Literatur:Wo ist Rilke?

Seltsamerweise fehlt der Lyriker auf einem Gemälde von Heinrich Vogeler, um das Klaus Modicks Bestseller-Roman "Konzert ohne Dichter" kreist. Eine Begegnung mit Modick in seiner Heimatstadt Oldenburg

Von Antje Weber

Damit hatte er nicht mehr gerechnet. Er hatte bereits jede Menge Romane geschrieben, die sich gut verkauften, ohne Riesenerfolge zu sein. Er hatte sich darin eingerichtet, er war nicht unzufrieden. Und nun das: Sein neuer Roman steht seit Wochen auf der Spiegel-Bestseller-Liste, 65 000 Bücher sind bereits verkauft. Ja, es ist geschehen: Klaus Modick, 63, ist Bestseller-Autor.

Kein Wunder, dass der Schriftsteller sehr zufrieden wirkt, als er von seinem Roman "Konzert ohne Dichter" erzählt und dessen großem Erfolg, der ihm eine "gigantische Lesereise" mit insgesamt 70 Lesungen beschert. An diesem sonnigen Frühlingstag kurz nach Ostern jedoch sitzt Modick noch entspannt in einem Café im niedersächsischen Oldenburg, seiner Heimatstadt, in der er seit 15 Jahren wieder lebt - und in der auch der aktuelle Roman seinen Ursprung hat. Denn als sich Modick vor einigen Jahren fragte, ob sein im späten Jugendstil erbautes Elternhaus unter Denkmalschutz zu stellen sei, stieß er beim Googeln schnell auf Heinrich Vogeler. Der Jugendstil-Maler, der zu den wichtigsten Figuren der Künstlerkolonie Worpswede gehörte, stellte 1905 ein gefeiertes Gemälde auf der Landesausstellung in Oldenburg aus - "einen Steinwurf von meinem Schreibtisch entfernt", wie Modick erzählt. "Ich dachte: Hier ruft mich was - um es rilkisch auszudrücken."

Tatsächlich liegt der Gedankensprung zu Rilke nahe: Auch Rainer Maria Rilke weilte in jenen Jahren in Worpswede. Hin- und hergerissen zwischen den Künstlerinnen Paula Modersohn-Becker und Clara Westhoff, schwängerte und heiratete der Dichter schließlich die zweite. Doch "über diesem Paar hing wie eine düstere Wolke das immer gleiche freudlose Verhängnis", heißt es im Roman. Keine üble Nachrede, sondern Realität, glaubt man Modick, der Rilke genüsslich als pathetischen Egomanen schildert und sich dabei eng an die reichlich vorhandenen Quellen hielt: "Das ist keine Verzerrung."

Modick entwirft in seinem Roman das Gesamtbild einer "völlig zerrütteten Truppe"; dass sie gemeinhin als "Idylle der Worpsweder Kunstutopie" durchgereicht werde, ist für ihn "Stuss, absoluter Stuss". Geschickt macht er das an Vogelers preisgekröntem Gemälde "Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff" fest, das bis heute als Ikone des Jugendstils gilt: Darauf musizieren und meditieren zwar verschiedene Figuren, in denen man die Künstler selbst entdecken kann, in idyllischem Gartenambiente. Doch: "Warum gucken alle so miesepeterig und gelangweilt? Und warum fehlt Rilke?"

Ja, wo ist Rilke? Den hatte Vogeler aus seinem Bild, an dem er jahrelang gefeilt hatte, einfach getilgt: Sein Platz auf einer Gartenbank ist leer. Im Roman, der aus Vogelers Perspektive geschrieben ist, wird die Fremdheit, ja Abneigung zwischen den beiden Künstlerpersönlichkeiten überdeutlich. "Selbst ernanntes Genie gegen Handwerker", so beschreibt Modick selbst die Konstellation; wie bereits in seinem früheren Roman "Sunset", in dem der karrieresüchtige Bert Brecht den arrivierten Autor Lion Feuchtwanger ausnutzt, lässt er auch hier zwei höchst verschiedene Typen aufeinanderprallen. Und auch diesmal ist für ihn klar: "Meine Sympathien sind bei den Handwerkern." Da kommt vielleicht eine gewisse norddeutsche Nüchternheit durch: "Ich mag nicht die Prätention des Künstlertums."

Was er aber offensichtlich mag: die Bedingungen und Abhängigkeiten seines Berufsstands zu beschreiben. Die ehrwürdige Tradition des Künstlerromans sei nach wie vor beliebt, glaubt er, weil es heutzutage keinen literarischen Kanon mehr gebe. Seit Böll, Grass und Lenz habe sich alles diversifiziert, "das kann keiner mehr überschauen". Der "unartikulierte Wunsch, das möge stabiler sein", lässt denn auch viele Leser zu historischen Stoffen mit berühmten Persönlichkeiten greifen - und macht Romane wie den von Klaus Modick zu Erfolgen. Wobei man gleich noch einmal bekräftigen muss, dass Modick Bestseller für " nicht planbar" hält (sonst hätte er womöglich zuvor schon den einen oder anderen geschrieben) und weder er noch sein Verlag Kiepenheuer & Witsch mit einem solchen Interesse rechneten.

Ein weiterer Vorteil von Künstlerromanen, so Modick: "Man kann, ohne von sich zu sprechen, über seine eigene Befindlichkeit reden." Auch er selbst nutzt die Chance, unter dem Mäntelchen des Jugendstil-Märchenprinzen Vogeler ausgiebig über den Sinn des künstlerischen Tuns nachzudenken. Vogeler jedenfalls wirkt zermürbt und zweifelnd; während er von seiner Umgebung gefeiert wird, hat er selbst das hübsch Dekorative gründlich satt. Er hat "bislang immer geliefert, was man von ihm verlangte, zuverlässig und pünktlich, geschmackvoll und erlesen", sinniert er im Buch und fragt sich: "Will er überhaupt noch etwas? Hat er nicht alles im Überfluss?" Er wird, was im Roman nicht mehr vorkommt, sein saturiertes Leben tatsächlich umkrempeln, wird sich dem Sozialismus verschreiben und 1941 tragisch im sowjetischen Exil ums Leben kommen.

Klaus Modick, der Routinier, der Handwerker seit mehr als 30 Jahren, kennt jedenfalls alle Fragen und Zweifel, die eine künstlerische Laufbahn begleiten. Wie man sich die Freude am eigenen Schaffen bewahrt, auch das Spielerische? "Es wird nicht leichter mit den Jahren", antwortet er ehrlich. Doch er sieht den Vorteil, inzwischen "zu wissen, wie man's macht"; er schätzt die Gelassenheit, die daraus resultiert, "niemandem mehr etwas beweisen zu müssen". Hilfreich ist auch sein "ironischer Blick aufs Ganze" als Lebenseinstellung: "Ohne den fände ich alles völlig unerträglich."

Im Roman wird Vogeler jedenfalls einmal von einem Zimmermann auf Plattdeutsch gefragt, warum er überhaupt so'n Tüüch mache, also Kunst schaffe? "Vielleicht, weil man geliebt werden will, dachte er. Und weil es Spaß macht." Wenn man einen Bestseller landet, vielleicht gar noch ein bisschen mehr.

Lesungen von Klaus Modick: München: Mi., 15. April, 19. 30 Uhr, Seidlvilla, Nikolaiplatz; Nürnberg: Do., 16. April, 20 Uhr, Literaturhaus Nürnberg

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