Meiserstraße in München:Heikle Umbenennung

Provinzposse in München: Die Meiserstraße soll in Katharina-von-Bora-Straße umbenannt werden. Ein Professor für Theologie und Ethik an der LMU erklärt, wieso auch dieser Name äußerst problematisch ist.

Friedrich W. Graf

Man muss in die Kirchengeschichte des 16. Jahrhunderts zurückblicken, um die Provinzposse zu verstehen, die die Landeshauptstadt München in diesen Tagen mit tatkräftiger Unterstützung der Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern aufführt.

Die Stadt hat angekündigt, nun bald die Straßenschilder der Meiserstraße abzuhängen und durch Schilder mit dem neuen Straßennamen "Katharina-von-Bora-Straße" zu ersetzen. Diese Umbenennung lässt Mangel an reformationshistorischer Bildung erkennen, vor allem in der Leitung der bayerischen Landeskirche.

Nachdem der Stadtrat die Entwidmung der Meiserstraße wegen antisemitischer Äußerungen des ersten bayerischen Landesbischofs vor allem im Jahre 1926 beschlossen hatte, räumte die Stadt mit ihrem protestantischen Oberbürgermeister der Landeskirche das Privileg ein, einen neuen Namen für jene Straße vorzuschlagen, in der das Landeskirchenamt, also der Amtssitz des Landesbischofs, und der Dienstsitz der Regionalbischöfin des Kirchenkreises von München und Oberbayern liegen.

Schon im Streit um Meisers Rolle im Nationalsozialismus hatte die Spitze der Landeskirche neben einiger Feigheit auch viel zeithistorische Unbildung demonstriert. Mal wurde Meiser, ein theologisch biederer Kirchenfunktionär aus der fränkischen Provinz, pauschal verteidigt, mal jammerte man über einzelne Sätze in Texten, die man offenkundig nicht genau gelesen hatte.

Konsequent historisches Denken, das Texte in ihren spezifischen Kontexten wahrnimmt, scheinen die Damen und Herren Oberkirchenräte im Theologiestudium nicht gelernt zu haben. Das intellektuelle Niveau der kirchlichen Debatte war von hoher Übersichtlichkeit geprägt.

Verteidiger Meisers stimmten mit Kritikern im naiven Gebrauch rassistischer Sprache überein. Niemand spricht im Falle der Konversion von Katholiken zur evangelischen Kirche von "Protestanten katholischer Herkunft".

Aber getaufte, genauer: in der evangelischen Kirche getaufte Juden sind im Meiser-Streit fortwährend als "Christen jüdischer Herkunft" bezeichnet worden. Weil man politisch korrekt sein will, spricht man landeskirchlicherseits gern von den "jüdischen Mitbürgern". Warum nicht einfach deutsche Bürger?

Zu erheblicher Konfusion trug der aktuelle Inhaber des erstmals von Meiser eingenommenen Amtes bei. Dass das Amt eines starken Landesbischofs 1933 mit ausdrücklichem Rekurs auf das Führerprinzip geschaffen wurde, scheint ihm verborgen geblieben zu sein.

"Ökumenische Verdunkelungsgemeinschaft"

Eine von Landesbischof Johannes Friedrich in dieser Zeitung angekündigte Anwohnerklage gegen die Entwidmung der Meiserstraße erfolgte nicht, angeblich wegen eines Rechtsgutachtens, das von der Klage abriet. Man hätte es gern einmal gelesen. Aber weil die Kirchen eine Spezialbeziehung zum mysterium salutis pflegen, tun sie sich in ökumenischer Verdunkelungsgemeinschaft schwer mit Transparenz und Öffentlichkeit.

Von Juden hart angeblasen

Wer in der Leitung der Landeskirche den grandiosen Einfall hatte, der Stadt Katharina von Bora als Ersatz für Meiser zu präsentieren, ist nicht bekannt. Es dürfte in der Geschichte des modernen Protestantismus schon geistesgegenwärtigere Erleuchtungen geschehen sein.

Die Landeskirche hätte einen der mutigen protestantischen Pfarrer vorschlagen können, die unter hohem individuellen Risiko in sogenannten "Hilfsstellen für nichtarische Christen" Verfolgten zur Ausreise verhalfen, in München etwa Johannes Zwanzger.

Auch hätte man an einen jener liberalprotestantischen Theologen denken können, die sich seit der Jahrhundertwende im "Verein zur Abwehr des Antisemitismus" engagiert und früh schon den fundamentalen Gegensatz zwischen Kreuz und Hakenkreuz bezeichnet hatten.

