Ludwigsvorstadt:"Eine regelrechte Odyssee"

Ludwigsvorstadt: Mit elf Mitbewohnern teilt sich Tunay Önder jetzt im Westend ein Haus. "Ich habe es gut getroffen", sagt sie.

Mit elf Mitbewohnern teilt sich Tunay Önder jetzt im Westend ein Haus. "Ich habe es gut getroffen", sagt sie.

(Foto: Catherina Hess)

Der Mietvertrag von Tunay Önders WG in der Ludwigsvorstadt lief aus. Sechs Monaten lang suchte sie ein Zimmer

Von Protokoll: Friederike Hunke, Ludwigsvorstadt

Tunay Önders Mietvertrag in der Ludwigsvorstadt wurde nicht verlängert. Die 34-jährige Soziologin und Mitbegründerin des mehrfach für den Grimme-Preis nominierten Blogs "Das Migrantenstadl" ist nach sechs Monaten intensiver Suche mit viel Glück im Haus eines selbst organisierten Wohnprojekte-Verbunds im Westend untergekommen. Ihre Entwurzelung hat sie als durchaus bedrückend empfunden, zugleich aber hat sie bei Freunden und Verwandten auch viel Hilfsbereitschaft erlebt.

"Ich habe es gut getroffen. Ich wohne jetzt in einer Art Kommune an der Ligsalzstraße, die ein Teil des Mietshäuser-Syndikats und deshalb bezahlbar ist. Es ist echt schön hier: Wir haben unten einen Veranstaltungsraum, in dem sich öfter mal Gruppen und ein Chor treffen. Meine elf Mitbewohner und ich teilen uns drei Wohnungen mit jeweils einer Küche. Es gibt auch noch eine kleine Dachterrasse, ein Wohnzimmer, in dem ab und zu Flüchtlinge übernachten, und sogar ein Gewächshaus. Als ich hierher kam, lag eine regelrechte Odyssee hinter mir. Ich hatte früher in einer kleinen WG an der Schwanthalerstraße gewohnt. 2013 wurde auf einmal der Mietvertrag nicht mehr verlängert, obwohl er vorher jedes Jahr neu ausgestellt worden war. Anscheinend wollte der Vermieter das Haus abreißen lassen und Luxuswohnungen bauen, die sich keiner von den alten Mietern hätte leisten können. Ich war total verzweifelt, weil ich nicht viel Geld habe, und dachte: Auweia, wie wird das bloß?

Selbst WGs sind ja nicht so leicht zu finden in München. Der Vermieter hat auch allen anderen Parteien in dem Haus gekündigt, wegen wirtschaftlicher Verwertung, und war kein bisschen kulant. Weil ich nicht gleich eine neue Wohnung gefunden habe, bin ich erst mal dort wohnen geblieben. Dann kam natürlich eine Mahnung nach der anderen, aber was sollte ich machen? Irgendwann bekam ich Angst und bin doch ausgezogen, zunächst zu Freunden. Das war eine bedrückende Zeit.

Ich bin in gewisser Weise privilegiert, weil ich sehr aktiv und kommunikativ bin. Über tausend Ecken hörte ich von dem Wohnprojekt hier, Ligsalz 8, und schrieb die Leute einfach mal an. Nach einer ganzen Weile konnte ich für zwei Monate zur Zwischenmiete einziehen und fühlte mich sofort wohl. Dann musste ich wieder raus. Die nächsten Wochen überbrückte ich bei Freunden und meiner Familie. Ich habe versucht, aus der Not eine Tugend zu machen und mir gesagt, dann nutze ich eben die Zeit und mache anderthalb Monate Urlaub bei meinen Verwandten in der Türkei.

Das ging natürlich nur, weil ich selbständig bin. Ich arbeite als Sozialwissenschaftlerin, Bloggerin und engagiere mich in Theaterprojekten. Deshalb kenne ich viele Leute, was wahrscheinlich ein Grund dafür war, dass ich immer ein Dach über dem Kopf gefunden habe. Vergangenen Oktober konnte ich dann wieder hier einziehen, weil ein Zimmer dauerhaft frei wurde. Also ein halbes Jahr, nachdem ich aus meiner letzten WG raus gemusst hatte.

Jetzt bin ich sehr zufrieden mit meiner Wohnsituation, aber ich hatte viel Glück. Außerdem hat mir geholfen, dass ich gut vernetzt bin. Was machen denn diejenigen, die nicht so viele Leute kennen oder zum Beispiel nicht perfekt Deutsch sprechen?

Ich erlebe das gerade bei meinen Eltern in Milbertshofen. Da kam neulich eine Mieterhöhung, völlig unbegründet, die wir sofort zurück gewiesen haben - mit Erfolg. Aber so viele Leute, die dort wohnen, kennen ihre Rechte nicht und haben einfach Angst. Die griechische Nachbarin meiner Eltern hat die Mieterhöhung einfach akzeptiert."

Gentrifizierung, die Verdrängung oft langjährig ansässiger Menschen aus ihren Vierteln, ist nicht immer die Geschichte vom bösen Spekulanten. Oft gibt es auch andere Ursachen. Im Ergebnis aber wiederholen sich die Phänomene: Münchner ziehen aus der Innenstadt weg, wechseln in kleinere, bezahlbare Wohnungen oder verlassen die Stadt, die sie sich nicht mehr leisten können. Mit dem Problem befasst sich ein SZ Forum am Mittwoch, 24. Juni, von 19 Uhr an in der Freiheiz-Halle, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1.

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