Mietpreise:Die Münchner bangen um ihre Wohnungen

"Aufwertung abfucken": Sprüche wie dieser im Glockenbachviertel sind in München keine Seltenheit.

"Aufwertung abfucken": Sprüche wie dieser im Glockenbachviertel sind in München keine Seltenheit.

(Foto: Stephan Rumpf)

Gentrifizierung, Aufwertung, Mieterhöhung: Die Wohnangst in München hat längst auch diejenigen erfasst, die eigentlich eine Wohnung haben. Die Stadt darf diesen Irrsinn nicht akzeptieren.

Von Kassian Stroh

Die Buchstaben haben sie wegzuwischen versucht, im Gedächtnis ist der Satz geblieben: "Und wer schützt mein Nichts vor Eurem Eigentum?" In Großbuchstaben, an der Wand des Rewe-Markts mitten im alten Agfa-Gelände, das längst mit vielen teuren Wohnungen bebaut ist. Kann ein Habenichts überhaupt noch etwas verlieren, noch weniger haben als nichts? Muss er Angst haben, vor den Eigentümern, den Investoren?

Giesing ist voll von Sprüchen wie diesem, "Aufwertung abfucken" ist der häufigste und markanteste, er kommt etwas martialischer daher, weniger nachdenklich. "Mieten runter" ist auch zu lesen, die Botschaft ist so eindeutig wie schlicht. Aufwertung, Mieterhöhung, Gentrifizierung, Vertreibung - Schlagworte das alles, die wütend machen und noch mehr Münchnern Angst. Nicht nur in Giesing.

In München war Wohnungsnot schon immer ein Thema, die Mieten waren höher als anderswo, die Suche nach einer Bleibe war aufwendiger. Wobei: Der Begriff Wohnungssuche trifft es ja gar nicht mehr, man bewirbt sich heute - mit aufwendigen Mappen, Bonitätsnachweisen, Lügen gar. Doch München hat nun zehn Jahre hinter sich, in denen der gewohnte Mangel irrsinnige Dimensionen angenommen hat. Eine Million Euro für eine 100-Quadratmeter-Wohnung in der Innenstadt sind keine Seltenheit mehr - die Kaufpreise sind in die Höhe geschnellt und mit etwas Verzögerung und nicht ganz so krass die Mieten. Bei Neuvermietungen.

Denn zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass viele Münchner das Glück haben, erschwinglich zu wohnen, in einem Haus der Stadt, einer Genossenschaft oder eines Vermieters, der nicht das letzte herauspresst aus seinem Eigentum. Doch auch sie plagt die Angst: Was wird, wenn der Vermieter stirbt und die Erbengemeinschaft der Kinder das Haus verkauft? Was tun, wenn eines Tages die Modernisierungsankündigung im Briefkasten liegt?

Zu wohnen, ist eine existenzielle Frage. Die Furcht, es sich nicht mehr leisten zu können, ein allgegenwärtiges Gefühl von Bedrohung. Man muss noch nicht aus seinem Viertel verdrängt worden sein, um davor zu bangen. Die Münchner Wohnangst - sie ist virulent für noch viel mehr als die, die akut unter Wohnungslosigkeit leiden. Ganz abgesehen von der gesellschaftlich irrwitzigen Folge, dass Familien in Wohnungen bleiben, die ihnen längst zu eng geworden sind, und verwitwete Senioren in überdimensionierten - zu schwierig und unerschwinglich wäre jeder Wechsel.

Nun neigt der Bürger, nicht nur der Münchner, dazu, bei Missständen nach der öffentlichen Hand zu rufen, dass sie alles ordne. Allein: Anders als bei Münchens zweitgrößtem Problem, dem Verkehr, wo Stadt und Staat die maßgeblichen Akteure wären, sind ihr Einfluss auf den Wohnungsbau begrenzt. Klar, der Bund regelt das Mietrecht, der Freistaat erlässt die Bauordnung, der Stadt obliegt die Planungshoheit. Im Wesentlichen aber ist der Wohnungsmarkt ein Markt, von Marktgesetzen getrieben, an Renditen orientiert, kapitalistisch gnadenlos. Dabei müsste er doch ein Grundrecht garantieren: das auf Wohnen.

Gerade die Stadt sieht sich da oft Erwartungen ausgesetzt, die sie gar nicht erfüllen kann und die zugleich widersprüchlich sind. Mehr Wohnungen bauen - wunderbar, so lange dies nicht in der eigenen Nachbarschaft passiert. Ein großes Neubaugebiet am Rand der Stadt - gut so, aber zu städtisch darf es nicht ausschauen, um das heimelige Idyll dort zu bewahren. Wer vom Gentrifizierungs-Kampfgebiet Giesing aus den Nockherberg hinunterfährt, stößt direkt hinter der Isar auf die Glockenbach-Suiten, benannt nach einem Viertel, in dem der Anti-Gentrifizierungs-Kampf verloren ist. Wütende Proteste hat dieser Bau erregt. Die Stadt hätte ihn, wenn sie gewollt hätte, aber nicht verhindern können, Baurecht ist Baurecht. Und mal nüchtern betrachtet: Dort, wo zuvor eine kleine Pizzeria samt Garten stand und keine einzige Wohnung, sind derer immerhin 25 entstanden. Teure Eigentumswohnungen, gewiss, aber ist das nicht besser als nichts?

