Luxus-Kita in München:Für Geld gibt's Zeit

Wichtel-Akademie am Biederstein.

Ein Betreuungsschlüssel, der seinesgleichen sucht: die Wichtel-Akademie in Schwabing.

(Foto: Robert Haas)

Zweiklassengesellschaft ab dem Windelalter? Ein Platz in der Münchner Wichtel-Akademie kostet bis zu 1280 Euro im Monat. Dafür gibt es vegetarische Gerichte, Yoga-Stunden, ein Mini-Oktoberfest und vor allem: richtig lange Öffnungszeiten.

Von Beate Wild

Morgens ab halb acht herrscht in der Wichtel-Akademie am Biederstein Hochbetrieb. Ein ständiges Kommen und Gehen von Müttern und Vätern, die ihre Kleinen abgeben. Schnell ein paar Worte mit den Erzieherinnen gewechselt, ein Winken - und schon sind die gestressten Eltern weg, auf dem Weg zu ihrem Job.

Schon der Name der Kita in Schwabing lässt aufmerken: Das Wort Akademie weist auf ein Publikum mit höheren Ansprüchen hin - und so ist es auch. 1280 Euro kostet hier ein Krippenplatz im Monat, dafür muss das Kind auch erst um 18:30 Uhr wieder abgeholt werden und nicht, wie in anderen Kitas üblich, um 17 Uhr.

Auch Valerie Holsboer hat gerade ihre Tochter Laura in der Wichtel-Akademie abgegeben. Vor sich hat sie einen anstrengenden Arbeitstag voller Termine und Besprechungen. "Es geht nicht anders, sonst könnte ich meinen Job nicht ausüben", sagt die Rechtsanwältin und Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Systemgastronomie. Laura ist in der Kita, seit sie ein halbes Jahr alt ist. Ihrer Mutter sind die Öffnungszeiten neben dem Betreuungsschlüssel und der Nähe zum Arbeitsplatz das Wichtigste. Es kommen vorwiegend Eltern wie Holsboer zur Wichtel-Akademie: Karrierefrauen, Väter in Führungspositionen, Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen, Münchens obere Zehntausend. Aber ist der hohe Preis gerechtfertigt - oder nur Abzocke?

Zum Oktoberfest gibt es eine Wichtel-Wiesn

Aus einem Spielzimmer sind Kinderlieder zu hören. Eine Gruppe macht sich gerade an den Händen haltend auf den Weg in den Innenhof. In einer Spielecke robben Ein- bis Zweijährige über den Boden. Einige der mehr als 100 Kinder der Schwabinger Wichtel-Akademie sind bei einem Ausflug im benachbarten Englischen Garten. Vier Krippengruppen mit jeweils zwölf Kindern und drei Betreuern gibt es am Biederstein sowie einen Kindergarten mit derzeit drei Gruppen: jeweils 18 Kinder und drei Betreuer. Ein überdurchschnittlich guter Betreuungsschlüssel, wenn man bedenkt, dass in Bayern eigentlich nur ein Betreuer für zehn Kinder vorgeschrieben ist.

Dass seine Kunden für so viel Geld guten Service und lange Öffnungszeiten erwarten, ist für Patrick Smague, den Betreiber der Wichtel-Akademie, selbstverständlich. "Je höher das Einkommen wird, desto schwieriger kommt man abends pünktlich aus dem Büro", sagt der 43-Jährige. Sein Angebot reicht von Englischunterricht über mathematische Früherziehung bis hin zu Yoga-Stunden.

Sonderwünsche, etwa nach vegetarischem Essen oder dem Verzicht auf Schweinefleisch, werden anstandslos erfüllt. Vor dem Haus liegt ein Garten, in dem die Kinder Obst und Beeren anbauen. Je nach Saison gibt es Themenschwerpunkte, so wurde etwa zum Champions-League-Finale mit den Kindern Fußball gespielt und zur Oktoberfestzeit wird die Wichtel-Wiesn gefeiert, mit Bayern-Deko, Blasmusik, Schunkeln und Brezn.

Zehn Standorte der Wichtel-Akademie gibt es mittlerweile in München, vor drei Jahren waren es nur drei. Insgesamt werden hier etwa 620 Kinder betreut. Und "mehrere Hundert" stünden derzeit auf der Warteliste, behauptet Smague - ein gewisser Widerspruch zu dem Schild an der Wichtel-Akademie in der Dietlindenstraße, das verkündet, es seien noch Plätze frei. 150 Erzieherinnen und Betreuerinnen sind bei der Firma beschäftigt, Männer gibt es nur acht. "Gerade bei den Babys wollen Mütter doch lieber Betreuerinnen", so erklärt Smague den Frauenüberschuss.

