Migranten in München (3):Die Stimme der Minderheit

Sükrü Keser lebt seit zehn Jahren in München. Immer noch begegnen dem Türken Vorurteile. Nun kandidiert er für den Ausländerbeirat - um sich endlich zu wehren.

Lisa Sonnabend

Sükrü Keser haut mit der Faust auf die Tischplatte, mit der anderen Hand drückt er den Deckel seiner Cola-Flasche ein. Der 34-Jährige ist wütend. Auf die Münchner. Denn immer wieder fühlt sich der Pädagoge, der 2001 aus der Türkei nach München gekommen ist, diskriminiert.

Aktive Internationale Jugendliste

Sükrü Keser und Tinatin Chitinashvili von der Aktiven Internationalen Jugendliste wollen die Politik in der Stadt mitgestalten.

(Foto: Lisa Sonnabend)

Bei seinem ersten Vorstellungsgespräch sei er als erstes gefragt worden: "Sind Sie Türke?" Als er dies bejahte, hieß es: "Dann haben wir leider keine Arbeit für Sie." Keser sagt: "Auch nach 60 Jahren Migrationsgeschichte gibt es noch jede Menge Vorurteile." Nun will er dies nicht mehr hinnehmen. Er hat beschlossen, sich zu wehren.

Der Pädagoge hat im September die Aktive Internationale Jugendliste gegründet - gemeinsam mit anderen Migranten der Jugendverbände des Kreisjugendrings in München. An diesem Sonntag treten sie zu den Wahlen zum Ausländerbeirat an. Ihr Ziel: mindestens einen der 40 Sitze zu erobern.

Der Ausländerbeirat setzt sich für die Interessen der etwa 310.000 Münchner mit ausländischer Staatsangehörigkeit ein. Er kann keine Entscheidungen fällen, ist aber beratend tätig, gibt Empfehlungen ab und stellt Forderungen an den Stadtrat und die Stadtverwaltung. Es kandidieren die Organisationen wie die Initiative Griechische Vereine, die Serbische Diaspora München oder das Afrika Zentrum. Einen Skandal gab es in diesem Jahr, als bekannt wurde, dass sich auf der Liste ALK - Allgemeine Länderkooperation zwei Rechtsradikale unter die Kandidaten geschmuggelt hatten.

Bei der Alternativen Jugendliste München stehen 14 Personen auf der Wahlliste.Neben Keser, der den ersten Listenplatz hat, unter anderem eine Politologin aus Russland, ein Pianist aus Georgien, eine Buchhalterin aus der Ukraine, ein Spediteur und ein Einzelhandelskaufmann aus der Türkei.

Die Bildungsungleichheit

Wenige Tage vor der Wahl trifft sich Keser mit Mitstreitern in den Räumen des Vereins Aktiv für interkulturellen Austausch in der Rosenheimer Straße. An eine Tafel sind die Begriffe Brot, Cornflakes, Käse, Joghurt und Banane geschrieben. Zuvor fand hier ein Deutschkurs statt. Keser hat eine Hornbrille auf, sein Bart ist an der Oberlippe und am Kinn gestutzt. Er trägt ein Holzfällerhemd und darüber einen dicken braunen Wollpulli. Vor ihm liegt ein Flyer der Jugendliste, auf dem in neun verschiedenen Sprachen geschrieben steht: "München profitiert davon." Mit der 29-jährigen Georgierin Tinatin Chitinashvili plant er gerade die letzte Wahlkampfveranstaltung.

Keser sagt: "Wir fordern Bildungsgleichheit - denn die existiert nicht." Die Internationale Jugendliste kämpft gegen das dreigliedrige Schulsystem, weil es vielen keine Chance lasse, insbesondere den Migranten nicht. "Es ist klar, dass Migrantenkinder Sprachschwierigkeiten haben und es deswegen oft nicht aufs Gymnasium schaffen", sagt Keser. Weitere Forderungen von ihnen sind, dass alle Studenten, egal welcher Herkunft, Bafög beantragen können, dass Mehrsprachigkeit als zusätzliche Qualifikation anerkannt wird oder dass Lehrer interkulturelle Fortbildungen durchlaufen sollen.

"Verstehen Sie, was ich sage?"

Keser kam 2001 nach München. In der Türkei hatte er Germanistik studiert, an der LMU absolvierte er noch ein Pädagogikstudium. Nun arbeitet er bei dem Verein Aktiv für interkulturellen Austausch. Dem 34-Jährigen gefällt die Stadt München, er hat hier enge Freunde gefunden. Nur manchmal hat er Phasen, in denen er denkt: Jetzt reicht es. In denen er am liebsten zurück in die Türkei, zu seinen Verwandten will.

Diese Phasen sind, wenn jemand beim Einkaufen zu ihm sagt: "Sie sprechen aber gut Deutsch." Oder wenn im Amt jemand fragt: "Verstehen Sie, was ich sage?" Doch es sind nicht nur Worte, die verletzen. "Die Blicke spürt man", sagt Keser. "Auf der Straße, im Bus - ständig." Keser zieht einen Vergleich heran: Manche Leute würden sich sehr auffällig kleiden, andere eher dezent. Aber man könne an Hand von diesen Äußerlichkeiten doch nicht beurteilen, ob jemand nett ist oder nicht.

Ob die Alternative Internationale Jugendliste einen Vertreter in den Ausländerbeirat entsenden darf, entscheidet sich erst Mitte Dezember. Dann werden die Ergebnisse der Wahl bekannt. Doch mit einem Platz im Ausländerbeirat will sich Keser sowieso nicht zufrieden geben. Er fordert, dass Migranten ohne deutschen Pass künftig auch bei kommunalen Wahlen ihre Stimme abgeben dürfen. "Chrisitian Ude ist schließlich auch unser Bürgermeister", sagt Keser. Eines Tages will er mitbestimmen, über was der Oberbürgermeister von München entscheidet.

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