Marilyn Manson im Zenith:Im Kopf von Marilyn

Amerikanische Albträume, schwarze Romantik, ein furchterregendes Make-up und harte Akkorde: Marilyn Manson gab im Münchner Zenith den "Schockrocker". Doch: Wen beeindruckt das eigentlich noch?

Jochen Temsch

Was ist das eigentlich für eine Welt? In Deutschland lassen Eltern ihre Kinder verhungern, Frankreichs deklassierte Jugend macht mit Schrotflinten auf sich aufmerksam - und ein singendes Tuschekästchen wie Marilyn Manson wird penetrant als "Schockrocker" bezeichnet.

Marilyn Manson im Zenith: Schockrocker? Marilyn Manson.

Schockrocker? Marilyn Manson.

(Foto: Foto: dpa)

Das einzige schockierende an dieser Kunstfigur, mit der der ehemalige Musikjournalist Brian Warner seelische Abgründe, amerikanische Albträume und schwarze Romantik verkörpert, ist, dass er als Überbringer schlechter Botschaften von religiösen Eiferern immer noch wie eine Ursache des Übels bekämpft wird. Dabei ist Manson längst im Mainstream angekommen. Seit seinem Auftritt in Michael Moores "Bowling for Columbine" finden ihn auch jene ganz okay, die seinen lärmenden Gothic- und Industrialsound nicht mögen. Umso beachtlicher, wie großartig sein Konzert zum Auftakt einer kurzen Deutschlandtour im Zenith gerät.

Denn zum einen erwidert Manson neuerdings die Zuneigung des Publikums, das er bei seinen ersten Münchner Auftritten gerne mal versetzte oder völlig verpeilt mit Flaschen bewarf, mit der Präsentation seines nackten Hinterns nervte und nach drei Songs stehen ließ.

Der neue Manson dient seine Songs mit all den stinknormalen Konventionen des Stadionrocks an: "Klatsch"-Animation, "Munich"-Anbiederung und "Yeah"Schrei-Wettbewerb inklusive. Andererseits folgt die Show einer grandiosen Dramaturgie, die den Zuschauer im Verlauf der exakt 90-minütigen Darbietung immer tiefer in das Mansonsche Panoptikum des Vernarbten, Verkrüppelten, Grotesken, Bizarren und Morbiden hineinzwingt.

Los geht es hinhaltend langsam mit der eiskalten Todesromanze "If I Was Your Vampire", die auch das aktuelle Album "Eat Me, Drink Me" eröffnet. Manson, mit fluoreszierender Kriegsbemalung, sticht seine Zeilen beim Singen mit einem Mikro in Form eines Fleischermessers in die Luft. Darauf folgt die ältere, trommelgetriebene Abgeh-Nummer "Disposable Teens" und dann überhaupt ein revuehaftes Wechselspiel aus sicheren Publikums-Knallern und Songs, die emblemartig verschiedene Phasen repräsentieren, in denen sich Manson - Kollegin Madonna nicht unähnlich - immer wieder neu erfunden hat.

Jeder Hit ist eine Mini-Theaterinszenierung. Manson singt als Fanatiker vom stilisierten Reichsparteitagspodest, den "Fight Song" bringt er in einem Boxring. Seine Begeisterung fürs Psychedelische am "Alice in Wonderland"-Autor Lewis Carroll fließt als Hörspiel vor dem Song vom Weißen Kaninchen "Are You The Rabbit?" ein. Euphorisierender Schluss ist mit dem von Manson selbst oft kopierten Über-Hit "The Beautiful People".

So endet ein fulminantes Rock-Konzert als Beispiel dafür, wie man ein Publikum unterhält, indem man ihm gibt, was es will - aber seinen Kunstanspruch nicht hinterherwirft. Und - es ist so paradox, dass es schon wieder zu Manson passt - für eineinhalb Stunden ist die Welt im Zenith in Ordnung.

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