Unternehmer Manfred Josef Hampel:Musik, die Mut macht

Ein Unternehmer, eine Idee, ein Projekt: Manfred Josef Hampel leitet ein Hartz-IV-Orchester. Gemeinsam mit seinen arbeitslosen Künstlern will er nun Raucherkneipen retten - mit Hilfe von Gratis-Konzerten.

Thomas Anlauf

Arbeit geht vor. Der Mann in Jeans und weißem Hemd balanciert auf der Leiter, zwängt Kabel durch die Verkleidung der Schwabinger Bar, steigt hinab, schaltet das Licht an, das die Kneipe "Big Ben" in flirrendes Blau taucht. "Man kommt einfach nicht zum Ende", sagt Manfred Josef Hampel, setzt sich an den kleinen Kneipentisch.

Unternehmer Manfred Josef Hampel: Bläst zum Marsch gegen das Kneipensterben: Manfred Josef Hampel, Gründer und Leiter des Hartz-IV-Orchesters, im "Big Ben".

Bläst zum Marsch gegen das Kneipensterben: Manfred Josef Hampel, Gründer und Leiter des Hartz-IV-Orchesters, im "Big Ben".

(Foto: Stephan Rumpf)

Eigentlich meint er das nicht in Bezug auf all die Kleinigkeiten, die es andauernd zu tun gibt - die scheint Hampel gar nicht wahrzunehmen. Seit halb sieben ist er schon wieder unterwegs an diesem trüben Herbsttag. Da sind all die Baustellen des Lebens, die ihn antreiben: sein Unternehmen, das er von Schloss Seefeld aus steuert; seine sechs Kinder; und da ist dieses Großprojekt, das nie zum Ende kommen kann und Hampel gerade deshalb so elektrisiert: die Sache mit Hartz IV.

Die kann ihn richtig aufregen. Eigentlich ist Manfred Josef Hampel ein sanfter Typ. Aber beim Thema Langzeitarbeitslosigkeit kneift er die dunklen Augen zusammen, zerschneidet mit den hellen Händen die Kneipenluft. "Das Sozialsystem in Deutschland sieht doch nichts vor für die Berufsgruppe der Künstler. Sie müssen genauso lange studieren wie Ärzte, aber eigentlich viel mehr leisten." Und wer zahlt einem Musiker die Zeit, die er mit Proben und Vorbereitungen verbringt? Niemand.

Vor zwei Jahren, mitten in der großen Krise, hat Hampel einen Plan gefasst. Er wollte Menschen, die in Hartz IV gerutscht waren, wieder Mut machen. Mit Musik. Und er wollte ihnen wieder Arbeit geben. Mit Musik. Manfred Josef Hampel, der gelernte Innenarchitekt, der Mann, der als Unternehmer Fenstersysteme bis in den Kremlpalast verkauft, gründete H4O - das Hartz-IV-Orchester.

Rund 130 Mitglieder hat sein Projekt mittlerweile, etwa die Hälfte sind Hartz-IV-Empfänger. Eine bekannte Transportunternehmerin ist mit dabei, weil sie von der Idee begeistert war. Eine Ordensschwester spielt Schlagzeug, wenn sie nicht gerade eine Predigt vorbereiten muss. Eine obdachlose Opernsängerin war im Ensemble - jetzt macht sie wieder Karriere. 35 Konzerte haben der 54-Jährige und seine Künstlertruppe bereits gegeben.

Doch das "virtuelle Unternehmen", wie er sein H-4-O-Projekt nennt, kann noch mehr. Als Hampel zu einer Abendveranstaltung mit gesetzterem Publikum eingeladen war, dachte er laut: Warum eigentlich immer nur blutjunge Menschen bedienen? Der Gastgeber war erst verblüfft, dann überzeugt: Hampel und sein Team bekamen den Zuschlag fürs nächste Catering - unter den Kellnern waren auch zwei 68-Jährige, die mit Begeisterung zum ersten Mal in ihrem Leben bedienten.

