Medizin:Ein Land ohne Aids

Kampagne will die Epidemie bis zum Jahr 2020 stoppen

Von Thomas Anlauf

Etwa 1000 Münchner sind mit HIV infiziert und wissen es nicht. Das zumindest schätzt der Aids-Spezialist und Internist Hans Jäger. Er war einer der ersten Mediziner weltweit, die sich schon vor mehr als drei Jahrzehnten mit dem Immunschwäche-Virus befassten. In seiner Praxis am Stachus erlebt er immer wieder schwerst erkrankte Menschen, die "aus allen Wolken fallen", wenn sie erfahren, dass sie an Aids erkrankt sind. Die bundesweite Kampagne der Aids-Hilfe "Kein Aids für alle!", welche die Epidemie bis zum Jahr 2020 in ganz Deutschland beenden will und erst vor wenigen Tagen gestartet ist, kann Jäger deshalb nur begrüßen. Deutschland ohne Aids-Kranke: "Das ist kein Traum mehr", sagt Hans Jäger.

Derzeit erkranken zwar immer noch jährlich etwa 1000 Menschen bundesweit an Aids, doch mittlerweile sind die meisten davon Patienten, die nichts von ihrer Infektion wussten und deshalb nicht rechtzeitig mit einer Therapie beginnen konnten. Denn bei einer guten Behandlung genügen laut Jäger "ein bis zwei Tabletten pro Tag", dadurch werde das Virus unterdrückt und sei nicht mehr ansteckend. Seit vergangenem Herbst gibt es sogar vielversprechende Forschungsergebnisse mit bereits existierenden Medikamenten für Menschen mit chronischen Darmerkrankungen, sagte der Münchner Internist am Dienstag. Doch bis die Forschung so weit sei, die Immunschwächekrankheit in den Griff zu bekommen, laute das Motto für Ärzte und Patienten: "testen, testen, testen".

Doch daran hapert es selbst in München nach wie vor. "Auch Ärzte sind mit dem Thema HIV nicht ausreichend vertraut", kritisiert Jäger. Viele praktizierende Mediziner hätten in ihrer Karriere noch nie einen an Aids erkrankten Patienten gesehen. Es gebe bis heute viel zu wenige HIV-Antikörpertests durch Ärzte.

Das soll die bundesweite Kampagne nun ändern. In München und in der Region wolle die Aids-Hilfe noch mehr mit Ärzten und Gesundheitsämtern in Kontakt treten und auch Menschen erreichen, die sich bislang noch nicht auf HIV haben untersuchen lassen, sagt Martin Jautz, Experte für Prävention bei der Münchner Aids-Hilfe. "Alles wird untersucht und behandelt, aber nicht in Hinblick auf Aids", sagt Jautz.

Das bestätigt auch Christopher Knoll von der psychosozialen Beratungsstelle der Aids-Hilfe. "Bei besseren Schulungen der Ärzte hätte man die Patienten schon früher erreicht", sagt der Psychologe. So hätten HIV-Infizierte mit Symptomen wie einer Gürtelrose oder starkem Nachtschweiß durchschnittlich schon 2,3 Arztbesuche hinter sich, bis ein Mediziner schließlich dem Verdacht auf HIV-Immunschwäche nachgehe. Wichtig sei aber auch, potenzielle Patienten zu erreichen. So bietet die Münchner Aids-Hilfe seit Langem kostenlose HIV-Tests an. Ergebnisse werden auch telefonisch mitgeteilt, um die Hürde eines persönlichen Ergebnisgesprächs abzubauen. Von Herbst an können sich Münchner bei der Aids-Hilfe sogar mit Selbsttests versorgen, was die frühzeitige Erkennung von Infektionen weiter verbessern soll.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: