Maxvorstadt:Das Drama in der Zentnerstraße

Großeinsatz der Polizei in München Maxvorstadt

Die Polizei im Großeinsatz in der Maxvorstadt.

(Foto: dpa)

Stundenlang hält die Schießerei nach einem Familienstreit die Polizei in Atem - mit einer Kugel trifft sie auch das Opfer

Von Martin Bernstein

Das Opfer der Schießerei in der Maxvorstadt am Dienstagabend ist offenbar doch noch nicht außer Lebensgefahr. Der 24-jährige Syrer liegt mit drei Schusswunden im Oberkörper und im Oberarm in einer Münchner Klinik im künstlichen Koma. Bei der Sicherstellung der Projektile zeigte sich, dass nur zwei der Schüsse aus der Waffe des 40-jährigen Täters stammen. Das dritte Projektil, möglicherweise ein Querschläger, stammt aus einer Polizeiwaffe.

Der genaue Ablauf des Geschehens in der Zentnerstraße wirft noch zahlreiche Fragen auf, weswegen die Münchner Mordkommission (Telefon 089/29100) Augenzeugen des Geschehens aufgefordert hat, sich zu melden und mögliche Handyaufnahmen vom Geschehen den Ermittlern zur Verfügung zu stellen. Den Schusswaffengebrauch durch die Polizei überprüft, wie in solchen Fällen üblich, das Landeskriminalamt als neutrale Dienststelle. Insgesamt gaben die beiden Beamten, die als erste am Tatort eingetroffen waren, fünfzehn Schüsse ab. Einer davon traf den Angreifer, den in Bagdad geborenen Münchner Hassan A., in den rechten Oberschenkel. Nach erster Einschätzung der Staatsanwaltschaft gibt es keine Zweifel, dass der Schusswaffengebrauch durch die Polizisten rechtmäßig war.

Fast drei Stunden dauert der Nervenkrieg: Der Täter droht, sich zu erschießen

Ausgerechnet zwei Gutachtertermine bei einer Psychologin im Sorgerechtsstreit zwischen dem 40-Jährigen und seiner von ihm getrennt lebenden, 24-jährigen Frau führten zu der blutigen Konfrontation auf offener Straße. Was genau geschah, ist laut Markus Kraus, dem Chef der Münchner Mordkommission, noch nicht vollständig geklärt. Die Polizei war alarmiert worden, weil Hassan A. und der 24-jährige Syrer in einem Café in unmittelbarer Nähe des späteren Tatorts aneinander geraten waren. Möglicherweise hatte der Syrer - es handelte sich um einen im vergangenen Jahr eingereisten Verwandten und neuen Lebensgefährten der Frau - dort auf seine Freundin gewartet. Als die von der Frau zu Hilfe gerufenen Beamten am Ort des Geschehens eintrafen, hatte sich die Auseinandersetzung auf die Zentnerstraße verlagert - und dramatisch zugespitzt. Hassan A. zog einen Revolver des Kalibers 38 und feuerte mindestens zwei Schüsse auf seinen Rivalen ab. Während die Polizisten das Feuer auf den Täter eröffneten, konnten sich der angeschossene Mann und seine Freundin in Sicherheit bringen. Weitere Beamte und ein zufällig vorbeikommender Arzt übernahmen die Erstversorgung des Schwerverletzten, bevor dieser ins Krankenhaus gebracht und dort sofort operiert wurde. Nach Auskunft der Mordkommission hat der 24-Jährige auch innere Verletzungen erlitten. Die Frau wurde zunächst vom Kriseninterventionsteam betreut und anschließend zur Beobachtung über Nacht ebenfalls in eine Klinik gebracht.

Für die Polizei und die Anwohner der abgeriegelten Zentnerstraße begann ein fast dreistündiger Nervenkrieg. Der Täter lag auf dem Gehsteig und hatte seine Waffe gegen sich selbst gerichtet. Wenn jemand näherkomme, werde er sich erschießen, drohte er. Die Waffe habe er sich illegal in Tschechien besorgt, rief er seinen Gesprächspartnern vom psychologischen Dienst zu. Erschwert wurden die Verhandlungen durch zahlreiche Gaffer, die aus den Fenstern und von Balkonen das Geschehen fotografierten und damit nicht nur sich selbst gefährdeten, sondern den angeschossenen Täter laut Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins immer nervöser und damit unberechenbarer machten. Kurz vor 21 Uhr griffen Polizisten der Spezialeinheit Südbayern zu: Mit Ablenkungsmunition erschreckten sie den Täter kurzfristig. Das genügte, um ihn festzunehmen.

Hassan A. wird sich laut Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch nun wegen versuchten Mordes verantworten müssen. Der Bluttat vorausgegangen ist ein monatelanger Streit um das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder, einen elfmonatigen Sohn und eine vierjährige Tochter. Seit Dezember sind die beiden Kinder in der Obhut des Münchner Jugendamts. Bereits im August 2015 soll Hassan A. bei einem Treffen in Neu-Ulm gewalttätig gegen seine von ihm getrennt lebende Frau geworden sein. Im Oktober kam es dann zu einem Zwischenfall, bei der der in Pasing lebende Mann zwei Stiche mit dem Küchenmesser abbekam. Seine Frau gab an, er habe sie genötigt, auf ihn einzustechen. Mit ihren beiden Kindern reiste die mittlerweile in Baden-Württemberg lebende Frau dann nach Schweden. Ihr Mann erstattete Anzeige wegen Kindesentziehung. Die Ermittlungen wurden jedoch eingestellt - das Jugendamt war über die Reise informiert.

Am Rande der Schießerei wurde ein mit Blaulicht und Martinshorn zum Tatort fahrendes Polizeiauto in einen Unfall verwickelt. Zwei 21 und 24 Jahre alte Polizeibeamte wurden dabei leicht verletzt, ebenso ein 35-jähriger Autofahrer. Mindestens drei in der Zentnerstraße abgestellte Autos wurden bei dem Schusswechsel durch umherfliegende Kugeln beschädigt.

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