Lieferdienste:Fünf Minuten laufen für ein Essen? Wirklich nicht!

Lieferdienste: Auf dem Weg zum nächsten Kunden: Emil Praetzel, 19 Jahre, fährt für Foodora durch München.

Auf dem Weg zum nächsten Kunden: Emil Praetzel, 19 Jahre, fährt für Foodora durch München.

(Foto: Robert Haas)
  • Lieferdienste wie Foodora oder Deliveroo bringen das Essen aus Restaurants nach Hause, die bisher keinen Lieferservice anboten.
  • Investoren überlassen diesen Firmen Millionen, sie erhoffen sich enorme Gewinne.
  • Für manche Lokale aber scheint sich das Geschäft nicht zu lohnen - wer im Internet Essen bestellt, denkt noch immer eher an Fast Food als an das klassische Restaurant.

Von Pia Ratzesberger

Ruhe hat hier niemand, schon gar nicht um ein Uhr am Mittag, die beste und zugleich schrecklichste Zeit. Die Leute stecken Löffel voller Reis in ihre aufgerissenen Münder, pressen Telefone an ihre erhitzten Schädel, sie plärren, sie hetzen, und Emil Praetzel hetzt jetzt auch. Er greift nach der Tüte auf dem Tresen, verstaut sie in einer dieser pinken Boxen, die auffallen auf den Münchner Straßen. Er jagt zur Tür hinaus, steigt auf sein Fahrrad, ein Fixie, damit ist er einer der schnellster Fahrer in der Stadt, aber weit hat er es ohnehin nicht. Gerade einmal 1100 Meter. Zehn Minuten zu Fuß. Drei Minuten mit dem Rad. Für immer mehr Menschen: viel zu weit für eine Mahlzeit.

Hunderte Fahrradkuriere wie Emil Praetzel rauschen täglich durch das Glockenbach und Haidhausen, durch Schwabing und das Lehel. Sie tragen pinke oder türkisfarbene Boxen auf dem Rücken, je nachdem welche Mannschaft sie verpflichtet hat, Foodora oder Deliveroo. Die beiden Lieferdienste werben mit jeweils um die 300 Restaurants, in denen die Kunden schon am Tisch saßen, deren Küchen aber bisher nicht lieferten.

Essen zu bestellen soll nicht mehr die letzte verzweifelte Lösung sein für den Sonntag, wenn alle Geschäfte geschlossen sind. Foodora und Deliveroo preisen "hochwertiges Essen" an und "kulinarische Highlights". Jede dieser Firmen will zum begehrtesten Lieferdienst der Stadt aufsteigen, darum buhlen sie seit mehr als einem Jahr, bald wohl auch mit einem dritten Konkurrenten. Der Fahrdienst Uber hat derzeit mehrere Stellen für "Ubereats" in München ausgeschrieben, seinen eigenen Lieferdienst, bisher fuhr der nur im Ausland. Alle wollen verdienen an der vermeintlichen Lust auf ach so feines Essen, dabei ist noch gar nicht sicher, dass man daran überhaupt verdienen kann.

Emil Praetzel gehört zum pinkfarbenen Team, der Regen schlägt ihm ins Gesicht, er kurvt um ein parkendes Auto, biegt rechts ab, links, er kennt ja seine Wege. Weil niemand mehr Zeit hat, niemand mehr Ruhe, sitzt nun nicht die Dame aus dem Altbau vorne an der Isar auf ihrem Fahrradsattel, sondern er. Für die Zeit nach dem Abitur sei das schon ein ziemlich guter Job. "Ich mache Sport und kriege Geld dafür, ist doch geil", Praetzel bremst, lehnt das Rad an den Hauseingang, sein linkes Knie ist aufgeschlagen. Hier muss es sein, Nummer 8.

Deliveroo stellt nur einen Teil seiner Mannschaft an, der Rest arbeitet selbstständig, Foodora-Kuriere wie Praetzel dagegen sind alle fest angestellt, Mini-Jobber. Die App auf seinem Handy schickt ihn durch die Stadt, befiehlt ihm, wo er Essen abzuholen hat und wo hinzubringen. Er kennt immer nur das nächste Ziel, nie die Route. Ein ehemaliger Foodora-Fahrer hat das auf dem Portal Gründerszene beklagt, die App sei ein Chef, der einem nur wenig zutraue.

Foodora ist in München gegründet worden, hieß damals aber anders

Dieser Chef allerdings muss auch mit jedem Fahrer in jeder Stadt klarkommen, ob in München oder in Melbourne, in Göteborg oder in Sydney. Investoren setzen Millionen auf Deliveroo und Foodora, weil sie hoffen in jeder Metropole der Welt zu gewinnen. Ein paar Fahrräder, ein paar Boten, ein Büro, die Restaurants kochen ohnehin. Eine neue Stadt kostet nicht viel.

