Lust auf Amateurfußball:Und ewig lockt das Tor

Michael Hofmann, früher Bundesliga-Keeper beim TSV 1860 München, feiert mit fast 43 Jahren ein Comeback beim Bayernligisten SV Pullach. Es soll eine Zwischenstation zum Trainerjob sein. Der Herzenslöwe meldet sich aber auch noch zu seinem alten Verein zu Wort - natürlich kritisch

Von Gerhard Fischer

Michael Hofmann ist 1,93 Meter groß und wiegt 95 Kilo. Natürlich hat er einen festen Händedruck. Und nach dem Händedruck zur Begrüßung sagt er gleich: "Ich rede sehr viel und schnell, man muss mich bremsen." Er sei Franke, und Franken würden eben viel reden. Er grinst, dann sagt er: "Lothar Matthäus."

Hofmann hält Wort: Er redet viel, fast zwei Stunden lang, aber bremsen lässt er sich kaum. Würde man ihm überraschend einen Ball zuwerfen, um ihn vom Reden abzulenken, er würde den Ball wohl fangen und trotzdem sprechen. Weil er beides wie im Traum beherrscht.

Michael Hofmann hat 82 Bundesliga-Spiele und 92 Zweitliga-Spiele für den TSV 1860 München gemacht. Er war ein guter Torwart, ein Ehrgeizling, und vor allem war er ein Herzenslöwe, weil er die richtige, nämlich eine kämpferische Einstellung hatte. Seit 1999 hat er eine Handynummer, die auf 1860 endet. Die Fans lieben ihn. Noch heute geht Michael Hofmann zu "Blickpunkt Sport" ins Fernsehen, oft sitzt er dort neben einem anderen Herzenslöwen, dem Trainer Wettberg, und dann reden beide über die Fehler und Versäumnisse beim TSV 1860 (darüber kann man sehr viel reden, nicht nur als Franke).

Hofmann musste die Löwen 2010 verlassen; sein Vertrag wurde nicht verlängert. Er ging zum SSV Jahn Regensburg. Im Frühjahr 2013 hörte er auf. Dann wurde er Trainer. In der Saison 2014/15 coachte er den Landesligisten Kirchheimer SC.

Aber jetzt spielt er wieder. Er steht beim Bayernligisten SV Pullach im Tor - mit bald 43 Jahren.

Neulich, an einem Freitagabend, spielte Pullach gegen Wolfratshausen, die Partie wurde S-Bahn-Duell genannt, weil beide Orte an der S 7 liegen. Etwa 100 Zuschauer stehen um den Platz herum, als der Stadionsprecher die Namen der Spieler verliest, rührt sich keine Hand, auch nicht bei der Nummer 21, beim Ex-Profi Michael Hofmann. Plötzlich hört man ein Klatschen, aber das ist eine Mutter, die ihrem Kind einen Gummiball zugeworfen hat und das Kind nun auffordert, den Ball zurückzuwerfen. Aus dem Sportheim hört man das Kufsteinlied, hinter dem Gebäude spielt eine Jungen-Mannschaft des SV Pullach. Es ist idyllisch. Es ist Amateurfußball.

der ehemalige 1860-Torwart Michael Hofmann, der jetzt mit fast 43 Jahren beim SV Pullach spielt (ich glaube im Tor) vor dem SZ-Hochhaus

Selbstbewusst, aber auch sensibel: Seit Michael Hofmann im Tor steht, hat der SV Pullach noch kein Spiel verloren.

(Foto: Florian Peljak)

Die Spieler laufen ein, Michael Hofmann, der Anfang November 43 Jahre alt wird, ist in einem beneidenswerten körperlichen Zustand: Er ist sehr schlank, man sieht, dass er Marathon läuft. Und was macht er, kaum dass er im Tor steht: Er redet. Hofmann gibt laute Kommandos. "Körper rein", ruft er, als sein Verteidiger ins Laufduell mit einem Stürmer geht; er ruft "schieben", "kein Foul", "Kopf oben, weiter!", also Dinge, die den Feldspielern helfen, sie motivieren sollen. Dafür haben sie ihn vor ein paar Wochen geholt: Damit er der Mannschaft mit seiner Erfahrung hilft, und natürlich auch, damit er ein paar Bälle hält, die andere nicht halten würden. In der ersten Halbzeit bekommt er Beifall für zwei Flugeinlagen, bei denen er den Ball sicher fängt, aber seine beste Parade zeigt er in der zweiten Halbzeit, als ein Gäste-Stürmer abzieht und Hofmann den scharfen, platzierten Schuss mit der rechten Hand pariert. Man staunt über seine Reflexe. Wenig später erzielt Dinkelbach mit einem schönen Schuss das 1:0 für Pullach, dabei bleibt es bis zum Schluss.

