Migration:Wie München zur Hochburg der Griechen wurde

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Griechen sind in München präsent: So auch mit gemütlichen Lokalen wie dem "Anti". (Foto: Stephan Rumpf)

In keiner anderen Stadt Deutschlands wohnen so viele Hellenen wie in München. Jahrzehnte lebten sie bevorzugt im Herzen der Stadt. Doch immer mehr müssen weichen.

Von Thomas Anlauf

Georgios Siomos ist eine imposante Erscheinung. Der Archimandrit der griechisch-orthodoxen Gemeinde mit seinem dichten, dunklen Bart steht im Talar vor vier großen Kuchen, die er fein säuberlich zerteilt und an die Gemeinde verteilt. Respekt, Gerechtigkeit, Liebe und Frieden steht auf den Neujahrskuchen geschrieben. Es ist das Neujahrsfest, zu dem das Evangelische Migrationszentrum im Griechischen Haus ins Theaterzelt "Das Schloss" eingeladen hat.

Ein Kuchenstück überreicht Vater Georgios an eine Vertreterin der Stadt mit den Worten: "München hat nicht nur die Türen, sondern auch die Herzen geöffnet." Damit meint der Geistliche nicht nur die herzliche Aufnahme der Münchner, als im September 2015 Zehntausende Flüchtlinge am Hauptbahnhof ankamen. Er denkt auch an all jene, die schon vor Jahrzehnten hier ein neues Leben begannen. Zehntausende Griechen, Italiener, Türken und Jugoslawen, die einst als Gastarbeiter nach München kamen - und oftmals blieben.

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Zwei Tage vor dem Neujahrsfest sitzt Costas Gianacacos an einem Tisch im Café Philóxenos des Griechischen Hauses. "Die Schwanthalerhöhe war wirklich früher die Hochburg der Münchner Griechen", sagt er. Gianacacos, der Leiter des Griechischen Hauses an der Bergmannstraße im Westend, kam 1974 als Jugendlicher nach Deutschland - zunächst zu seinen Eltern nach Nürnberg, 1981 zog der heute 61-Jährige dann nach München.

Die Geschichte der Münchner Griechen, sagt Gianacacos, begann, als die Bundesrepublik und Griechenland am 30. März 1960 das Anwerbeabkommen unterzeichneten. In den darauffolgenden Jahren reisten Tausende Griechen mit Schiffen über Brindisi oder in Zügen nach München, um hier oder in einer anderen Stadt Deutschlands als sogenannte Gastarbeiter zu arbeiten.

Die meisten, die in München blieben, zogen auf die Schwanthalerhöhe. Dort gab es bis 1979 die Gummifabrik Metzeler, die viele Griechen beschäftigte. Und der Stadtteil war damals noch ein klassisches Arbeiterviertel. "Es war ein Glasscherbenviertel, unterprivilegiert", sagt Costas Gianacacos. Die Mieten waren günstig, oft gab es nicht einmal ein Bad in der Wohnung. "Aber keiner war darauf eingerichtet, lange zu bleiben", sagt er. Doch viele sind geblieben, bis heute. Schon in den Sechzigerjahren entwickelte sich die Schwanthalerhöhe zu einer Griechenhochburg. Wer neu kam, ging eben dort hin, wo Landsleute waren.

Auch Costas Gianacacos. Er engagierte sich im Griechischen Studentenverein, der Griechischen Gemeinde München und der Griechischen Schriftstellervereinigung, organisierte den griechisch-bayerischen Kulturtag am Odeonsplatz und das griechisch-türkische Kulturfest im Westpark. "Seit den Achtzigerjahren haben wir sehr viele griechische Vereine in München", sagt Gianacacos. Das liegt natürlich an den Griechen, die gerne gesellig sind. Aber auch "die Zeit der Diktatur hat die Menschen zusammengeschweißt", sagt er.