Aber das waren alles Männer. Man braucht in der evangelischen Kirche heutzutage aber eine Frau, damit man nach all den ideologischen Verirrungen, die die Geschichte des modernen deutschen Protestantismus prägen, endlich einmal auf der genderpolitisch richtigen Seite steht.

Also fiel wem auch immer Luthers geliebte Ehefrau ein, die entlaufene Nonne Katharina von Bora, die schon im ausgehenden 16. Jahrhundert als Idealgestalt der protestantischen Pfarrfamilienfrau verehrt wurde. Im Wittenberger Pfarrhaus hatte sie für sehr klare Verhältnisse gesorgt: Hier hatte sie das Sagen, wohingegen ihr Martin "draußen in der Welt" wirken sollte.

Ehetreu und mit großem Familiensinn sorgte sie dafür, dass für Martinus und seine Mitstreiter immer genug Bier im Hause war, auch in der Fastenzeit der Altgläubigen. Die wachsende Judenfeindschaft ihres Ehemanns ist ihr nicht verborgen geblieben. Sie hat sie nicht nur geteilt, sondern wohl noch überboten.

Der späte Luther

1523 veröffentlicht Martin Luther einen kurzen, den Juden gegenüber freundlich gestimmten Traktat, "dass Jesus Christus ein geborner Jude sei". Luther wirft der Papstkirche hier vor, Juden so zu behandeln, "als wären es Hunde und nicht Menschen". Als erhoffte Missionserfolge ausbleiben, schlägt seine Stimmung um. Der späte Luther sieht in Juden nun Christusfeinde und ruft unverhüllt zu Pogromen auf.

Am 17. Januar 1546 reist er, "wiewohl alt und schwach", bei bitterkaltem Winterwetter in seine Geburtsstadt Eisleben, um in einem Erbstreit unter den dortigen Landesherren zu schlichten. Die Reise ist wegen der extremen Witterungsbedingungen schwierig und gefährlich. Ermüdet erkältet sich Luther. In einem Dorf kurz vor Eisleben, in dem viele Juden wohnen, erleidet er in "einem scharfen Wind" einen Ohnmachtsanfall. Am 1. Februar 1546 berichtet er dies seinem Käthchen.

"Liebe Kethe! Ich bin ja schwach gewesen auf dem Weg hart vor Eisleben, das war meine Schuld. Aber wenn du wärest da gewest, so hättestu gesagt, es wäre der Juden oder ihres Gottes Schuld gewest. Denn wir mussten durch ein Dorf hart vor Eisleben, da viel Juden innen wohnen, vielleicht haben sie mich so hart angeblasen.

So sind hie in der Stadt Eisleben itzt diese Stund über funfzig Juden wohnhaftig. Und wahr ists, do ich bei dem Dorf fuhr, gieng mir ein solcher kalter Wind hinden zum Wagen ein auf meinen Kopf durchs Parret, als wollt mirs das Hirn zu Eis machen. Solchs mag mir zum Schwindel etwas geholfen haben."

Luther will sich nach der Schlichtung der Erbstreitigkeiten aufs Wesentliche konzentrieren: "So muss ich mich dran legen, die Juden zu vertreiben". Dies ist sein letzter Brief an seine Frau. Ihm fehlt die Kraft, nach Wittenberg zurückzukehren, und er stirbt am 18. Februar in Eisleben.

Katharina von Bora gibt den Juden die Schuld an seinem Zusammenbruch. Sie dürfte noch judenfeindlicher als ihr Mann gewesen sein. Doch zur evangelisch-lutherischen Landesfrauenikone scheint sie noch zu taugen. Wird Judenfeindschaft geschichtspolitisch erträglicher, wenn sie 500 Jahre zurückliegt? Der Stadtrat der Landeshauptstadt München sollte nun ein Entwidmungsverfahren für die Katharina-von-Bora-Straße einleiten.

Der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern darf dabei kein Vorschlagsrecht mehr eingeräumt werden. Luthers letzter Brief an seine Frau ist seit gut sechzig Jahren im 11. Band des Briefwechsels der Weimarana, der großen Kritischen Gesamtausgabe der Werke des Reformators, in jeder besseren Bibliothek zugänglich. Nur im lutherischen Landeskirchenamt hat man wohl keine Lutherausgabe mehr.

Der Autor ist Professor für Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

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