Literaturfest Münchnen:Gipfeltreffen zweier Literaturnobelpreisträgerinnen

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Die zwei Nobelpreisträgerinnen Swetlana Alexijewitsch (l.) und Herta Müller im Literaturhaus in der LMU. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Schriftstellerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch haben sich noch nie getroffen. Zum Auftakt des Münchner Literaturfestes diskutieren sie über Diktatur und Sprache.

Von Sonja Zekri

Die Sprache ist verwahrlost und entfesselt geworden, sie ist vulgär geworden, auf Facebook, in Talkshows, in der Politik sind Beleidigungen und Lüge akzeptierte Stilmittel. Doch es gibt auch die anderen, die in ihren Texten dem Humanismus, der Wahrhaftigkeit, der Präzision verpflichtet sind. Zwei der bedeutendsten Protagonistinnen haben sich am Freitagabend zum Auftakt des Münchner Literaturfestes getroffen:

Die in Rumänien geborene Banater Schwäbin Herta Müller, die 1987 nach Deutschland ausreiste und in Romanen wie "Atemschaukel" oder "Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet" das Leben in der Diktatur beschrieb, und die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch, die in Werken wie "Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft" oder "Secondhand-Zeit" die Deformierungen des sowjetischen Menschen bis heute beschreibt. Müller wurde im Jahr 2009 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, Alexijewitsch 2015. Ein Gipfeltreffen. Der prächtige Große Saal der Ludwig-Maximilians-Universität war zum Platzen voll.

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"Ein Wort gibt das andere": Unter diesem Motto widmet sich das Münchner Literaturfest dem Thema Sprache und wartet mit prominenten Schriftstellern wie Mathias Énard oder Cornelia Funke auf.

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Um "Sprache und Poesie in Diktaturen" ging das Gespräch, und schnell wurde klar, dass es nicht nur eine, sondern verschiedene Sprachen gibt: Die Sprache der Unterdrücker, die blecherne, hässliche, feindselige Sprache der Propaganda und der Verhöre, hinterhältig und drohend: "Wer sich sauber anzieht, kann nicht dreckig in den Himmel kommen", lautete so ein Satz, ausgesprochen bei einer Vernehmung, weil die junge Herta Müller stets sorgfältig geschminkt und schön angezogen zum Verhör ging: "Sie sollten sehen, dass ich mich noch nicht aufgegeben habe", so Müller.

Die Sprache der Unterdrückten wiederum war oft - das Schweigen, das Verschwiegene, kurze Sätze, in denen Jahre der Qual lagen, wie Herta Müllers Mutter sie im Lager erlitt. Sie konzentrierten sich in rätselhaften Formeln wie "Wind ist kälter als Schnee" oder "Durst ist schlimmer als Hunger", und wenn die Mutter dem Kind die Haare kämmte und Zöpfe flocht, sprach sie vom Kahlscheren. Möglicherweise, so spekulierte Müller kühn, habe das auch mit dem Verhältnis von Stadt und Land zu tun. Auch in Bayern seien die Bauern wahrscheinlich wortkarger als die Münchner: "Je heftiger das Gefühl, desto kürzer der Satz."

Swetlana Alexijewitsch wiederum erinnerten diese Überlegungen an ihre Kindheit in Weißrussland, wo die Frauen des Dorfes - alles andere als wortkarg - am Abend über die letzte Nacht mit ihren Männern sprachen, ehe sie in den Krieg - oder ins Lager kamen: Nie wieder habe sie jemanden so schön über die Liebe sprechen hören.

Ob diese Erfahrungen sie inspiriert hätten, später jene Hunderte Stimmen zu sammeln, die sie zu ihren "Romanen in Stimmen" komponierte, wollte Herta Müller wissen - was Swetlana Alexijewitsch bestätigte. Eine Frage gab die nächste, die beiden Frauen hatten sich nie getroffen, die Neugier beider aufeinander war groß, und so hatte das Publikum den wunderbaren Eindruck, einem Künstlergespräch auf allerhöchstem Niveau zu lauschen.

Dass die heute oft verwahrloste Sprache die autoritären Sehnsüchte vieler Menschen ausdrückt, macht beiden Sorgen. Doch an diesem Abend, den SZ-Redakteur Jens Bisky moderierte, erlebte man zwei große Künstlerinnen, die sich dieser Bewegung illusionslos, aber unbeirrt entgegenstemmen.

Literaturfest München, Do., 10., bis So., 27. Nov., diverse Orte, www.literaturfest-muenchen.de

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