Ludwigsvorstadt:Hand-in-Hand-Arbeit

Ludwigsvorstadt: Vielseitig: Im Nähwerk wird auch gehäkelt (Mitte). Betty Gerling (linkes Bild, rechts) gibt Tipps, Azubi Leonie Hübner (Bild rechts) arbeitet konzentriert.

Vielseitig: Im Nähwerk wird auch gehäkelt (Mitte). Betty Gerling (linkes Bild, rechts) gibt Tipps, Azubi Leonie Hübner (Bild rechts) arbeitet konzentriert.

(Foto: Robert Haas)

Im Nähwerk an der Schwanthalerstraße gibt es neben Café und Boutique eine Schneiderei der Caritas, in der auch Langzeitarbeitslose beschäftigt sind. Neuerdings verwerten die Näherinnen alte Kleider

Von Jakob Pontius, Ludwigsvorstadt

An diesem Dienstagmittag wird Münchens Dritte Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) durch eine unscheinbare Tür an der Schwanthalerstraße treten. Am dazugehörigen Haus mit der Nummer 79 steht auf rotem Grund der Schriftzug "NähWerk". Strobl wird zu ihrer Linken ein gemütliches Café vorfinden, zu ihrer Rechten eine Boutique mit handgeschneiderten Unikaten. Doch ihr Ziel versteckt sich noch weiter im Inneren des Hauses: Hinter den öffentlichen Räumen des Nähwerks liegt eine Maß- und Änderungsschneiderei. Hier arbeiten Menschen mit "multiplen Vermittlungshemmnissen", wie es im Amtsdeutsch heißt. In diesem Beschäftigungsunternehmen der Caritas, getragen von der Tochter-Gesellschaft "Weißer Rabe", nähen professionelle Schneiderinnen gemeinsam mit Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen langzeitarbeitslos sind.

Im dem hellen Arbeitsraum sitzen hauptsächlich Frauen an knapp 20 Nähmaschinen. Dazwischen steht ein großer Schneidetisch, an der Wand hängen Fotos, große Lineale und ein Putzplan. In weißen Regalen stapeln sich Stoffe und Garne, Kleider und Schnittmuster besetzen den Ständer daneben. Ab und an ist ein Lachen zu hören, leise Unterhaltungen füllen den Raum. Die Stimmung ist dennoch konzentriert. Betty Gerling leitet die Arbeiten an, sie legt viel Wert auf ein zugleich professionelles und entspanntes Arbeitsklima. "Wir berücksichtigen die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter", erzählt die Schneiderin. Jeder hier habe seine eigene Geschichte - sie spricht von Krebserkrankungen, Kindheitstraumata, Psychosen oder Burnout. Der Dienstplan nehme selbstverständlich Rücksicht auf wichtige Termine wie Therapiesitzungen. Hier gebe es keine Vorurteile, so Gerling, jeder habe die Chance auf einen Neuanfang verdient.

Die Mitarbeiter zeigen sich zufrieden, im Nähwerk finden sie eine Aufgabe. Die meisten hier sind vom Jobcenter vermittelt worden, sie arbeiten in einer "Arbeitsgelegenheit", einer sogenannten AGH-Stelle, im Volksmund als Ein-Euro-Job bekannt. Es gibt aber auch Auszubildende. Leonie Hübner, 22, und Inka Still, 40, stehen für das Konzept der Einrichtung - Hübner macht eine "ganz normale" Ausbildung zur Maßschneiderin, Still löst einen Bildungsgutschein für den gleichen Abschluss ein. Die ältere der beiden hatte als Jugendliche eine Malerlehre abgebrochen und war danach abgestürzt, wie sie erzählt. Genaueres will sie nicht öffentlich machen, aber es seien schwere Zeiten gewesen - sie habe einfach zu oft die falschen Entscheidungen getroffen. Das sei nun anders: Still begreift ihre Ausbildung im Nähwerk als "Chance auf ein selbstfinanziertes Leben ohne fremde Hilfe". Sie will nicht länger "Bittstellerin bei irgendeinem Amt" sein. Neben der Unabhängigkeit bringe ihr das Schneidern auch Befriedigung, so Still. Am Abend sehe man stets das Ergebnis der eigenen Arbeit, und auch die Freude der Kunden sei eine wunderbare Bestätigung.

Seit Kurzem betreibt das Nähwerk auch Upcycling für das noch junge Caritas-Label "Einzigware". Aus alter Kleidung, die scheinbar wertlos geworden ist, nähen die Schneiderinnen Stoffbeutel, Kissenbezüge oder Röcke. Betty Gerling freut sich besonders über eine Kooperation mit der Abfallwirtschaft München (AWM), die ihre aussortierte Arbeitskleidung spendet. Aus den leuchtend orangenen Schutzanzügen fertigt das Nähwerk Hundespielzeug oder Fahrradzubehör, etwa einen Sattelschützer. Die blauen Polohemden der Werksmitarbeiter werden in Streifen geschnitten und zu Teppichen gehäkelt. Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen, von Juli an stehen die Ergebnisse zum Verkauf.

Die Caritas bewirbt die handgemachten Produkte aus ihren sozialen Manufakturen als "Hand-in-Handarbeit". Schaut man Betty Gerling, ihren beiden Auszubildenden und den vielen Mitarbeiterinnen zu, sieht man dieses Motto in Aktion. Damit neben der sozialen auch die ökologische Nachhaltigkeit im Nähwerk weiter funktioniert, bitten die Näherinnen um Kleiderspenden - auch von Privatleuten.

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