Lou Reed auf dem Tollwood:Immer noch auf der wilden Seite

Mittlerweile 70, rockt aber noch wie ein Junger: Lou Reed hat auf dem Tollwood Lieder aus 45 Jahren Musikgeschichte präsentiert - und lässt sich dabei nicht einmal vom Fußball unterkriegen.

Lisa Sonnabend

Rock'n'Roll ist tot. Das Konzert beginnt um 18.30 Uhr - zu einer Zeit, zu der richtige Rockstars gerade erst aufstehen, einen Kaffee trinken und eine Zigarette rauchen. Und Konzertende? Rechtzeitig vor Anpfiff des EM-Finales um 20.45 Uhr, verspricht der Veranstalter. Was ist aus Lou Reed geworden, dem 70-jährigen New Yorker Sänger, der sich ein Leben lang um keine Konventionen scherte?

Lou Reed performs in Amsterdam

Rock'n'Roll von einem Brillenträger: Lou Reed bei einem Auftritt im Juni in Amsterdam.

(Foto: dpa)

Mit Nickelbrille betritt er am frühen Sonntagabend die Bühne auf dem Tollwood-Festival im Münchner Olympiapark und setzt an zu singen. Mit dieser Stimme! Die von einem Leben erzählt, das nur wenig andere so exzessiv und womöglich auch intensiv gelebt haben wie er. Eine Stimme, die keine Sprache bräuchte, deren Klang schon alles sagt. Wenn "Sad Song" durch das Zelt dringt, die Begleitmusiker innehalten und nur dieses Timbre, dieser Schmerz, diese Sehnsucht bleibt. Dann wird klar: Rock'n'Roll ist noch nicht tot. Längst noch nicht. Und kaum einer verkörpert ihn derart wie Lou Reed.

Der Musiker spielt bei seinem Auftritt Lieder "from VU to Lulu" - also von seiner Zeit mit Velvet Underground bis zu seiner im vergangenen Jahr aufgenommen Platte mit Metallica. Das Beste aus 45 Jahren Rockmusik. Von "Heroine" aus dem Jahr 1967 bis "Brandenburg Gate" vom aktuellen Album.

Die Stimmung auf dem Tollwood ist am besten bei den alten, bekannten Liedern wie "I'm Waiting for the Man", "Walk on the Wild Side" oder der ersten Zugabe "Beginning to See the Light". Gerade bei den Songs von "Lulu" wird deutlich, dass ein Zelt doch kein idealer Konzertsaal ist. Zu breiig und scheppernd kommt der schmetternde Sound der sechsköpfigen Band bei den Zuschauern an. Wie intensiv war dagegen das Konzerterlebnis 2007 in der Philharmonie im Gasteig, als Lou Reed sein Album "Berlin" präsentierte.

Viele Zuschauer an diesem Sonntagabend sind ähnlich alt wie der Sänger, manche tragen gar ähnlich tiefe Furchen im Gesicht. Einer reckt die Krücke in die Luft und wippt im Takt mit. Aber auch junge Leute sind gekommen: Kinder oder Enkelkinder, und Teenager, die jede Zeile von "Heroine" mitsingen können.

Überraschend: Lou Reed, nicht nur einer der größten Musiker der Welt, sondern auch einer der größten Grantler, ist an diesem Abend ausnahmsweise einmal gut gelaunt. Er lächelt milde, ab und an spricht er sogar mit dem Publikum oder kündigt einen Song an. Vielleicht liegt seine gute Stimmung auch daran, dass das Wetter perfekt mitspielt. Kurz vor Konzertbeginn beginnt es zu tröpfeln, der Himmel ist wolkenverhangen. Ein Lou-Reed-Konzert an einem lauen Sommerabend wäre etwa so unpassend gewesen wie ein Rammstein-Konzert, bei dem die Bühne mit Teddy-Bären dekoriert ist.

Nach der zweiten Zugabe ist das Konzert vorbei. Es ist 20.39 Uhr, noch sechs Minuten bis zum Anpfiff. "Ich komme bald wieder", verspricht Lou Reed. Oh ja, Rock'n'Roll ist lange noch nicht tot.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: