Maxvorstadt:Investoren schütteln den Denkmalschutz ab

Die Bewohner der Häuser Türkenstraße 52 und 54 befürchten, dass sie systematisch vertrieben werden sollen. Rechtlich haben sie wenig in der Hand.

Ellen Draxel

Die Mieter sind noch immer aufgebracht. Ursprünglich hätte am Tag des offenen Denkmals eine Führung durch ihre Häuser stattfinden sollen. Es galt, die Bürger zu sensibilisieren - für das historisch gewachsene Ensemble Türkenstraße 52 und 54, das vom Abriss bedroht ist. Mieter und Stadtteilpolitiker befürchten die systematische Vertreibung der Bewohner durch den neuen Eigentümer, die "Türkenstraße 52/54 GmbH & Co.KG".

Ein Antrag auf Abbruch und Neubau von Wohnungen mit Dachterrassen und Tiefgaragen wurde bei der Lokalbaukommission eingereicht, Nummer52 prompt vom Landesamt für Denkmalpflege aus der Denkmalliste gestrichen.

72 Stunden vor dem Termin der Führung kommt das Aus: Die Investoren untersagen "das Begehen des Innenhofs und der allgemein zugänglichen Flächen". Jetzt stehen private Sicherheitsleute vor dem Hauseingang und verlangen von den Mietern, die Türen zu schließen. "Ich sollte mich nicht einmal mehr mit meinem Nachbarn unterhalten dürfen", entrüstet sich ein Anwohner noch immer.

Doch der Maxvorstädter Bezirksausschuss, Initiator der Führung und Kämpfer für Sanierung statt Abriss, lässt nicht locker. Am "Tag des Denkmals" postiert man sich vor dem Eingang - genau neben den Sicherheitsleuten.

"Das hatte eine unfreiwillig humoristische Note", erinnert sich Oskar Holl (SPD), Vorsitzender des Stadtteilgremiums. Statt eines offenen wird das erste nicht offene Denkmal präsentiert. Binnen kurzer Zeit bildet sich eine Menschentraube. "Wir haben eine Petition ausgelegt", sagt Holl: Haus 52 soll wieder die Denkmalwürde erhalten. In drei Stunden unterschreiben 180 Menschen - jede Minute ein anderer.

Und während die einen unterzeichnen, wird das Besichtigungsverbot elegant ausgehebelt: "Wir haben die Besucher privat zu uns eingeladen", schmunzeln die Mieter. "Und keiner macht die Augen zu, wenn er durchs Treppenhaus geht."

"Im Grunde war das Ganze ein politisches Happening", resümiert Holl. Die Mieter haben parteiübergreifend Rückhalt gefunden, unter anderem bei den Bundespolitikern Axel Berg (SPD) und Johannes Singhammer (CSU) sowie den Landespolitikerinnen Margarete Bause (Grüne) und Isabell Zacharias (SPD). Inzwischen liegen dem Petitionsausschuss des Landtags 400 Unterschriften vor.

Das Engagement für die Türkenstraße 52/54 ist auch deshalb so hoch, weil "es darum geht, das Viertel als soziale Einheit zu erhalten", betont ein Mietersprecher. "In unserem Ensemble wohnen Uniprofessoren neben Handwerkern, Künstlern, dem Hausmeister und einer Studenten-WG." Diese typische Maxvorstädter Mischung werde zerstört, sobald alteingesessene Mieter vertrieben und die Wohnungen luxussaniert würden - mit anschließend horrenden Mieten.

Der Kinderbuchautor Ali Mitgutsch, der einen Stock höher wohnt, wird noch deutlicher: "Die wohlhabenden Leute, die sich ja nur zeitweise in den teuren sanierten Appartements in München aufhalten, stellen nicht die Wohnstruktur dar. Sie sind eher ein Krebsgeschwür."

Mitgutsch lebt seit 1964 in der Türkenstraße 54. Die Tendenz der systematischen Entmietung beobachtet er schon länger. "Das wirklich Schreckliche ist, dass jetzt eine neue Welle von Luxusspekulanten über unser Viertel hinwegschwappt." Die Investorengruppe "Türkenstraße 52/54 GmbH & Co. KG", vertreten durch die Münchner Anwalts-, Steuerberater- und Wirtschaftskanzlei Braun/Leberfinger/Ludwig/Weidinger, ist den Mietern bekannt. Mitgutsch: "Es sind immer dieselben, die haben in der Gegend schon einige Häuser saniert."

Der Mietersprecher sieht Absicht im Vorgehen der neuen Eigentümer: "Unser früherer Hausherr hat die Wohnungen sehr gut gewartet und regelmäßig renoviert." Seit 2007 aber würden die Häuser "systematisch vernachlässigt und entmietet".

"Keine Probleme mit den Mietern" habe man bei den drei oder vier Projekten im Viertel gehabt, sagt hingegen Hannes Ritter, Sprecher der Investoren. Den Abrissantrag habe man gestellt, weil die Türkenstraße 52 in einem "sehr sehr schlechten baulichen Zustand" sei und keine Denkmal-Elemente mehr habe.

Um ein "Zeichen der Kooperation" zu setzen "und damit der BA sieht, dass wir deren Belange beachten", will die Firma jetzt einlenken: "Wir sind lose mit der Lokalbaukommission und dem Landesamt für Denkmalpflege übereingekommen, das Vordergebäude von Haus 52 in wesentlichen Grundzügen zu erhalten", verrät Ritter. Das Rückgebäude dagegen und der Hof sollen erneuert werden.

Warum aber hat das Landesamt für Denkmalpflege der Nummer 52 die Denkmalwürde überhaupt aberkannt? Burkhard Körner, zuständig für die Denkmalerfassung in München, schildert die Prüfung als einen ganz normalen Vorgang - sobald ein Antrag auf Abriss eingeht. In diesem Fall entschied sich Körner gegen den Denkmalschutz: Zu viel habe sich an dem Gebäude verändert. "Das Mietshaus im 19.Jahrhundert hatte einen Stock weniger, es wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und immer wieder umgebaut."

Der Sprecher der Mietergemeinschaft, selbst Kunsthistoriker, findet es dagegen "absolut grotesk", unterschiedliche Fassaden und Kriegsschäden derart zu interpretieren. Holl teilt diese Meinung: Beide Häuser seien erst Anfang des Jahres in zwei Bildbänden als Denkmäler aufgeführt worden.

Rechtlich haben die Mieter nicht viel in der Hand. Wolle der Vermieter kündigen, müsse er finanzielle Nachteile durch ein Festhalten an der Situation geltend machen, erklärt Thomas Vogt von der städtischen Mietberatungsstelle. Das könnten zu niedrige Mieten sein oder die Absicht, durch mehr Wohnraum die Einkünfte erhöhen zu wollen.

"Der Vermieter darf seinen Kündigungsgrund aber nicht selbst herbeiführen", so Vogt - etwa durch unterlassene Renovierung. "Das wäre bei einem Räumungsstreit ein Punkt für den Mieter." Wer zudem länger als acht Jahre Mieter ist, hat Anspruch auf neun Monate Kündigungsfrist. Nur sehr alte und kranke Menschen haben unter Umständen Sonderrechte - wegen unzumutbarer Härte. Zu entscheiden hat das ein Richter.

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