Michael Hofmann jubelt, umarmt Mitspieler, umarmt Leute am Spielfeldrand. Dann kritisiert er. Wegen einer Verletzung des Schiedsrichters war das Spiel unterbrochen und erst eine Viertelstunde später fortgesetzt worden. Es war dann dunkel geworden, die Sicht für den Torwart war schlecht. "Man hätte das Spiel auch früher ansetzen können", nörgelt Hofmann.

Ein paar Tage später, beim Gespräch, ist er etwas ruhiger, aber richtig entspannt wirkt er nicht. Er will stets das Optimale. Und wer stets das Optimale will, spricht das an, was noch nicht optimal ist. Natürlich ist das anstrengend, für ihn selbst und für die anderen. Hofmann weiß, dass er deshalb als positiv Verrückter gilt, als Unbequemer. "Ich habe immer die Wahrheit gesagt, das war nicht immer diplomatisch", sagt er. "Aber wenn ich heute in den Spiegel schaue, dann zerbricht er nicht."

Das mit dem Sich-nicht-verbiegen-lassen, das sagten schon viele im Fußball, auch die Baslers und Effenbergs, aber beide verwechselten ihr spätpubertäres Gehabe mit Persönlichkeit. Michael Hofmann ist nicht so, er ist kein Lautsprecher in eigener Sache, es geht ihm um die Sache. Wenn Kollegen nicht so trainierten, wie Profis trainieren sollten, dann ärgerte ihn das. Er würde sich nie gehen lassen. Nie ausruhen. Nie bloß Dienst nach Vorschrift machen.

Lust auf Amateurfußball: Unter dem weniger sensiblen Trainer Werner Lorant spielte Hofmann einst beim TSV 1860 München.

Unter dem weniger sensiblen Trainer Werner Lorant spielte Hofmann einst beim TSV 1860 München.

(Foto: Imago)

Nach seiner Karriere hätte er gerne bei 1860 gearbeitet, als Jugendtrainer, Torwarttrainer, so etwas. Es wurde nichts daraus. "Ich bin tief getroffen, dass ich keine Funktion bekomme", sagt Hofmann. Er sagt tatsächlich: tief getroffen. Und er meint es so. Andererseits: Er sei gerade mit seinem Leben sehr zufrieden, sagt Hofmann. Er trainiert Kinder und Jugendliche im Munich Soccer Camp seiner ehemaligen Mitspieler Paul Agostino und Roman Tyce, er spielt wieder Fußball, er hat eine Familie. Hofmann war nicht immer zufrieden mit seinem Leben. "Ich wollte manchmal zu viel", sagt er.

Michael Hofmann ist auf einem Dorf zwischen Bayreuth und Kulmbach aufgewachsen. Er hat fünf Geschwister, der Vater war Metzger und Jagdpächter. 15 Jahre lang hatte die Familie eine Gaststätte, in der auch viele 1860-Fans hockten - und zwischen denen der kleine Michael herumhüpfte mit seinem Löwen-Trikot. "Der Vater war sehr fleißig", sagt Hofmann. Er ist kein Freund von bemühten Psychogrammen, er leitet seine mentale Verfasstheit nicht unbedingt von der Kindheit ab, aber so etwas wie Pflichtbewusstsein, Fleiß, Ehrlichkeit und Ehrbarkeit hat er wohl schon von zu Hause mitgekriegt. Offen lässt er aber, woher sein Hunger nach Anerkennung kommt.