Die Stadt steht unter hohem Rechtfertigungsdruck, auch weil sie nur ein paar hundert Meter weiter einen Sündenfall begangen hat: An der Müllerstraße haben die Stadtwerke vor gut zehn Jahren ihr ehemaliges Heizkraftwerk an einen Investor verkauft, der einen Wohnturm errichtete. Dessen Preise waren (damals) die mit Abstand teuersten Münchens, dessen Luxus verändert mindestens das Flair, wenn nicht die Struktur des Viertels dauerhaft. Hier hat München, des guten Erlöses wegen, das Spiel des Marktes mitgespielt. Und als die Stadtwerke Ähnliches mit ihrem Werk an der Katharina-von-Bora-Straße planten, stoppte erst der damalige Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) 2013 das Millionengeschäft.

Das Münchner Modellprojekt reicht nicht mehr

Es ist ein großes Verdienst, dass die Stadt ihre eigenen Wohnungen nicht verkauft hat, dass sie hier nie der Verlockung des schnellen Gelds erlegen ist. Anders als der Freistaat. Die knapp 10 000 Wohnungen der einst landeseigenen GBW, das frühere Frauengefängnis in der Au, die Alte Akademie, die einstigen Chemie-Gebäude der Ludwig-Maximilians-Universität, die den noblen Lenbachgärten gewichen sind - sie sind nur einige Beispiele dafür, dass der Freistaat nie zögerlich war, (zukünftigen) Wohnraum nicht nur zu verkaufen, sondern auch stets dem höchstbietenden Investor. Dass der neue Ministerpräsident nun eine "Bayernheim" genannte Gesellschaft für staatlichen Wohnungsbau gründen will, klingt da wie Hohn.

Und die Stadt? Sie hat sich zwar entschieden, ihre Wohnungen zu behalten, weshalb sie nach wie vor die größte Vermieterin in München ist. Zugleich aber hat sie sich jahrelang ausgeruht auf alten Errungenschaften. Sie hat es sich bequem gemacht und gesagt: Wir haben doch Sobon, die sozialgerechte Bodennutzung. Ein Münchner Modellprojekt, das vereinfacht besagt: Wo immer für einen Bauherren Baurecht geschaffen wird, muss sich dieser an Kosten für Kindergärten zum Beispiel beteiligen und er muss auch Wohnraum für Ärmere schaffen. Weshalb es selbst in Quartieren wie den Lenbachgärten Sozialwohnungen gibt.

Das ist vorbildhaft, gewiss, aber das reicht nicht mehr. Die Stadt hat zudem darauf gebaut, dass mit einem Instrument wie den Erhaltungssatzungsgebieten die Gentrifizierung aufgehalten wird - das aber zeigt immer weniger Wirkung. Sie hat es in vielen Jahren zunehmend versäumt, selbst neue Wohnungen zu bauen, sie hat zugesehen, wie die Zahl der Sozialwohnungen zunehmend schwand. Sie hat Quartiere wie das Agfa-Gelände - aus heutiger Sicht - viel zu luftig bebauen lassen.

Da hat sich seit dem Wechsel von Ude auf Oberbürgermeister Dieter Reiter etwas geändert - unter dem massiven Druck der galoppierenden Preise und der zunehmenden Verdrängung. Die städtischen Wohnungsgesellschaften sollen nun wieder selbst bauen, in großem Stil und mit massiver Unterstützung der Stadtkasse. Städtische Unternehmen setzen auf Werkswohnungsbau.

Für neue Siedlungsquartiere wie Freiham oder im Münchner Nordosten hat die Stadt ihr Ziel, wie viele Wohnungen dort entstehen sollen, erhöht - es wird also dichter gebaut. Sie vergibt Grundstücke vermehrt an Genossenschaften und Firmen, die Miet- statt Eigentumswohnungen bauen. Sie hat die Sobon-Vorgaben verschärft, wenn auch weit weniger, als es möglich und nötig gewesen wäre; da war sie der Immobilienwirtschaft gegenüber zu nachgiebig. Und manche Idee ist (bislang) gescheitert - etwa die Hoffnung, Supermarktketten könnten ihre Parkplätze mit Häusern auf Stelzen überbauen, wie am Dantebad ausprobiert. Das alles sind kleine Schritte, sie werden den Bürgern ihre realen Nöte und berechtigten Sorgen allein nicht nehmen. Aber sie sind nötig.

Denn eben weil die Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt so gering sind, muss sie zumindest die kleinen nutzen. Im Sinne derer, die in den Genuss einer günstigeren Wohnung kommen, aber auch als Signal an den Markt, an die Investoren, dass die Stadt nicht gewillt ist, den Irrsinn, nur weil er rechtlich zulässig ist, zu akzeptieren.

Kern des Selbstverständnisses Münchens war immer, Herz eines starken Wirtschaftsraums zu sein, der auch die nicht so Starken nicht vergisst, ihnen ein gutes Leben ermöglicht. In allen Vierteln, nicht nur in Armensiedlungen an der Peripherie. Nie war das in den vergangenen vier Jahrzehnten so bedroht wie heute. Zum Glück hat München in den 1960er- und 1970er-Jahren massiv Wohnungen gebaut, noch heute profitiert es immens davon. Solch wuchtige Programme braucht es wieder. Denn der Oberbürgermeister hat nicht recht, wenn er sagt, München müsse bezahlbar bleiben. Es muss bezahlbar werden.

Wohnen in München
Online-/Digital-Grafik

In keiner anderen deutschen Stadt sind die Preise auf dem Wohnungsmarkt so expoldiert wie in München. Allein in den vergangenen zehn Jahren gab es einen Anstieg um etwa 40 Prozent.

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