Lou Reed in der Philharmonie:Meister der Traurigkeit

Ein T-Shirt - so rot wie die Liebe und das Blut: Lou Reed führt in der Philharmonie eindrucksvoll sein düsteres Konzeptalbum "Berlin" auf.

Lisa Sonnabend

Ein Konzert von Lou Reed bei Sonne ist in etwa so wie ein Auftritt der Metal-Band Slayer in rosa Tüllröckchen. Und so war es folgerichtig, dass sich am Donnerstag vor Beginn des Konzertes in der Münchner Philharmonie die heißen Temperaturen abkühlten und sich die fast irreale Hitze in Regenschauern entlud.

Lou Reed in der Philharmonie: Traurig und im blutroten T-Shirt in der Münchner Philharmonie: der US-amerikanische Sänger Lou Reed.

Traurig und im blutroten T-Shirt in der Münchner Philharmonie: der US-amerikanische Sänger Lou Reed.

(Foto: Foto: dpa)

Lou Reed ist derzeit auf Europa-Tournee, um "Berlin" aufzuführen, das vielleicht düsterste Album der Rockgeschichte. Das vor 35 Jahren erschienene Werk handelt von einer drogenabhängigen Mutter, die von ihrem Freund geschlagen wird und sich schließlich das Leben nimmt.

Der amerikanische Sänger, der die Traurigkeit der ganzen Welt in ein einziges Album gepackt hat, muss diese nun in der nicht ausverkauften Philharmonie im Gasteig auf seinen Schultern tragen. Vielleicht hat er sich da im Jahre 1973 ein bisschen zu viel aufgehalst.

Kinderchor statt Heroinspritze

Jeder Schritt fällt dem inzwischen 66-jährigen schwer, er bewegt sich kaum. Helfer müssen ihm die Gitarre umhängen. Die Falten in seinem Gesicht zeugen von seinem Leben voller harter Drogen, die er auch mit seiner neuen Sucht Tai-Chi nicht wegretuschieren kann.

Lou Reed zupft sanft an der Gitarre, seine Stimme ist zart. Sekunden später erhebt sie sich aufgebracht. Im Hintergrund laufen Videoschnipsel, die eine schicksalhafte Liebe bebildern. Der Filmregisseur Julian Schnabel ("Schmetterling und Taucherglocke") hat das Bühnenbild entworfen.

Als Lou Reed noch bei der legendären Band "Velvet Underground" spielte, simulierte er auf der Bühne gerne das Setzen einer Heroinspritze. In der Philharmonie singt dagegen ein Kinderchor in weißen Umhängen mit. Dazu spielen Streicher und Bläser. In der Mitte steht Lou Reed in einem rotem T-Shirt - rot wie die Liebe und das Blut. Seine dunkle, monotone Stimme dringt durch den Saal. Die gute Akustik in der Philharmonie trägt die Stimmung wunderbar bis in die hintersten Reihen.

Neun Lieder singt Lou Reed über die Tragödie in der zerrissenen Stadt Berlin. "It was very nice, hey honey, it was paradise", heißt es noch im Eröffnungslied "Berlin". Schon bald folgen Gewalt ("Caroline says II"), Drogen ("The Kids") und Selbstmord ("The Bed"). Der letzte Song des Albums heißt logischerweise "Sad Song".

Zwei Jahre nach Erscheinen seines Berlin-Albums zog Lou Reed tatsächlich in die durch die Mauer geteilte Stadt. Diese galt 1975 als Treffpunkt der Heroinabhängigen und Kreativen. Lou Reed lebte in einem Haus mit David Bowie und Iggy Pop, die die Nähe zum Eisernen Vorhang ebenso in ihren Liedern verarbeiteten. Auf seiner Europatour 2008 tritt Lou Reed allerdings nicht in Berlin auf.

Am Ende des fast zweistündigen Konzertes in der Philharmonie erheben sich die Zuschauer zu Standing Ovations. Der Bassist nimmt Lou Reed in den Arm, als wolle er ihn auffangen und zurückreißen in die reale, weniger traurige Welt.

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