Ludwig-Maximilians-Universität:Blick in die Zelle

In Martinsried wird ein mehr als 140 Millionen Euro teures Forschungszentrum eröffnet - doch was soll dort eigentlich passieren? Vier Wissenschaftler erklären, an welchen konkreten Fragen sie arbeiten und welche Hoffnungen sich mit den Antworten verbinden

Von SZ-Autoren

Verpackungskünstler

Wenn Peter Becker mit eigenen Augen sehen will, woran er forscht, dann braucht er ein ganzes Arsenal guter Mikroskope. Der mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnete Molekularbiologe der LMU beschäftigt sich damit, wie Erbgut im Zellkern verpackt ist: Beim Menschen etwa muss ein zwei Meter langer DNA-Strang in einer Hülle Platz finden, die einen Durchmesser von nur fünf Mikrometern hat, fünf Tausendstel eines Millimeters. Dazu wickelt sich der Strang zunächst um Histone, winzige Eiweißmoleküle. Jeweils acht dieser Knäuel bilden wiederum eine Art Spule. Das Ergebnis ist außerordentlich kompakt, und nicht nur das: Die Struktur ist auch flexibel: Sie öffnet sich und schließt sich, und so entscheidet sie, welche Gene in einer Zelle wann aktiv sind, also welche verwendet werden, um Proteine herzustellen, und welche nicht. Wer verstehen will, wie eine Zelle funktioniert, für den ist die Verpackung des Erbguts daher genauso wichtig wie ihr Inhalt.

Aber wie steuert die Zelle diese Prozesse? Woher weiß sie, für welches Eiweiß sie welches Gen braucht, wo sie dieses findet, und wie viele Proteine sie überhaupt genau herstellen muss? Woran kann es liegen, wenn das Zusammenspiel nicht mehr funktioniert, und was sind die Folgen? Welchen Einfluss haben Hunger, Stress, Krankheit oder auch eine Ernährungsumstellung? Und wie lassen sich all diese Vorgänge in der Zelle beeinflussen?

Es sind nicht zuletzt Antworten auf solche Fragen, die Becker im Biomedizinischen Zentrum (BMC) suchen will. Er hat das Projekt in den vergangenen 15 Jahren als Koordinator maßgeblich vorangetrieben, und er schwärmt von den neuen Möglichkeiten und davon, wie sich die Forschergruppen ergänzen werden: Begeistert erzählt er von den Ideen auch seiner Kollegen, die etwa untersuchen, wie sich geschädigte Zellen reparieren können, oder wie sie lernen. Tatsächlich machen Zellen Erfahrungen: Erlebnisse können Spuren in der Erbgutverpackung hinterlassen, die zum Teil gar vererbt werden können. Vielleicht, sagt Becker, liege hier der Schlüssel, um zu verstehen, wie das Langzeitgedächtnis funktioniert, jenseits von Verschaltungen im Gehirn.

Beckers eigene Arbeitsgruppe widmet sich der Grundlagenforschung: zum Beispiel der Frage, warum genau sich DNA-Verpackungen öffnen oder schließen - oder auch, woher die Zelle weiß, wie sie mit Geschlechtschromosomen umgehen muss, die ja bei Männern und Frauen unterschiedlich sind. Aber es hängt alles miteinander zusammen: Das sei ja die große Idee hinter dem BMC, sagt Becker: Forscher arbeiten an vielen Themen, stoßen dabei aber immer wieder auf dieselben Mechanismen - und lernen voneinander.

wet

Filmexperten

Wenn der Hund die blöde Angewohnheit hätte, Schuhe zu zerkauen - würde man ihm dann alle Zähne ziehen? Oder würde man nicht eher versuchen, die Schuhe unattraktiver zu machen, zum Beispiel weniger kaufreundlich? Analogien sind immer schwierig, aber diese beschreibt ungefähr, was Martin Kerschensteiner tut. Der Hund ist dabei die Krankheit, nämlich die Multiple Sklerose (MS). Die Schuhe aber sind das menschliche Gehirn.

Bei MS wenden sich Immunzellen gegen den eigenen Körper. Im Gehirn greifen sie das Myelin an, das ist so etwas wie die Isolierung zwischen den Nervenfasern, den Axonen. Wenn es zerstört wird, führt das zu den Beeinträchtigungen und Behinderungen, an denen MS-Patienten leiden. Bisherige Therapien zielen darauf ab, die Immunzellen weniger aggressiv zu machen - dies hat allerdings den Nachteil, dass das ganze Immunsystem geschwächt wird und die Aufgabe nicht mehr verrichten kann, für die es gemacht ist: Krankheitserreger von außen abzuwehren.

Kerschensteiner und sein Team dagegen haben eine Methode gefunden, mit der sie den zerstörerischen Immunzellen bei der Arbeit zuschauen können: Sie können filmen, wie sie Nervenfasern im Gehirn oder Rückenmark von Versuchstieren angreifen. Bislang gab es nur statische Bilder. Wie groß der Unterschied ist, erklärt der LMU-Forscher so: "Wenn Sie einem Außerirdischen Fotos von einem Fußballspiel zeigen, wird er schwerlich begreifen können, worum es da geht. Wenn er aber ein ganzes Spiel im Fernsehen anschaut, dann kann er sich die Regeln ableiten."

"Therapieforschung" heißt Kerschensteiners Arbeitsgruppe am Institut für klinische Neuroimmunologie. Doch auf dem Weg zur Anwendung beim Patienten seien sie erst vielleicht 40 Prozent vorangeschritten, sagt er selbst. Denn auch wenn sie einmal verstanden hätten, was im Gehirn des MS-Patienten genau passiert, müssten sie immer noch herausfinden, was sie dagegen tun könnten - und ob das hilfreich ist, ohne allzu große Nebenwirkungen. Erneut benutzt Kerschensteiner eine Analogie: "Wir suchen die Schraube, an der wir drehen können. Und dann suchen wir noch den passenden Schraubenzieher."

STHA

Maschinenraum

Axel Imhofs Team ist Diener vieler Herren - und deshalb zeigt sich an seinem Labor beispielhaft, wie die Zusammenarbeit im BMC funktionieren soll. Imhof leitet die "Core Facility Protein Analysis", einen von fünf zentralen Maschinenräumen. Hier gibt es Geräte, die alle Forscher im Haus brauchen, die aber zu kompliziert und zu teuer sind, um alle damit auszustatten. Imhof zum Beispiel wacht über fünf kühlschrankgroße, laut surrende Massenspektrometer; mit ihnen lässt sich das Gewicht von Atomen und Molekülen bestimmen. Ein einziger Apparat koste neu gut eine Million Euro, sagt Imhof. Die Maschinen können Zellen inventarisieren und mit Hilfe eines Hochleistungsrechners ermitteln, wie viele und welche Eiweiße diese enthalten. Wenn man Messergebnisse vergleicht, lässt sich ein Stück weit nachvollziehen, was in den Zellen vor sich geht.

Interessant ist das auch für Imhof: Der Biochemiker und seine Arbeitsgruppe beschäftigen sich mit der Zellteilung. Sie wollen herausfinden, wie eine Zelle regelt, dass ihre Tochterzelle richtig funktioniert. Dafür reicht es nicht, die Erbinformation zu verdoppeln. Die Tochterzelle muss auch wissen, wie sie mit dem Erbgut umgehen soll. Zuständig dafür ist die Verpackung der DNA, und diese wird auf eigenwillige Weise vererbt: Bei der Zellteilung produziert die Mutterzelle Standard-Eiweißteilchen, die langsam, aber zielgerichtet die gewünschte Struktur bilden. Wie das genau funktioniert und wie sich die neue Struktur stabilisiert, das ist noch unklar. Wären die Mechanismen durchschaut, gäbe es vielversprechende Perspektiven, sagt Imhof: etwa für chronische Erkrankungen wie Asthma, Morbus Crohn und Diabetes, oder auch für die Behandlung psychischer Störungen wie Schizophrenie. Bis dahin gebe es noch viel zu forschen.

Imhofs Maschinenraum ist laut und ungemütlich, aber er ist eine Art Treffpunkt für Forscher unterschiedlicher Arbeitsgruppen. "Wenn jeder in seinem Labor sitzt, bekommt man nicht immer mit, was die anderen machen", sagt Imhof. In einer "Core Facility" wie seiner dagegen herrsche reger Austausch - und so bekomme nicht zuletzt er selbst jede Menge Impulse für die eigene Forschung.

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Umprogrammiert

Dass sie einmal an Möglichkeiten forschen würde, geschädigte Gehirne zu reparieren, hätte Magdalena Götz anfangs nicht gedacht. Sie wollte die Grundlagen verstehen, wollte genau nachvollziehen, wie Nervenzellen gebildet werden. Doch dann bemerkte sie, dass sich während der Entstehung des Gehirns Nervenzellen aus anderen Zellen entwickeln, aus sogenannten Gliazellen, die man für wenig mehr hielt als eine Stütze für die eigentlichen Neuronen; da war die Fachwelt bereits irritiert. Dann entdeckte sie, wie sich diese Gliazellen künstlich zu Nervenzellen umprogrammieren lassen. Und zuletzt gelang es ihr und ihrem Team gar gemeinsam mit Forschern vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie, eine in ein Gehirn transplantierte Nervenzelle wieder funktional zu vernetzen. Bislang sei das im Versuch mit Mäusen gelungen, bei menschlichen Zellen funktioniere das aber zumindest in der Zellkultur-Schale ebenfalls. Götz spricht von einem Durchbruch. Noch ist er nicht bekannt, die Ergebnisse sollen aber bald wissenschaftlich publiziert werden. "Und das ist ein gutes Beispiel dafür, warum Grundlagenforschung so wichtig ist", sagt Götz. "Hätten wir von Anfang an angewandt geforscht, wären wir darauf nie gekommen."

Was man mit den Ergebnissen machen kann? "Eines Tages", sagt Götz, ließen sich vielleicht beschädigte Nervenzellen gezielt ersetzen, also Hirnschäden reparieren, um zum Beispiel Schlaganfälle, Schädel-Hirn-Traumata, Parkinson oder Alzheimer zu behandeln. Aber bis dahin werde es noch dauern. Vorstellen freilich kann sie sich vieles: "Die Formbarkeit von Zellen scheint Stand heute unbegrenzt."

Der nächste Schritt wird nun zunächst der Umzug vom LMU-Institut an der Schillerstraße nach Martinsried sein. Ein Wasserschaden in der Tierhaltung, die Götz für ihre Versuche unbedingt benötigt, hat den Zeitplan durcheinander gebracht - und die Zeit wird der mit dem Leibniz-Preis ausgezeichneten Biologin lang. Schon heute arbeiten sie und ihr Team mit anderen Forschern zusammen, allen voran mit dem Helmholtz-Zentrum in Neuherberg, dessen Institut für Stammzellforschung Götz leitet. Doch das Teamwork ist umständlich. Nach dem Umzug sollen alle Haustür an Haustür arbeiten: Das Helmholtz-Institut zieht ebenfalls nach Martinsried, das Max-Planck-Institut für Neurobiologie ist bereits vor Ort.

Götz kann es kaum erwarten: "Ich freue mich auf das BMC, seit ich meinen Lehrstuhl angetreten habe", sagt sie. Das war vor zehn Jahren.

WET

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