Ludwigsvorstadt:Mit der Kamera ins Netz

Pro Minute laden Menschen 300 Stunden Videomaterial auf YouTube. Jan Korres ist einer von ihnen, er betreibt den Kanal "SoBehindert". Einblicke in die Münchner Szene bietet jetzt eine Ausstellung

Von Ann-Kathrin Hipp, Ludwigsvorstadt

Schnell noch ein bisschen Krempel zur Seite räumen, ein letzter Blick in den Spiegel. Kamera an. Das Zuhause wird zur Bühne, der Junge von nebenan zum Publikumsliebling. "Creators", wie sich die Videoproduzenten nennen, kommentieren Computerspiele, geben Lifestyle- und Beautytipps oder inszenieren Sketche - und erreichen auf YouTube so ein Millionenpublikum.

Was vor zehn Jahren mit knuffigen Katzenvideos begann, ist heute ein weltweites Medienphänomen, gepflegt von einer lebendigen, meist jungen Community. Videomacher tauschen sich untereinander aus, Zuschauer geben innerhalb von Sekunden Kritik, Lob oder Anregungen. Laut Angaben von Google haben Nutzer im Jahr 2014 pro Minute rund 300 Stunden Videomaterial auf die Internetplattform YouTube geladen.

Einer von ihnen ist Jan Karres. "SoBehindert" heißt der Kanal, auf dem sich der Münchner mit Fragen, Antworten und Alltäglichem rund um das Thema Behinderung beschäftigt. Was bringt eigentlich ein Behindertenausweis? Wie geht man mit Behinderten um? Und kann man mit nur einer Hand zocken? "Viele haben Fragen zu dem Thema, trauen sich aber nicht, sie zu stellen", erzählt Karres. Dem will er entgegenwirken, mit einer Portion Witz und Humor. Der 20-Jährige hat selbst eine "Hemiparese", eine Halbseitenspastik. "Ich humpel nur ein bisschen, und der linke Arm funktioniert nicht so ganz, wie er sollte" erzählt er. "Im Alltag merke ich das kaum."

Ludwigsvorstadt: Das Café Netzwerk ist eine medienpädagogische Einrichtung des Kreisjugendrings - und Treffpunkt für bis zu 300 Gleichgesinnte in ganz München.

Das Café Netzwerk ist eine medienpädagogische Einrichtung des Kreisjugendrings - und Treffpunkt für bis zu 300 Gleichgesinnte in ganz München.

(Foto: privat)

Das auf YouTube zu thematisieren, war nicht von Anfang an geplant. Wenn Karres bloggte, fotografierte oder programmierte, spielte seine Behinderung keinerlei Rolle. Als er sich für ein Video vor der Kamera positionierte plötzlich schon. "Ich habe festgestellt, dass man das schon ganz ordentlich sieht", erzählt der Münchner. Wieso also nicht das, was man sieht, einfach zum Thema machen?

Seit mittlerweile einem Jahr betreibt der 20-Jährige "SoBehindert". Seine Videos wurden insgesamt 164 635 Mal geklickt. Wo sich am Anfang noch der Herzschlag beschleunigte, schlich sich nach und nach Routine ein. "Man lernt unglaublich viel dazu", erzählt er. Und irgendwie habe YouTube ja auch einen sozialen Aspekt. "Man lernt unglaublich viele interessante Leute kennen." Wenn Jan Karres von seinem Hobby erzählt, zeichnet er ein Bild, das dem Klischee des vorm Computer vereinsamten Jugendlichen widerspricht. Ein Bild, das Gemeinschaft, Lernen und Spaß zeigt. Spaß, den man vielleicht zum Beruf machen kann? "Im Moment ist es einfach nur ein Hobby", sagt Karres, "wenn auch ein dauerhaftes." Themenauswahl, Recherche, Dreh und Schnitt - das alles brauche eine Menge Zeit, die man als Abiturient und angehender Student nicht immer hat. Karres schaltete einen Gang zurück, produzierte nur noch ein Video pro Monat, statt wie zuvor wöchentlich.

Mehr Zeit investiert Steve Heng. Rund sechs Stunden täglich nutzt er, um Videos zu schauen oder für seinen Comedykanal "BreakoutTV" zu produzieren. Dazu noch das Netzwerken, denn das, so sagt er, sei am wichtigsten. Der Münchner hat es sich zur Aufgabe gemacht, die YouTube-Szene seiner Stadt "zu pushen". Denn im Vergleich zu anderen Städten wie Köln oder Berlin stecke sie noch in den Kinderschuhen. Heng ist einer der Köpfe hinter der Community "TubeMunich", die sich monatlich im Café Netzwerk, einer medienpädagogischen Einrichtung des Kreisjugendrings München-Stadt (KJR), versammelt. Was mit einem dreiköpfigen Stuhlkreis begann, ist heute Treffpunkt für rund 300 Creators in ganz München. Zwischen Spielekonsole, Computertischen, Sofa und Bar lernen sie einander kennen, tauschen sich aus und planen neue Projekte. Dabei werden immer wieder "große YouTuber" in das kleine Café eingeladen. YouTuber, die ihre Hunderttausender- oder Millionenmarke an Klicks geknackt haben. Sie erzählen Fans und Gleichgesinnte von ihrer Arbeit und, so Heng, "bringen gleichzeitig ein wenig Aufmerksamkeit nach München".

Ludwigsvorstadt: Von wegen Vereinsamung am Computer: "Man lernt viele Leute kennen", sagt Jan Karres.

Von wegen Vereinsamung am Computer: "Man lernt viele Leute kennen", sagt Jan Karres.

(Foto: privat)

Um das Phänomen YouTube und insbesondere die Münchner Szene weiter in die Öffentlichkeit zu rücken, hat Heng in Kooperation mit dem KJR die Ausstellung "Zehn Jahre YouTube" konzipiert. Noch bis Dezember erzählt sie von der Faszination, die Welt mit der Kamera zu gestalten, und gibt Einblicke in die Arbeit der Münchner YouTuber. Vielleicht ist es ein kleiner Schritt zu mehr Aufmerksamkeit. Heng jedenfalls ist sich sicher: "Die Stadt ist gar nicht so spießig wie ihr Ruf." Man müsse nur am Ball bleiben.

Die Ausstellung in der Galerie 90, Geschäftsstelle des KJR München-Stadt, Paul-Heyse-Straße 22, ist Montag bis Donnerstag von 9 bis 17 Uhr und Freitag von 9 bis 16 Uhr geöffnet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: