Messestadt Riem:Kreativ im grünen Keller

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Die Werkstatt der "Genossenschaft Wagnis" an der Heinrich-Böll-Straße, ist ein beliebter Treffpunkt. Nun sucht der Verein "Nachbarschaftswerk Wagnis" dringend Sponsoren, damit weiter gehämmert und getöpfert werden kann

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

"Fünf vor acht und in Hausschuhen", Bettina Brömme lacht: Wer bei "Wagnis" wohnt, der könne den Film, die Lesung oder das Theaterstück im Veranstaltungsraum seiner Genossenschaft an der Heinrich-Böll-Straße in der Messestadt auch auf den letzten Drücker noch besuchen. Bettina Brömme und Eva Schick aus der Kulturgruppe, die verantwortlich ist fürs Programm, betonen aber eigens, dass sich hier kein exklusiver Zirkel trifft: "Die Termine sind für alle offen. Wir machen auch viel Öffentlichkeitsarbeit." Die Nachbarn im Viertel fühlen sich durchaus auch angesprochen von einem anderen Angebot des Vereins "Nachbarschaftswerk Wagnis", dem bestens ausgestatteten und kreativ bespielten Werkraum im Keller neben der Tiefgarage. Anders als der Veranstaltungsraum wirbt der nicht nur um Teilnehmer: Hier wird ein Sponsor gesucht.

Luis Lenssen, Henry Fretzen, Julius Mayer (v.l.) basteln Boote. (Foto: Florian Peljak)

Der Veranstaltungsraum im ersten Stock war von Anfang an eingeplant, dass es in dem Projekt mit rund hundert Wohnungen auch eine Werkstatt gibt, liegt am Umweltbewusstsein der Wohngenossen. Weil so wenige ein Auto haben, war in der Tiefgarage auch Platz für Räder - und im Radlkeller plötzlich Raum fürs Reparieren, fürs Basteln und Werken, erzählen Ines Lessen, Jörg Mayer, Christoph Miller und Maik Werner. Für die 95 Quadratmeter Werkraum und die 23 Quadratmeter große Holzwerkstatt entstehen Mietkosten, brauchte es Boden, Elektrik, Heizung, Lüftung: Investitionen, die nicht allein durch die bewusst moderaten Kurs- und Nutzungsgebühren reingewirtschaftet werden können, doch die städtische Anschubfinanzierung läuft Ende 2015 aus, die Werkstattgruppe sucht einen Stifter oder Sponsor. Es geht um rund 10 000 Euro im Jahr, obwohl die Werkstattgruppe alles ehrenamtlich verwaltet und gestaltet.

Eva Schick (vorne) und Bettina Brömme das Programm des Wagnis-Veranstaltungsraumes. (Foto: Florian Peljak)

Dass die Werkstatt schließt, mag keiner der Aktiven sich vorstellen, denn das hier ist nicht nur ein finsteres Loch mit Säge, das ein paar Männern ein Alibi fürs Feierabendbier gibt. Einladend hellgrün die Wände, picobello aufgeräumt die Regalfächer, sogar die mit Tür. Getöpfertes wartet vor dem Brennofen, Arbeitskittel hängen in Reih und Glied, Werkzeug steckt in dafür vorgesehenen Halterungen. Bunte Bilder und alte Einladungen zeugen davon, was hier schon alles entstanden ist: Röcke, Kaleidoskope, Blumenvasen, Origamifiguren, Weihnachtsdeko, Gartenschmuck, Drachen, Taschen und Tiffany und vieles mehr. In der Mitte ein großer Tisch. Luis, Henry und Julius kneten Ton, formen kleine Schüsseln. Später entwickeln sie einträchtig kleine Bote aus Kokosnussschalen, Holz- und Stoffresten. Die drei Buben sind völlig vertieft in ihr Tun. Ungestört können die Erwachsenen weiter erzählen davon, wie viele ihren geerbten Schraubstock, Hammer, Bohrmaschine oder anderes Werkzeug beigesteuert haben, wie groß die handwerklichen und auch pädagogischen Talente sind, die hier entdeckt werden, wie viel Freude das allen macht. Kindergeburtstage werden sinnvoll verbracht, Väter reparieren die Räder ihrer Kinder.

Beim Boote basteln. (Foto: Florian Peljak)

Als eine der ersten Aktionen haben alle gemeinsam die Holzvertäfelung der Fassaden und die Zwischenwände der Kellerabteile hier hergestellt, als Eigenleistung für den Bau. Der Funke sprang über. Kürzlich entstanden neue Sitzpodeste für draußen. "Wir haben keine Nachwuchssorgen", sagt Ines Lessen, viele der 260 Bewohner seien Kinder und Jugendliche, die Messestadt insgesamt ein junges Viertel. Weil sie auf Stifter-Suche sind, haben sie auch eine vorbildliche Statistik und ein aufschlussreiches Besucherbuch. Aus diesen geht zum Beispiel hervor, dass im vergangenen Jahr 1062 Leute die Werkstatt nutzten, dass an 284 von 365 Tagen hier jemand was mit seinen Händen hergestellt hat, sei es im Kurs, im offenen Angebot oder ganz in Eigenregie. Manches machen sie eigens für die Hofflohmärkte der Messestadt, die auch von der Genossenschaft initiiert wurden. Der nächste findet am 1. Mai statt.

Auch die Veranstaltungsgruppe hat keine Mühe damit, ihr Programm zu erstellen. Bettina Brömme ist Schriftstellerin und kennt Autoren, andere sind in der Musikszene verankert, auch fürs Kindertheater haben sie ihre "Lieblings-Kontakte", verraten Brömme und Schick. Mit der Kulturetage, dem Kulturzentrum der Messestadt, leben sie in bestem Einvernehmen: "Keine Konkurrenz." Natürlich sei es oft viel Arbeit: die Werbung, Stühle herrichten, Sekt und Bowle mitbringen. Doch viele packen mit an. Und die schöne Stimmung entschädigt für alles - wenn die Kleinen sich drängen, um ganz nah an der Bühne des Puppentheaters zu sitzen, oder die Großen im Herbst nach der Kurzfilmnacht noch Feuerzangenbowle machen, oder wenn im Sommer auf der Dachterrasse Musik erklingt und rot die Sonne untergeht. Alles echtes "Nachbarschaftswerk": ein wirklich gut gewählter Name.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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