Messestadt Riem:Kraft für die Kleinsten

Die Kinderkrankenschwester Manuela Beckmann will mit Elternkursen Flüchtlingen bei der Erziehung helfen. Gerade nach oft traumatischen Erlebnissen auf der Flucht benötigen viele Unterstützung

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Erst zehn Monate alt ist der kleine Zion, aber Krabbeln ist ihm schon zu langweilig, er zieht sich hoch, steht, streckt die Arme aus, wackelt los. Auch zwei kleine Zähnchen spitzen unten heraus. Ein goldiges Kind mit seinen dunklen Locken, ein Sonnenschein. Dass er im Moment bei seiner Mama Gift U. in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge an der Willy-Brandt-Allee aufwachsen darf, hat er Manuela Beckmann zu verdanken. Der Kleine wäre an einer zu festen Kugel aus Reis, die seine Mutter für ihn geformt hatte, fast erstickt, er musste ins Krankenhaus gebracht werden. Kindeswohlgefährdung ist der Fachbegriff der Sozialbehörden für solche Vorfälle. Eine "Inobhutnahme" - auch so ein Bürokratenwort - liegt da immer nahe. Um die zu vermeiden, wird die Kinderkrankenschwester geschickt, sie soll kontrollieren - vor allem aber soll sie helfen.

Viel Zeit bringt Manuela Beckmann mit, um Vertrauen aufzubauen. "Ich bin am Anfang erst mal da." Beim ersten Treffen fragt sie vielleicht nur nach dem Namen des Kindes, seinem Alter. "Die Mütter sondieren - und ich sondiere auch." Die 57-Jährige lacht. "Das ist so ein Rantasten. Vertrauen baut sich auf, Misstrauen baut sich ab." Inzwischen hat sie auch Einzelheiten von der Flucht der 25-Jährigen im Boot übers Mittelmeer erfahren, "ohne dass ich gebohrt hätte", betont sie. Sie zeigt der Mutter, was der Kleine essen soll, was er sonst braucht, sie hat dafür gesorgt, dass die Mutter, die eine Arbeitserlaubnis hat, einen Deutschkurs besucht und das Kind einen Kitaplatz bekommt. Sie ist aber einfach auch mal mit ihr an den See zum Schwimmen gegangen. "Das war schön": Die Nigerianerin strahlt.

Messestadt Riem: Nach der Flucht: Gift U. (links) hat in München eine neue Heimat gefunden, für sich unter ihren Sohn Zion. Manuela Beckmann hilft ihr und anderen Frauen mit guten Tipps.

Nach der Flucht: Gift U. (links) hat in München eine neue Heimat gefunden, für sich unter ihren Sohn Zion. Manuela Beckmann hilft ihr und anderen Frauen mit guten Tipps.

(Foto: Claus Schunk)

Bei diesen Besuchen lernt auch Manuela Beckmann viel über andere Kulturen: In Afrika schaue nicht nur die Mutter nach dem Kind, sondern alle, die drumherum wohnen. Für diese jungen Mütter sei es gewöhnungsbedürftig, dass immer und nur sie die "Aufsichtspflicht" haben, auch dann, wenn sie in einem Kurs oder im Familienzentrum bei einem Fest sind. "Sie haben eben andre Vorbilder, die versuchen sie zu leben und das funktioniert hier halt nicht": Manuela Beckmann zeigt Verständnis. Viele seien auch noch ganz jung, einige der Kinder, die die Krankenschwester betreut, sind "auf der Flucht entstanden", sagt sie, manches wohl auch aufgrund einer Vergewaltigung. Da gebe es Traumata, die man sich gar nicht vorstellen mag.

In einem ihrer Fälle ist väterliche Gewalt im Spiel. Der junge Mann hat selbst viel erlitten, aber dennoch: "Hier geht es um die Kinder." Immerhin habe der Vater nun einen Therapieplatz. Eine Mutter hat sie erlebt, einige Zeit her, die ihre quengelnde Tochter beim Waschen mit heißem Wasser verbrüht hat. Falsche Fürsorge oder auch ein Akt der Gewalt? "Auf jeden Fall ein Hilferuf", urteilt Manuela Beckmann.

Ihr jedenfalls ist klar geworden, dass geflüchtete Familien, die in einer Umgebung ohne Privatsphäre, in einem Leben voller Ungewissheit stecken, Orientierung brauchen. Deshalb hat Manuela Beckmann, die privat 2011 den Verein "Kindergesundheit München" gegründet hat und auch dessen Vorsitzende ist, ein Konzept entwickelt für Kurse, die sich speziell an "Eltern nach der Flucht" richten. Dieses Konzept baut auf den Kursen "Starke Eltern - starke Kinder" auf, die der Kinderschutzbund anbietet. Es wurde auch schon erfolgreich erprobt, in Unterwössen und in Lindenberg im Allgäu. Sinnvoll wäre es auch in München, doch das Sozialbürgerhaus hat keinen Topf, aus dem das zu bezahlen wäre.

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Daniela Riedel, im Kinderschutzbund Landeskoordinatorin für solche Elternkurse, würde die Kurse in der großen Gemeinschaftsunterkunft der Messestadt halten. Die beiden Frauen haben an alles gedacht: Sechs mal drei Stunden, Beginn um 17 Uhr, da sind Väter von der Arbeit zurück und die Kinder noch nicht zu müde. Es soll verschiedene Kurse geben für die größten Elterngruppen, für Nigerianer, Syrer, Menschen aus Afghanistan oder Somalia, dann lohnt sich auch jeweils ein Dolmetscher. Natürlich muss währenddessen ein Babysitter auf die Kinder aufpassen. Und ein paar Getränke sollen auf den Tisch, damit eine entspannte Atmosphäre entstehen kann. Das muss jemand bezahlen.

Das Wort Integration gefällt den beiden gar nicht so recht, es stecke zu viel Aufforderung drin, zu viel: "Pass Dich gefälligst an". Sie wollen ihre Teilnehmer da abholen, wo sie stehen, mit ihnen erst einmal über Werte ins Gespräch kommen, die letztlich doch in allen Kulturen und Religionen ähnlich seien. "Auch für ihre Kinder wollen im Grunde alle das Beste", weiß Manuela Beckmann. Hier will sie ansetzen, loben, Mut machen, aber auch aufklären - über Unfallgefahren, Ernährung, kindliche Entwicklungsschritte, Erziehung.

Über Kinderrechte, vor allem jenes, gewaltfrei und ohne Schläge groß zu werden. Über das deutsche Gesundheitssystem mit seinen Impfungen und Untersuchungen, das Bildungssystem, letztlich auch darüber, "wie wir Deutsche ticken". Sie erzählen so lebhaft, dass man sich bereits vorstellt, wie gut das laufen kann mit diesen einfühlsamen, erfahrenen Leiterinnen.

Zion ist müde inzwischen, Gift U. bindet ihn sich in einem farbenfrohen Tuch auf den Rücken und bringt ihn in das gemeinsame Mini-Zimmer. Zu einem Elternkurs werde sie kommen, natürlich. Die alleinerziehende Mutter, deren Partner in Italien festhängt, würde sich freuen.

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