Erst vor wenigen Monaten haben Kapitalgeber Deliveroo, gegründet in London, wieder 100 Millionen US-Dollar überlassen. Foodora, einst an der Isar erwachsen - damals noch mit dem Namen "Volo", lateinisch für "ich fliege, ich eile" - kaufte Anfang vergangenen Jahres Rocket Internet. Wenige Monate später ging die Firma an Delivery Hero in Berlin, die auch andere klassische, günstige Lieferdienste wie etwa "Lieferheld" führt - an Delivery Hero ist Rocket Internet ohnehin beteiligt.

Die Investoren aber werden nur froh sein, wenn es auch die Kunden sind, wie hier in diesem Münchner Altbau. Keines der Klingelschilder trägt den Namen, den Praetzel sucht, er geht auf und ab, ruft die Dame an, die das vegetarische Curry auf seinem Rücken bestellt hat. An der Tür prangt allein der Name ihres Büros, das habe sie ganz vergessen, Emil Praetzel hetzt die Stufen hinauf. Ziemlich typisch, dass sich jemand seine Mahlzeit an den Schreibtisch wünscht.

"Viele unserer Kunden arbeiten sehr viel"

Denn wer sich für Foodora oder Deliveroo entscheidet, zahlt mehr als beim Pizzastand ums Eck. Die Lieferdienste halten die Restaurants zwar an, die gleichen Preise zu verlangen wie auf der gedruckten Speisekarte, doch erstens kommt noch immer eine Liefergebühr von etwa 2,50 Euro dazu. Zweitens ist das Essen aus einem Restaurant ohnehin teurer als das Brathähnchen aus dem Grillwagen.

"Viele unserer Kunden arbeiten sehr viel und haben wenig Zeit selbst zu kochen", sagt David Brunier, Marketingchef bei Foodora. Wer die Speisekarten der neuen Lieferdienste durchsieht, die stark beworbenen Angebote, der kann sich den Kunden ziemlich gut vorstellen: Der Großstädter, der zwar Geld, aber kaum Zeit hat. Der gerne schnell isst, aber bitte auch gesund. Der gerne einen Burger bestellt, aber eben mit Biofleisch und getrockneten Tomaten. Oder gleich einen Burrito, jede Zutat selbst gewählt. Zum Beispiel aus der Baaderstraße.

Michael Freismuth hetzt in seinen Laden, war viel Stau auf den Straßen, hinter ihm Bilder von Surfbrettern und Halfpipes, ein bisschen Kalifornien im Gärtnerplatzviertel. Er trägt eine Cap von Vans, das Tablet hinter der Theke fiepst, gleich wird der Deliveroo-Fahrer bremsen. Wie einige Restaurants in der Stadt hat auch Freismuth einen Vertrag mit Deliveroo und Foodora, warum nicht alles mitnehmen, was geht. Heute haben insgesamt zwanzig Kuriere vor dem Laden gehalten, das sei ein netter Zuverdienst, immerhin. Auch wenn Deliveroo-Manager Ben Rauser angibt, dass die Bestellungen auf seiner Plattform sehr wohl "einen signifikanten Teil des Umsatzes der Restaurants" ausmachen.

Fragt man bei Münchner Restaurants nach, klingt das nicht danach. Am ehesten lohnen sich die Bestellungen wohl noch für Läden wie die Burrito Company von Freismuth, Läden mit schnellem Essen also, mit Burgern oder Sushi. Vielleicht legt Brunier von Foodora auch deshalb wert darauf, dass man "so premium" ja gar nicht sei, man sei ein Lieferdienst für den gehobenen Massenmarkt. Aber immer noch Masse. Essen zu bestellen ist eben etwas anderes als Essen zu gehen, bei einem klassischen Restaurant in der Innenstadt heißt es: "Ach, von den Fahrern, da kommt vielleicht alle paar Tage einmal einer vorbei." Wie viel Provision er an die Lieferdienste zahlt, will Freismuth nicht sagen, die Firmen selbst geben dies auch nicht preis. 20 bis 30 Prozent aber ist eine Spanne, die Restaurantbetreiber immer wieder einmal nennen.

Die Fahrerin greift nach der Tüte, verstaut sie in einer der türkisfarbenen Boxen, die auffallen auf den Münchner Straßen. Zweimal Chicken Burrito, einmal Tortilla Chips, Natur. Freismuth nickt, sein Laden profitiere ja nicht nur von diesen Online-Bestellungen, sondern vor allem auch von der Werbung, die er sich alleine nie leisten könne. Die Plakate vorne an der U-Bahn-Station etwa, das sei schon förderlich, da kämen viele Leute vorbei. Neulich aber habe sich jemand seinen Burrito vom Kurier bringen lassen, der nur drei Häuser weiter wohnt, vielleicht 20 Meter entfernt. Nicht einmal eine Minute zu Fuß. Nicht einmal eine Minute mit dem Fahrrad. Für manche: viel zu weit für eine Mahlzeit.

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