Medizinethik:"Keine Versäumnisse": Uni-Kommission entlastet Kinderarzt Klein

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Der Mediziner hatte versucht, eine seltene Kinderkrankheit mit einer Gentherapie zu heilen. Doch die 2004 beantragte Studie schlug auf tragische Weise fehl.

Von Werner Bartens

"Kein Anhalt für ein wissenschaftliches, ärztliches, rechtliches oder ethisches Fehlverhalten", konstatiert der Abschlussbericht einer Kommission der Universität München. Das Gremium sollte die Hintergründe einer fehlgeschlagenen Gentherapie-Studie an Kindern mit lebensbedrohlichem Wiskott-Aldrich-Syndrom aufklären. Der Kinderarzt Christoph Klein hatte die experimentelle Studie 2004 an der Medizinischen Hochschule Hannover beantragt, 2006 begonnen und 2011 an die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) übernommen, wo er Direktor des Haunerschen Kinderspitals wurde.

Im Verlauf der Studie waren drei der neun behandelten Kinder gestorben, acht hatten Leukämie entwickelt. Das Süddeutsche Zeitung Magazin machte die Vorgänge publik. Der Vorstand des Münchner Klinikums sowie der Vorsitzende der Untersuchungskommission taten sich bei der Aufklärung der Fakten erkennbar schwer. Und am Ende blieben Fragen ungeklärt.

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Möglicherweise hätten die Todesfälle verhindert werden können: Wissenschaftsminister Spaenle und die Universität dringen auf Klärung, ob Christoph Klein bei seiner Studie sauber gearbeitet hat.

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"So traurig das ist, aber bei dieser Art Forschung an vorderster Front ist klar, dass mal etwas schiefgeht", sagte Udo Löhrs, der Vorsitzende der Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft am Montag bei der Präsentation des Berichts. "Nach damaligem Stand wurde regelhaft vorgegangen." Trotzdem bleibt ungewiss, ob Klein die Studie nicht hätte vorzeitig abbrechen müssen, weil Kinder Blutkrebs bekamen und - wie Löhrs es ausdrückt - "etwas schieflief". Dekan Reinhard Hickel gibt zu bedenken, dass immerhin "die Krankheit geheilt wurde, aber die Nebenwirkung Leukämie ist natürlich fatal".

Die Geschichte der Gentherapie ist seit ihren Anfängen auch eine Geschichte der Rückschläge. 1999 starb der 18-jährige Jesse Gelsinger an den Folgen. Nach der Jahrtausendwende wurden allein in Deutschland 16 geplante Gentherapiestudien nicht begonnen oder abgebrochen, weil es Probleme gab. Und in Paris brach Alain Fischer eine Gentherapie an Kindern ab, nachdem vier der zehn behandelten Patienten Leukämie entwickelt hatten. "Man kann aber auch die Daten aus Mailand betrachten und sagen: Eine solche Studie sollte man machen", sagt Löhrs. Der italienische Krebsexperte Alessandro Aiuti hatte seinerzeit Kinder mit Immundefekt per Gentherapie behandelt - und dabei war keine Leukämie aufgetreten.

Die Kommission hatte abzuwägen, ob der Forschungsstand von 2004 an für oder gegen eine Gentherapie mit den damals umstrittenen und heute obsoleten Vektoren ("Genfähren") der ersten Generation sprach. Die medizinischen Experten der Kommission waren der Neurochirurg Alexander Baethmann, 77, der Biochemiker Walter Neupert, 77, und der Pathologe Udo Löhrs, 78. Alle drei haben Verdienste in ihren Fächern, aber keiner hat je gentherapeutisch gearbeitet. Und als Christoph Klein seine fatale Studie begann, erreichten sie gerade das Pensionsalter.

Die Kommission hätte sich bundesweit Rat bei Kleins Fachkollegen in der Behandlung von kindlichem Krebs holen können, den Pädiatrischen Onkologen. Das tat sie jedoch nicht. "Da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen und zwei Lager - wir wollten keinen Kampf", sagte der Ärztliche Direktor des Münchner Klinikums, Karl-Walter Jauch am Montag. Aus ähnlichen Gründen habe man sich nicht mit der Medizinischen Hochschule Hannover abgestimmt, wo ebenfalls die Umstände von Kleins Studie untersucht werden. Die dortige Begutachtung ist noch nicht abgeschlossen, und dafür gebe es auch "keine Zeitvorgaben".

Zur zentralen Frage, ob die Eltern ausreichend über Risiken der Therapie aufgeklärt wurden und die Möglichkeiten einer alternativen Stammzelltransplantation ausreichend geprüft wurden, will die Münchner Kommission keine Versäumnisse feststellen. "Das ist nach allen formalen Regeln erfolgt", sagt Löhrs. "Aber wir waren ja nicht bei den Gesprächen dabei und können nur die Aktenlage bewerten." Karl-Walter Jauch sagt: "Es galt damals das Prinzip Hoffnung: Die Ärzte wollten mit neuen Forschungsansätzen helfen, und die Eltern hofften auf eine Behandlung mit weniger Nebenwirkungen - das ist leider fehlgeschlagen."

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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