Mangel an Justizwachtmeistern:Chaos vor Gericht

Warten auf den Angeklagten: An den Münchner Gerichten sind nach dem Mord an einem Staatsanwalt in Dachau die Einlasskontrollen verschärft worden. Jetzt fehlen die Justizwachtmeister an anderer Stelle.

Christian Rost

An den Münchner Strafgerichten herrscht ein eklatanter Mangel an Sicherheitspersonal. Die Not ist mittlerweile so groß, dass Prozesse erst mit stundenlanger Verspätung beginnen können, weil die inhaftierten Angeklagten nicht rechtzeitig aus den Gefängnissen zu den Verhandlungen gebracht werden können. Grund dafür sind die an sämtlichen Gerichten verschärften Einlasskontrollen, seitdem fehlen die Justizwachtmeister an anderer Stelle.

Prozess um Tötung eines Ehepaares

Ein Angeklagter im Gericht: In München kommen sie derzeit oft erst Stunden nach dem angesetzten Prozesstermin in den Gerichtssaal.

Fünf Prozesse am Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße konnten am Dienstag erst mit erheblicher Verzögerung beginnen. Obwohl bei den Wachtmeistern "alles lief, was Beine hat", so der Münchner Amtsgerichtspräsident Gerhard Zierl, mussten Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Zeugen am Amtsgericht und den Landgerichten München I und II teils stundenlang auf die Angeklagten warten.

Im Fall eines mutmaßlichen Vergewaltigers aus Poing, der sich am Landgericht München II verantworten sollte, verzögerte sich der Prozessbeginn fast um einen halben Tag. Zu solchen chaotischen Zuständen bei der Justiz kann es in den nächsten Monaten noch öfter kommen.

Seit den tödlichen Schüssen auf einen Staatsanwalt im Amtsgericht Dachau haben die Einlasskontrollen an den Gerichtsgebäuden Priorität. Mehr Justizpersonal steht bislang aber nicht zur Verfügung. Erst zum 1. Juni 2012 werden bayernweit 70 Wachtmeister neu eingestellt - sie müssen allerdings zunächst ihre 18-monatige Ausbildung durchlaufen und können in dieser Zeit allenfalls während ihrer Praktikumsphasen an den Gerichten "unterstützend" tätig sein, so ein Sprecher des Justizministeriums auf Anfrage. Insgesamt hat Justizministerin Beate Merk (CSU) den bayerischen Gerichten 455 zusätzliche Stellen beim Wachpersonal versprochen.

Schon vor der Bluttat in Dachau gab es immer wieder Probleme im Sicherheitsapparat. Um Häftlinge rechtzeitig als Angeklagte oder Zeugen vor Gericht abzuliefern, mussten sich die Wachtmeister mitunter unorthodoxer Methoden bedienen. Üblicherweise sind wegen Fluchtgefahr je zwei Vorführbeamte einem Häftling zugeteilt. In der Praxis kam es vor, dass nur ein Beamter einen Delinquenten bewachte.

Vor der Bluttat in Dachau konnten die Strafgerichte in Spitzenzeiten noch Wachtmeister von den Zivilgerichten zu Hilfe rufen. Solche kurzfristigen Umorganisationen sind nun nicht mehr so einfach möglich, weil auch an den Familien-, Nachlass- und anderen Zivilgerichten ständige Kontrollen an den Eingängen vorgeschrieben sind.

Amtsgerichtspräsident Zierl, der für die Sicherheit am Münchner Strafjustizzentrum verantwortlich ist, rechnet damit, dass es bis Herbst dieses Jahres wegen des Personalmangels immer wieder zu "Engpässen" kommt. Sobald einzelne Beamte ausfallen, können die Abläufe im Justizapparat durcheinander geraten. Am Dienstag fehlte krankheitsbedingt nur ein einziger Wachtmeister am Strafjustizzentrum.

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