Es hat nicht ganz zur Löwen-Legende gereicht, weil er nicht Meister wurde wie Radenkovic, und weil er die Szene, die ihn unsterblich gemacht hätte, nicht hatte - etwa einen gehaltenen Elfmeter in einem entscheidenden Spiel. Aber er machte immerhin 82 Bundesliga-Spiele und einen sehr guten Eindruck als echter Löwe. "In Bayern bin ich auf jeden Fall ein Typ", sagt er. Es ist ihm wichtig, in Bayern bekannt und beliebt zu sein. Michael Hofmann sagt sehr oft, dass er darauf achte, was andere von ihm sagen. Er sei zwar selbstbewusst, aber auch sensibel. Aber warum?

Lust auf Amateurfußball: Michael Hofmann im Tor im Spiel gegen Wolfratshausen.

Michael Hofmann im Tor im Spiel gegen Wolfratshausen.

(Foto: Claus Schunk)

"Vielleicht liegt es an diesem Spiel in Reutte", sagt er. 1999 war das. Hofmann war gerade Stammtorwart bei den Löwen, was immer eine fragile Angelegenheit war; er musste sich stets messen mit Konkurrenten wie Bernd Meier, Simon Jentzsch oder Daniel Hoffmann. Aber damals hatte er sich durchgesetzt - bis dieses Vorbereitungsspiel in Reutte kam: Er verlor an der Strafraumgrenze den Ball und der Stürmer schob ihn ins leere Tor. Hofmann sagt, wegen dieser Szene habe er seinen Stammplatz wieder verloren; und er habe sich einiges anhören müssen, vom Trainer Lorant und vom Präsidenten Wildmoser. Er sagt sogar, "sie haben mich da fertiggemacht". Vielleicht erschüttert einen das wirklich: Nur ein Fehler und raus aus dem Tor. Vor allem einen, der viel Vertrauen braucht.

Michael Hofmann hat sich sehr gefreut, als sich der SV Pullach Ende August bei ihm gemeldet hat. "Dass sie mir als Torwart vertrauen, mit fast 43, das ist schon was", sagt er. Hofmann hatte gerade in Kirchheim aufgehört und ein paar Wochen als Ersatztorwart bei der SpVgg Bayreuth ausgeholfen, als der Anruf der Pullacher kam. Hofmann hat zwei, drei Tage überlegt - und wieder an das gedacht, was andere denken könnten. Zum Beispiel: Wenn ich als alter Ex-Profi drei, vier Tore kassiere, lachen sie mich dann aus? Aber er hatte wieder Lust am Torwart-Sein. Das hatte er schon in Bayreuth gemerkt. Und mit dem Amateurfußball fremdelt er ohnehin nicht, er kommt von dort, und er mag das. "In Pullach ist eine Zeugwartfrau mit 79 Jahren", erzählt er. "So etwas ist doch schön."

Er bleibt erst mal bis Ende des Jahres in Pullach, vielleicht auch bis Sommer 2016. Warum nicht länger? Er hat die Erfahrung und Klasse, und wenn er jetzt regelmäßig trainiert, kommt auch die gute Sprungkraft zurück. Mark Schwarzer spielt mit 43 beim Premier-League-Klub Leicester City, Rogerio Ceni, der auch Freistoßtore für seinen FC Sao Paulo schießt, wird im Januar 43. Hofmann nickt und grinst. Die Beispiele gefallen ihm. Aber er will jetzt nicht sagen, wie lange es bei ihm noch gehen soll. "Alles ist offen", sagt er.

Eigentlich will er ja als Trainer arbeiten. Das Engagement in Pullach sieht er als "aktive Weiterbildung" für diesen Job: Er kann sich von Trainer Frank Schmöller etwas abschauen, und er lernt gerade den Amateur-Fußball in Bayern besser kennen; er will ja Regionalliga-Trainer werden, dafür reicht seine A-Lizenz. Für die dritte, zweite oder erste Liga bräuchte er die Fußballlehrer-Lizenz. Vielleicht macht er sie noch. Klar, als Ex-Profi (und als Ehrgeizling, der nicht mal im Tischtennis gegen seine Tochter verlieren mag) formuliert er sein Trainer-Ziel anspruchsvoll: "So hoch wie möglich."

Aber erst mal will er nur spielen, bloß im Tor stehen, Spaß haben mit der Mannschaft, fertig. Das ist entspannter als der Trainerjob, wo man immer die Verantwortung für alles trägt. Derzeit sagen seine Freunde, er sehe "relaxed" aus. Für seine Verhältnisse: ja.

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