecht für das Kunstwerk, das Veränderungen verbietet (ob auch den Abriss, ist unter Juristen umstritten), währt bis 2079.

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