Maxvorstadt:Unterwegs mit Fräulein Lou

Mit Autorin Heidi Rehn auf Spuren ihres historischen Romans

Mit Autorin Heidi Rehn auf den Spuren ihres historischen Romans "Tanz des Vergessens".

(Foto: Florian Peljak)

Heidi Rehn führt zu den Schauplätzen ihres Zwanzigerjahre-Romans

Von Andrea Schlaier, Maxvorstadt

Lou hätte die warme Frühlingsluft schon gereicht zum Glück. Endlich, nach Tagen des Schneeregens. Und das Anfang Mai. Wieder mal die Theresienstraße entlang spazieren, vorbei am Café Stefanie, dem Ecklokal mit der großzügigen Fensterfront und den dunkelroten Samtvorhängen, wo sich vor kurzem noch die Bohème zu Hefeschnecken mit Rosinen getroffen hat, die Intellektuellen, die Theaterleute von den Kammerspielen und ja, natürlich, auch die Revolutionäre. Aber der Mai 1919 war blutig in dieser Stadt, und die Fassaden der Theresienstraße sind übersät mit Einschusslöchern. Das alte Regime war weg, der König, der Kaiser in Berlin auch, aber mittlerweile auch die aus Russland gespeiste Hoffnung auf eine Räterevolution. Niedergeschlagen, von den schwer bewaffneten Freikorpslern, die mit den weißen Armbinden der Sieger durch die Straßen stolzierten.

Heidi Rehn steht vor dem alten "Stefanie", von dem nicht viel mehr geblieben ist als die großzügige Fensterfront. Die Autorin ist umringt von einer kleinen Gruppe, die konzentriert lauscht. Der rauschende Verkehr nimmt keine Rücksicht auf die historischen Ausführungen der Frau mit der selbstbewusst geschwungenen Sonnenbrille. Rehn ist auf Tour. Das neue, zwölfte Werk der Münchner Spezialistin für historische Gesellschafts- und Beziehungsromane spielt in der Maxvorstadt, Ende der Räterepublik im Mai 1919 bis zum Hitler-Putsch im November 1923. Protagonistin ist Lou, eine jungen Täschnerin, deren Verlobter am ersten schönen Nachkriegsfrühlingstag von einer verirrten Kugel niedergestreckt wird. Die Freundin stürzt sich ins Vergessen, ins Bohème-Leben mit seinen Frauen-Box-Kämpfen, Faschingsbällen und in eine alimentäre Liebesbeziehung. Rehn, die Germanistik und Geschichte studiert hat, webt ihr in Archiven, Bibliotheken und Museen akribisch recherchiertes Konvolut ins Leben der Stadt vor 100 Jahren ein. "Tanz des Vergessens" heißt es und ist bei Droemer-Knaur erschienen.

Eine bestechend hübsche Idee, diese gesellschaftspolitisch zerrissene Übergangszeit mit ihren absurd dekadenten Kriegsgewinnlern und verschwenderisch experimentierenden Künstlern zur erzählerischen Kulisse auch eines Spaziergangs zu machen. "Weil der Roman im Sommer erscheint und quasi vor meiner Hautür spielt und dann auch noch in meiner Lieblingszeit", sagt Heidi Rehn, habe sich so ein Rundgang fast aufgedrängt. Und gleichzeitig "ist man berührt, dass man Tag für Tag an Plätzen vorbeiläuft", die politisch und gesellschaftlich einmal eine große Rolle gespielt haben und jetzt mit fiktivem Leben gefüllt werden. Rehn legt auf der eineinhalbstündigen Tour immer wieder einen Vorlesestopp ein.

Zum Beispiel am Karolinenplatz mit der Hausnummer fünf. In dem ehemaligen Palais, in dem heute der Bayerische Sparkassenverband hinter klassizistischen Fassade residiert, wurde Hitler, dieser merkwürdig nuschelnde Österreicher in seinem braunen Straßenanzug, 1924 in die bessere Gesellschaft eingeführt. Elsa Bruckmann hat das übernommen, die große Salondame dieser Zeit. "In meinen Roman habe ich auch einen Salonabend am Karolinenplatz 5 mit Hitler reingepackt", erzählt Rehn, dokumentierte Vorlagen gibt es reichlich. Hitler tritt im gelben Gummimantel auf, umringt von Männern in Frack und Smoking trägt offen seinen Revolver am Halter zur Schau. ". . . Niemand störte sich an der Waffe, ebenso wenig zollte jemand der Reitpeitsche sonderlich Beachtung, die Hitler die ganze Zeit in der rechten Hand hielt und sichtlich nervös immerfort gegen seinen Oberschenkel schlug."

Rehns Protagonistin ist unversehens auch in dieser Gesellschaft gelandet durch eine pikante Liaison: Ernst Hoffoldinger, ein verheirateter Mann, reif an Jahren, aus der besseren Gesellschaft und Liebhaber des Mädchen Lou. Die beiden verkehren auch im "Lieblingscafé" der 48 Jahre alten Autorin, dem Café Luitpold an der Brienner Straße. In den 1920er und 1930er Jahren trafen sich dort die Geldigen und Künstler aus gutem Hause unter anderem zum Tanz mit Live-Musik. Lou und ihre lesbische jüdische Freundin Judith Lichtblau, Gesellschaftsjournalistin der Arbeiter-Zeitung in Wien, schlürften dort nicht nur Luitpold-Limonade. Auch Rehns Gäste können am Ende des Rundgangs die Erfrischung aus Passionsfrucht, Limette, Grapefruitsaft und kühlem Soda zu sich nehmen. Und angefüllt auch mit historischem Wissen den schwelgerisch formulierten Lebensschleifen des romantischen Fräulein Lou nachhängen. In der warmen Sommerluft.

Die nächsten Streifzüge zu den Schauplätzen von Heidi Rehns Roman "Tanz des Vergessens" finden am Freitag, 17. Juli, 18 Uhr, und Sonntag, 2. August, 11 Uhr, statt. Anmeldung an heidi@dierehn.de oder unter der Telefonnummer 01577/939 78 01.

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