Als er vor drei Jahren die Wichtel-Akademie übernahm, gab es morgens und abends noch einen Abholservice für die Kleinen, doch der wurde von den Eltern kaum in Anspruch genommen und deshalb abgeschafft. "Die Eltern wollen ihr Kind lieber selbst herbringen und beim Abholen am Abend hören, was tagsüber los war", sagt Smague. "Schnittstelle" nennt er das Aufeinandertreffen von Erziehern und Eltern am Morgen und am Abend. Die Betreuerinnen machen deshalb auch laufend Fotos von den Kindern, damit Mama und Papa abends dokumentiert bekommen, was der Nachwuchs in ihrer Abwesenheit so gemacht hat. Probleme wie die städtischen Krippen, genügend Erzieherinnen zu finden, hat Smague nicht. Er lockt mit einem übertariflichen Gehalt, einer privaten Altersvorsorge und einem MVV-Ticket.

Öffnungszeiten, die Gold wert sind

Trotz der hohen Preise scheint das Konzept des privaten Trägers erfolgreich zu sein. Der Bedarf nach Krippenplätzen in München ist enorm, auch weil von Donnerstag an ein gesetzlich garantierter Anspruch auf einen Kita-Platz besteht. Da die Stadt den Bedarf längst nicht mit eigenen Angeboten abdecken kann, spielen die freien Träger eine wichtige Rolle im System der Kleinkindbetreuung. In München gibt es aktuell gut 16.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige, nur 3111 davon sind in städtischen Krippen, den Rest bieten freie Träger, Tagesmütter und Eltern-Kind-Initiativen.

Luxus-Kita in München: Studenplan für den Nachwuchs

Studenplan für den Nachwuchs

(Foto: Robert Haas)

Ein städtischer Kita-Platz kostet inklusive Essensgeld maximal etwa 480 Euro bei einem Brutto-Familieneinkommen von mehr als 60.000 Euro. Dafür müsse man sein Kind aber bis 17 Uhr abholen, bemängelt Flavia Thumshirn. Die Lichtdesignerin hatte ihre ältere Tochter Alina, 3, zwischendurch in einer städtischen Krippe untergebracht, als ihr dort nach zwei Jahren Wartezeit endlich ein Platz angeboten wurde. Doch dann wechselte sie zur Wichtel-Akademie zurück. Hauptgrund: die Öffnungszeiten.

In den USA sind manche Luxus-Kitas sogar an der Börse notiert und locken Investoren. Auch das Frankfurter Emissionshaus Habona Invest hat einen ersten Kita-Fonds aufgelegt. Kritiker werfen den Hochpreis-Kitas vor, sich an Kindern bereichern zu wollen. Und sie haben Angst, dass schon im Windelalter die Zweiklassengesellschaft etabliert wird. "Ein sozialer Mix, wie er auch im echten Leben vorkommt, wäre für die Kinder besser", sagt Doris Rauscher, pädagogische Leiterin der Paritätischen Kindertagesbetreuung in München.

Außerdem komme es auf die gesunde Entwicklung der Kleinen und ihre sozial-emotionalen Bedürfnisse an und nicht auf wöchentliche Englischkurse. "Untersuchungen haben sowieso ergeben, dass isolierte Kurseinheiten nicht den gewünschten Effekt bringen", sagt Rauscher. Doch ist es andererseits nicht Privatangelegenheit der Eltern, wie viel sie bereit sind, für die Betreuung ihrer Kinder zu zahlen? Kann man ihnen vorwerfen, einen gut dotierten Job zu haben und beruflich nach der Geburt ihres Nachwuchses nicht kürzer treten zu wollen?

Die Wichtel-Akademie kennt keine Ferien

Viele der Wichtel-Kinder bleiben dort, bis sie in die Schule kommen. Klemens beispielsweise wird im September drei Jahre alt. Dann wechselt er von der Krippe hinüber in den Kindergarten. "Es ist ein großer Vorteil, wenn Kita und Kindergarten am gleichen Standort sind", sagt seine Mutter Katja Zymara. Die Projektmanagerin erwartet im August ihr zweites Kind, das hat sie ebenfalls schon in der Privat-Kita angemeldet.

Begeistert sind die vollbeschäftigten Eltern zudem davon, dass die Wichtel-Akademie keine Ferien kennt, das ganze Jahr über ist geöffnet. "Wenn eine Kita sechs Wochen im Jahr zumacht, hat man ein riesiges Problem", sagt Thumshirn. Mutter und Vater müssten für die Betreuung abwechselnd Urlaub nehmen und könnten so nie zusammen wegfahren. Auch Anwältin Holsboer sagt: "Wenn man für diese Zeit eine Nanny engagieren muss, relativieren sich die Kosten für die Krippe gleich."

Der Preis der Wichtel-Akademie sei für das "Rundum-sorglos-Paket" durchaus gerechtfertigt, findet sie. "Und ich möchte nicht, dass die Betreuer mir ein schlechtes Gewissen machen, wenn ich mein Kind nicht schon um 17 Uhr abhole", sagt Thumshirn. In der Wichtel-Akademie wird ihr das nicht passieren. Dort sind die Erzieherinnen es gewohnt, dass die Kleinen erst spät nach Hause gehen.

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