In den Jahren der Junta zwischen 1967 und 1974 kamen viele Griechen aus politischen Gründen nach München. Auch der bis 2015 amtierende griechische Staatspräsident Karolos Papoulias arbeitete zu der Zeit am Münchner Südosteuropa-Institut. "Es gab hier eine Art Anti-Diktatorenzentrum", erzählt Costas Gianacacos. Viele Griechen blieben unter sich, man traf sich bei Landsleuten in Lokalen wie dem Stoa auf der Schwanthalerhöhe. Das Ende der Militärjunta 1974 bedeutete auch für die Münchner Griechen eine Wende. Das Griechische Haus, das Gianacacos bis heute leitet, wurde zum bayerisch-griechischen Begegnungszentrum.

Entscheidend beigetragen zum Selbstverständnis der Griechen in München hat Apostolos Malamoussis. Der Erzpriester und Vorgänger von Georgios Siomos hatte sich früh Gedanken gemacht, wie die griechische Gemeinde, die seit den Sechzigerjahren immer zwischen 20 000 und 30 000 Griechen stark ist, auch von den Münchnern wahrgenommen wird: "Die Frage war: Wie werden wir sichtbar", sagt Costas Gianacacos. Malamoussis führte die Isar-Weihe an Epiphanias ein, zu der auch geistliche Vertreter der anderen Religionen und Kirchen eingeladen sind. Seit 2005 gibt es auch das griechische Kulturfest am Odeonsplatz, zu dem der damalige Oberbürgermeister Christian Ude Malamoussis ermutigt hatte. Derartige Veranstaltungen sind für Costas Gianacacos wichtig, denn "die Offenheit ist das Charakteristikum der Griechen".

Heute befürchtet der ehemalige SPD-Stadtrat allerdings, dass die kulturelle Identität und Eigenart der Münchner Griechen langsam verschwindet. Die Jüngeren interessierten sich nicht mehr so sehr für das Brauchtum, zu gemeinsamen Veranstaltungen komme hauptsächlich die erste Generation der Münchner Griechen. Und so ist auch die ehemalige Hochburg der Hellenen, die Schwanthalerhöhe, mittlerweile gar nicht mehr so griechisch wie einst. Das Stoa ist längst ein schickes italienisches Lokal, Gemüseläden, die früher traditionell von Griechen geführt wurden, gibt es nun kaum noch.

Vielleicht sind das nur kleine Hinweise auf das langsame Verschwinden des Griechischen im Viertel. Und wenn eine Familie dort wegzieht, weil sie zurück in die Heimat geht oder die Wohnung zu teuer geworden ist, komme meist kein anderer Grieche mehr nach, sondern Deutsche, sagt Gianacacos. Dafür leben nun viele Griechen in anderen Vierteln, derzeit besonders in Milbertshofen und am Hart. Vielleicht, weil dort die Mieten noch günstiger sind für junge Griechen, die seit der Krise 2010 wieder verstärkt nach München ziehen, mutmaßt der 61-Jährige.

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Für Georgios Siomos ist dieser Wunsch der ersten griechischen Generation in München, sich "sichtbar zu machen", zwar verständlich. "Für mich hat sich die Frage aber nie gestellt", sagt der Geistliche, der neben Costas Gianacacos am Tisch im Café Philóxenos sitzt. Der 30-jährige Georgios Siomos hat zwar griechische Eltern, er selbst ist aber in Hannover geboren und aufgewachsen, bevor er nach München kam und nun seit fast zwei Jahren die griechisch-orthodoxe Metropolie an der Ungererstraße leitet.

"München ist die größte griechische Gemeinde in Deutschland außerhalb Griechenlands", sagt er. Zwar lebten im Ruhrgebiet insgesamt mehr Griechen, aber eben auf mehrere Städte verteilt. Der junge Geistliche findet, dass er und alle anderen Griechen in München längst "zur Stadtgesellschaft gehören".

In München fiel das sicherlich leichter als in anderen Städten. Ludwig I. überließ auf Betreiben Friedrich Thierschs 1828 die Salvatorkirche der griechischen Gemeinde. Die ersten Griechen, die vor 58 Jahren als Gastarbeiter ankamen, fanden so ein Stück Heimat mitten in München.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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