Der Mann ist ein Ideengenerator. Er sieht Probleme - und dann die Lösung. An diesem Mittwochnachmittag, als er von seiner Leiter im "Big Ben" hinuntergestiegen ist, erzählt er von einem neuen Plan.

Hampel will Raucherkneipen retten - mit kostenlosen Konzerten. Hampel, der Nichtraucher? "Wirte sind doch in erster Linie Auftraggeber von Künstlern und Musikern", sagt er. Und jetzt, da es das Rauchverbot in bayerischen Lokalen gebe, rechne das Kreisverwaltungsreferat, dass allein in München in den kommenden zwei Jahren siebenhundert Gaststätten schließen müssen. "Das können wir nicht zulassen", sagt Hampel.

"Ein tolles Experiment"

Zwei Abende später: Von weitem ist das Flackern des Diskolichts zu sehen, das durch die großen Fenster aus dem Big Ben an der Hohenzollernstraße dringt. Neben dem Eingang hat Wirtin Renata Lange eine Art Fackel aufgebaut - "Olympisches Feuer" nennt sie es. Die kleinen Kneipentische sind fortgeräumt, der Raum ist abwechselnd in Rot, Grün und Blau getaucht.

Es ist kurz vor neun. In den Kultlokalen der Stadt sind längst die Partys im Gange. Doch hier ist es noch ruhig. Renata Lange hat sich extra schick gemacht für diesen Abend - aber eigentlich macht sie das immer für ihre Gäste, seit sie vor zwölf Jahren die Pilsbar eröffnet hat. Zuletzt lief es nicht mehr gut. 50 Prozent Umsatzeinbußen hatte sie, wegen des Rauchverbots. Sie ist ein wenig nervös, ob diese verrückte Idee wirklich funktionieren könnte: eine ehemalige Raucherkneipe kurzerhand in ein Kultlokal zu verwandeln.

Als um kurz nach 21 Uhr Manfred Hampel aus dem Hinterzimmer ins Rampenlicht tritt, sagt sie noch: "Na ja, aller Anfang ist schwer." Hampel spricht zu sieben Gästen ins Mikro. "Wir wollen erreichen, dass Münchner Gaststätten nicht schließen müssen. Wir wollen etwas lostreten", ruft er, singt sanft "Smoke gets in your eyes". "Manfredo", wie er sich an diesem Abend nennt, bekommt freundlichen Applaus.

Es rührt die Menschen in der Bar, wie sich dieser Mann engagiert. Cecilia Aguero heißt die kubanische Tänzerin und Sängerin, die Hampel als Top Act mitgebracht hat. Auch wenn sie die Nacht zuvor bis 4 Uhr früh im Löwenbräukeller aufgetreten ist, gibt sie im Big Ben alles - für nichts. Innerhalb von Minuten füllt sich die kleine Kneipe, um halb zehn ist endgültig Party. "Ein tolles Experiment", sagt ein gesetzter Herr im Streifenanzug. Längst sitzt kaum noch einer der Gäste an der Bar, Frauen und Männer jeden Alters tanzen, jubeln. Der Herr am Tresen, der schon eine Ewigkeit Stammgast ist, staunt: "Wenn das funktioniert, wäre es eine Sensation."

Das kommt der Sache recht nah. Irgendwann in der Nacht haben fast alle getanzt und auch mal selbst ins Mikro gesungen: Gerd, Hans-Jürgen, Renata, Hans. Und Hampel weiß, dass er mit dem, was er hier losgetreten hat, wieder nicht zum Ende kommen kann. Natürlich wird er auch am kommenden Freitag ein Konzert geben. Man spürt, da war etwas. Als ob etwas Neues eingeläutet worden wäre im Big Ben. Und wenn es der Mut ist, sich selbst zuzuhören.

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