Maxvorstadt:Aus Liebe zur Bühne

Maxvorstadt: Großes Theater: Auch "Alice im Wunderland" gehört zum Repertoire.

Großes Theater: Auch "Alice im Wunderland" gehört zum Repertoire.

(Foto: Catherina Hess)

Einst im Glockenbachviertel gegründet, feiert das "Theaterspielhaus" an der Rottmannstraße nun sein 20-jähriges Bestehen

Von Ellen Draxel, Maxvorstadt

Anna Sanden hat bereits Richter Azdak in Brechts Kaukasischem Kreidekreis verkörpert, sie ist in die Rolle des gestiefelten Katers geschlüpft, hat einen Diener in Strumpfhosen und eine böse Königin gemimt. Und jedes Mal konnte sie dabei "ein bisschen etwas Neues" über sich selbst erfahren. Die Mathematikerin war neun, als sie das erste Mal auf der Bühne stand - in einem Hinterhofhäuschen im Glockenbachviertel mit einer neu gegründeten Theatergruppe. 20 Jahre ist das jetzt her. Nun feiert das "Theaterspielhaus", bis heute Annas zweite Heimat, am 16. Oktober Geburtstag.

Theaterchefin Eva Marie Koblin kann es kaum glauben. Die Jahre sind wie im Flug vergangen, seit die ehemalige Grund- und Waldorfschullehrerin mit damals 45 Jahren endlich ihren Kindheitstraum von einem eigenen Theater verwirklichen konnte. Mit 25 Schülern fing sie 1996 an, schon nach zwei Jahren zog das Team aus Platzgründen in ein ehemaliges Glaslager an der Rottmannstraße um. "Um die Bühne zu bauen, hatte ich mir eine Schubkarre geliehen und tonnenweise Kies angeschleppt", erinnert sich Koblin. Nichts war da, kein Vorhang, keine Ausstattung, keine Requisiten: "Alles musste ich selbst bauen, und die Kostüme habe ich auf Flohmärkten zusammengesucht."

Dem Charme hat das keinen Abbruch getan, im Gegenteil: Das Theater wirkt noch immer wie ein großes, heimeliges Wohnzimmer, in dem sich die Schauspieler sichtlich wohlfühlen. 18 Gruppen mit mehr als 220 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und so klangvollen Namen wie "Die Sternlilien", "Butterflies", "Die Lustigen Langusten" oder "Die Bambelbis" hat das Theaterspielhaus inzwischen, geführt von neun theatererprobten Mitarbeitern. "Jede Woche treffen wir uns für 90 Minuten, um Gedanken auszutauschen, Themen zu bearbeiten, zu spielen, zu proben, zu dichten, zu improvisieren, zu lachen, Freundschaften zu schließen und sich für das Theater zu begeistern", sagt Koblin.

Die Schüler stammen aus 40 Ländern: "Bei uns kann jeder mitmachen. Egal, wo er herkommt, ob er begabt ist oder nicht." Wichtig sind weder sozialer Status noch Geschlecht, Hautfarbe oder Bildung. Was zählt, sind allein der Spaß und die große Chance, aus sich herauszugehen: "Das Ausprobieren verschiedener Rollen löst oftmals Blockaden, die durch Gespräche allein nicht aufzubrechen sind." Theater spielen, erklärt die Chefin, sei "ein sozialer Weg der Selbstfindung: Wer auf der Bühne steht, entfaltet sich selbst, beweist Mut, muss spontan, fantasievoll, kreativ und ausdrucksstark sein." Gestik, Mimik und das Sprachvermögen werden entwickelt. Und natürlich der Teamgeist: "Verständnis für sich und andere zu haben, das ist ganz selbstverständlich."

Mehr als 200 Stücke sind so in den vergangenen zwei Jahrzehnten an der Rottmannstraße 7a aufgeführt worden. Meist waren es Eigenproduktionen, entstanden durch Improvisation auf Basis der Rollen, die die Schüler gerne spielen wollten. Langfristige Theaterprojekte mit Flüchtlingen machen Koblin und ihr Team bereits seit mehr als zehn Jahren.

Wie sehr die jungen Menschen das Theaterspielhaus schätzen, zeigt sich daran, wie lange viele von ihnen schon dabei sind. Vanessa Hertwig zum Beispiel: Die 30-Jährige war selbst mal Schülerin, jetzt leitet sie sechs Theatergruppen und ist Koblins Stellvertreterin. Oder eben die Mathematikerin Anna Sanden. "Viele hier sind mit uns groß geworden", freut sich Eva Marie Koblin im Rückblick, "und das ist schon etwas Besonderes".

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