Märchenhaftes Jobcenter:Wo das Leben einfach hartzgrausig ist

Wegen der Hartz-IV-Reformen ist bei der Arbeitsvermittlung nicht alles so rosig, wie es dargestellt wird

Dieter Hanitzsch, Forum-Karikatur MRB für 14.8.2017: Hatz IV, Jobcenter und Albträume, 8.8.2017, SZ-Zeichnung: Dieter Hanitzsch

SZ-Zeichnung: Dieter Hanitzsch

"Die Jobfee" vom 1. August:

Demütigende "Stupser"

Hmmm, "Jobfee"! Traumhaft! Eingeweihte fragen sich da allerdings gleich, welche neue Gesetzesverschärfung da wohl demnächst folgt und nicht oder nur klein gedruckt wird. Ach ja, wie gern möchte man glauben, dass es bei (wenigstens) einem Jobcenter diese (wenigstens) eine hilfreiche Märchengestalt gibt. Doch einige wenige entlarvende Sätze im Artikel reichen aus für Desillusion.

Schon der Ausdruck "zu aktivierende Kunden" ist typisch hartzgrausig, unterstellt er doch mal wieder Inaktivität, ergo Faulheit. Zum "Aktivieren" lädt Hölzl "diese Menschen alle eineinhalb Wochen ein und lässt sie nie ohne kleine Aufgabe wieder gehen". Da wird Eingeweihten schon übel. Und was sagt Frau Hölzl noch? "Das sind alles nette Leute, denen nur ein Stupser in die richtige Richtung fehlt." Genau, das ist es, was sie brauchen, die alleinerziehenden Mamas, die chronisch Kranken, die Behinderten, die Aufstocker/-innen, die Älteren mit 40 Arbeitsjahren auf dem Buckel, die Freien aus künstlerischen Berufen ... - einen "Stupser in die richtige Richtung". Ach so! Die sind alle bloß in die falsche Richtung unterwegs und brauchen ein wenig Moralsenf als Wegzehrung für die Umkehr. Ja, genau die eben genannten Gruppen bilden den Hauptanteil der "Hartzer", und 40 Prozent der alleinerziehenden Mütter landen bei "Heart's Fear". Und ja, das tut richtig gut, wenn man nach einem langen Berufsleben (bei Frauen: inklusive Kinderaufzucht, Mannumsorgen und Alt-Eltern-Pflege) mit ungefähr 60 Jahren von einem Twen "gestupst" und "aktiviert" wird und mit kleinen Hausaufgaben betreut und auf den rechten Pfad gelenkt.

"Lob" gibt es im Feen-Center auch, allerdings nur für das Outfit einer "süßen" Betreuten (das vom Eckregelsatz nicht zu beschaffen ist). Und neben Stupsern werden sicher auch ein paar (im Artikel tunlichst nicht erwähnte) grundgesetzwidrige Kürzungen des Lebensminimums verteilt. Kein Wunder, dass Betroffene da nur noch unterwürfig zu staunen wagen: "Jetzt habe ich einen Arbeitsvertrag. Ich bin neun Euro die Stunde wert." Neun Euro für eine Stunde Menschenleben? Dafür sollen wir dankbar sein?

Und offenbar auch hierfür: "Frau Hölzl blickt während des Gesprächs nicht in ihren PC, sondern ins Gesicht ihres Gegenübers." Wow! Danke.

Warum stellt die SZ fast eine ganze Seite für Jobcenter-Märchenstunden bereit, statt für die grausigen Verschärfungen bei Hartz IV, zum Beispiel diese neuerliche Teufelei: "Wie taz.de berichtet soll Anfang 2018 in Bremerhaven ein Pilotprojekt der Bundesagentur für Arbeit (BA) starten, bei dem bis zu 3000 Langzeitarbeitslose den dort ansässigen Firmen und Kommunalbetrieben als kostenlose Arbeitskräfte angeboten werden. Die Arbeitslosen sollen für drei Jahre ohne Lohnanspruch lediglich für ihr ALG II (Arbeitslosengeld II; d. Red.) arbeiten. Wenn sie sich weigern, wird dieses erst gekürzt und dann gestrichen." Im Klartext: Wer sich gegen Vollversklavung wehrt, soll auf der Straße verhungern.

Ich bin Schauspielerin, Autorin, war krankheitsbedingt zeitweise "Kundin" und bin Dank Mobcenter sowohl hunger- wie sanktionserfahren. Mein Theaterstück "Hartz-Grusical" wurde mit dem Stuttgarter Autorenpreis ausgezeichnet, ein Buch zum Thema erscheint im Oktober, meine Erfahrung ist die Erfahrung von Millionen Mitbürger(inne)n: Hartz IV hat so viel mit Menschenrechten zu tun wie eine Fee mit dem Jobcenter. Bettina Kenter, Germering

Dividenden und ihre Verlierer

Dass es das noch gibt! Dass es eine Frau wie Andrea Hölzl gibt, die ihren arbeitslosen Mitbürgern die Menschenwürde zurück gibt, indem sie ihnen auf sehr kreative Weise einen Arbeitsplatz besorgt. Jeder gesunde Mensch möchte sich doch seinen Fähigkeiten entsprechend autonom ernähren. Das Recht auf Arbeit müsste längst in den Verfassungen der Staaten, die sich als freiheitlich-demokratisch verstehen, verankert sein! Wie weit wir sind, werden wir bald merken, wenn die profitgierigen Manager der Automobilindustrie infolge des Abgas-Skandals ihre Arbeitsplatz-Streichkonzerte anstimmen. Deutschland möchte sich jetzt enger an Frankreich anbinden, um das noch halblebige Konstrukt Europäische Union zu neuem Leben zu erwecken. Was macht Frankreich unter anderem aus? Die französische Revolution! Um deren Tugenden in unsere Zeit zu transponieren - Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und das, was uns jetzt besonders auf den Nägeln brennt, Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Anstatt nur möglichst hohe Dividenden an die Aktionäre und irrsinnige Boni an die Manager auszuzahlen, sollten die Gewinne dazu bereit gehalten werden, um alternative neue Entwicklungen in der Automobiltechnik vorzubereiten und umzusetzen. Statt dessen wird das seit Jahren verschleppte und von den Managern geheim gehaltene und mit unzähligen Lügen behaftete Abgasproblem bei Dieselmotoren sowohl von den Automobilmanagern und auch den verantwortlichen Ministern vor sich hergeschoben.

Wie lange wird noch die Gesundheit der Menschen aufs Spiel gesetzt, wie lange wird noch das gesamte Leben auf der Erde geschädigt? Man kann schon ahnen, welcher Tsunami auf dem Arbeitsmarkt auf uns zurollt. Das alles als ein Produkt der unermesslichen Gier einiger weniger Menschen dieser Republik! Helena Tattermusch, Stuttgart

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