Medikamente-Test:Experimente mit Spinnengift

Es geht um sehr wenig, zunächst: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Dann geht es aber um sehr viel: Um Menschenleben, um Krankheiten und darum, was erlaubt ist bei der Suche nach neuen Kuren gegen den Krebs.

Stephan Handel

"Forscher" Dirk W. experimentiert mit Spinnen gegen Krebs - jetzt muss er sich vor Gericht verantworten

Dirk W., 36, glaubt, auf dem richtigen Weg zu sein - er willKrebs mit dem Gift von Spinnen und von Schlangen heilen. Die Methode hat er im Reagenzglas ausprobiert, dort funktioniert sie schon recht gut, sagt er.

Weil aber seine Hausärztin einige ihrer Krebspatienten so behandelt hat, weil Dirk W. ihr dazu Gift-Präparate überlassen hat, ist er jetzt angeklagt wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittel-Gesetz.

Der Prozess gestern am Amtsgericht ist zunächst ein Krieg der Juristen: Staatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch bezweifelt die Berechtigung der Verteidigerin Sylvia Klass, Dirk W. zu vertreten, weil sie angeblich eine Belastungszeugin juristisch beraten hat. Unterbrechung. Amtsrichter Thomas Farnbacher: Antrag abgelehnt. Sylvia Klass kontert: Sie beantragt, die Anklageschrift nicht zu verlesen, weil sie nach ihrer Meinung nicht darlegt, was ihrem Mandanten überhaupt vorgeworfen wird. Unterbrechung. Antrag abgelehnt. Verlesung der Anklage.

Dirk W. hat Spinnen, Schlangen, Skorpionen ihr Gift abgenommen und experimentiert, ob, wie und warum diese Stoffe Krebszellen abtöten können. Im Juni 2000, so die Anklage, hat er seiner damaligen Hausärztin Eva N. seine Präparate zur Verfügung gestellt, die damit Krebspatienten behandelte - mit unterschiedlichem Erfolg: Ein kleiner Bub wurde angeblich geheilt, andere Patienten starben trotz der Behandlung.

Weit entfernt, sagt Dirk W. immer wieder, sei er noch davon, seine Mittel wirklich in die klinische Praxis einzuführen; im Moment gehe es nur um Grundlagenforschung. Schon gar nicht sei daran zu denken, die Präparate als Arzneimittel und gewerbsmäßig zu vermarkten - genau das wirft der Staatsanwalt ihm vor.

Ganz falsch, sagt die Verteidigung: Es sei schon mal nicht sicher, ob die Präparate überhaupt Arzneimittel im Sinne des Gesetzes seien - was nichts mit ihrer Wirk- oder Unwirksamkeit zu tun hat. Und von Gewerbsmäßigkeit könne überhaupt keine Rede sein: Dirk W. habe ja kein Geld dafür bekommen.

Eva N., die Ärztin, wird in den Zeugenstand gerufen. Nach einigem Hin und Her und einer weiteren Unterbrechung darf sie ihn ohne Aussage wieder verlassen - sie könnte sich selbst belasten und darf deshalb schweigen.

Das Verfahren gegen sie ist vor einiger Zeit eingestellt worden. Als nächstes wird der sachbearbeitende Polizeibeamte vernommen, der sich aber an praktisch nichts aus seinen Vernehmungen erinnern kann, und die wichtigste Frage hat er vergessen zu stellen: ob Dirk W. Geld bekommen hat.

Der Angeklagte sitzt während des gesamten Vormittags schweigend auf der Anklagebank. Auf die Frage nach seinem Beruf hat er nur ein Wort gesagt: "Forscher."

Allerdings weiß jeder im Saal, dass er keine akademische Ausbildung hat, dass er sich alles selbst beigebracht hat, was er über Spinnen, Schlangen und ihre Gifte weiß - auch wenn das anerkannt viel ist. Zwei Patente hat er auf die Ergebnisse seiner Arbeiten erhalten, aber auch das sagt nichts über die Wirksamkeit.

Der Vormittag ist verstrichen mit Anträgen und Zeugen, die Verhandlung wird auf kommenden Freitag vertagt. Viel Aufwand, wenn man bedenkt, dass es am Ende gerade mal um eine Geldstrafe gehen wird. Und doch: Es geht um so viel mehr.

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