Lorin Maazel:Charmanter Schlingel

Mit einem schwarzen, dramatisch gebogenen Teil: Der künftige Philharmoniker-Chef Lorin Maazel ist vor Presse und Abonnenten inthronisiert worden.

Egbert Tholl

Die schönste Szene blieb den Abonnenten leider verwehrt. Bei der Pressekonferenz der Münchner Philharmoniker sitzen Lorin Maazel, der künftige Chefdirigent, Intendant Paul Müller, Kulturreferent Küppers, Thomas Girst vom Sponsor BMW und Orchestervorstandsmitglied Stefan Haack nebeneinander an einem langen Tisch im Foyer des Carl-Orff-Saals. Die vormittägliche Sonne fällt leuchtend scharf in den Raum. Und irgendwann, ganz nebenbei, setzt Lorin Maazel eine Sonnenbrille auf, ein schwarzes, dramatisch gebogenes Teil. Maazel verwandelt sich. Er ist nicht mehr Maazel. Er ist Ray Charles.

Lorin Maazel wird neuer Chefdirigent der Muenchner Philharmoniker

Lorin Maazel freut sich sehr auf die Zusammenarbeit mit den Münchner Philharmonikern, für ihn "eines der fünf besten Orchester der Welt".

(Foto: dapd)

Ein wenig schief sitzt Ray Maazel hinter dem Tisch, und man muss sofort an die Szene im "Blues Brothers"-Film denken, in welcher Charles sehr eindrucksvoll erklärt, dass das Piano, das vor ihm steht, sehr wohl noch Soul habe. Was umgekehrt dann bedeutet, dass Lorin Maazel wohl beweisen wird, welche Leidenschaft in den Münchner Philharmonikern steckt und dass er diese hervorholen wird. Dazu Stefan Haack: "Es gibt eine sehr positive Spannung im Orchester."

Bei der Vorstellung des Programms der nächsten Philharmoniker-Saison - Maazel wird erst 2012/2013 Chef, leitet aber schon in der kommenden Spielzeit vier Programme - ist weniger die in Teilbereichen und im Vergleich zu den letzten Jahren gewachsene Vielfalt bemerkenswert, als die Stimmung. Alles ist heiter; Intendant Paul Müller spricht so frei wie noch nie, seit er bei den Philharmonikern ist, man feixt, und Maazel ist sehr fröhlich.

Nachmittags bei der Konferenz mit den Abonnenten in der Philharmonie - ein großartiger Service, bei welchem das Programm vorgestellt wird und Fragen beantwortet werden - geht's nicht mehr ganz so lustig zu. Schade, an Maazel, Müller und Haack liegt's nicht.

Aber der Abonnent ist ein eigensinniges Wesen, das eine solche Fragestunde auch dazu nutzt, von Dingen zu berichten, die mit dem aktuellen Anlass nichts zu tun haben, etwa dass man die historische Aufführungspraxis verabscheue, was im Zusammenhang mit einem symphonischen Orchester, dessen Ausrichtung eine ganz andere ist und immer sein wird, ein wenig sonderbar wirkt. Darüber hinaus scheint es eine Art Höllen-Abo zu geben, es trägt den Buchstaben E und ist offenbar von der letzten zur laufenden Saison geschrumpft, was Unmut hervorruft und ein winziger Splitter im bunten Kolossal-Mosaik des Abo-Wesens ist.

18000 unter einen Hut zu bringen, ist nicht leicht, zumal alle den Chef hören wollen. Kommt während der Veranstaltung die Rede auf Thielemann und dem Dank, dem ihm das Orchester für seine künstlerische Arbeit ausspricht, hebt ostentativer Beifall an - die letzten Wunden schwären noch.

Aber nicht mehr lang. Maazel ist charmant, selbstironisch, klug. Also meint er zur Akustik der Philharmonie, dass dies ein heißes Thema sei, das überall auf der Welt übertrieben werde: "Es gibt keine schlechte Akustik, es gibt schlechte Dirigenten, die mit der Akustik eines Saals nicht zurechtkommen." Er verspricht, möglichst viele Probleme in der Philharmonie, die er liebe, zu lösen; meint aber auch, dass dies nicht in allen Bereichen gelingen werde. Ein Schlingel, der sich nicht recht festnageln lassen will. Aber eben charmant ist.

Das Münchner Publikum schätze er als kompetent, kritisch und emotional - "nach guten Konzerten applaudiert man". Eine löbliche Sitte, die vielleicht in New York, wo er gerade sieben Jahre Chef war, nicht so verbreitet ist. Nach New York wollte er eigentlich nie mehr ein Orchester leiten. Aber da ihm die Musik so am Herzen liege, er nie aufhören könne, und er das Niveau der Philharmoniker extrem hoch schätze, blieb ihm gar nichts anders übrig, als "Ja" zu sagen, als Paul Müller ihn fragte.

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