Letzter Tag des Schlecker-Ausverkaufs:Am Ende bleibt die Babymilch

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Ein Imperium zerfällt. Was bleibt, sind Gartensamen, Christbaumkerzen und eine blaue Plastikbürste. Schlecker macht Schluss und verscherbelt seine Restbestände. Doch selbst jetzt meckern die Kunden noch. Wie München den letzten Tag der Drogerie-Kette erlebt.

Tobias Dorfer

Selbst der allerletzte Tag verläuft bei Schlecker nicht ohne kleine Pannen, und das hat mit den Gartensamen zu tun. Möhrensamen, Rettichsamen und Zucchinisamen liegen in einem Korb vor dem Laden. 20 Cent kostet eine Packung. Wie alles, was heute verkauft wird. Babymilch und Haarcolorationen werden damit zum Super-Schnäppchen. Möhrensamen nicht. Denn die kosteten am Vortag, als es auf alle verbliebenen Produkte noch einen Rabatt von 90 Prozent gab, nur elf Cent. So ist der Preis für eine Tüte Möhrensamen innerhalb von 24 Stunden um 82 Prozent gestiegen.

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Die Stuntzstraße beginnt dort, wo München im Osten aufhört, Stadt zu sein. Wohnanlagen in Senfgelb wechseln sich mit Reihenhäusern ab. Die Kirche ist aus düsterem, dunkelrotem Backstein gebaut. Eine Bäckerei gibt es, eine Reinigung und einen Tengelmann, der hinter einem Baugerüst nahezu verschwindet.

Nebenan, vor einer der 60 verbliebenen Münchner Schlecker-Filialen, steht Anna Ferenci und beäugt den Ausverkauf. Mit Gartensamen hat sie sich bereits am Dienstag eingedeckt und dazu Babysaft aus Karotte und Apfel gekauft. Den habe sie selbst getrunken. Nun will sie noch einmal nach einem Schnäppchen schauen.

Aber da ist nichts mehr. Die Regale wirken trostloser als in einem DDR-Konsum. Im Angebot sind noch: Babymilch, drei oder vier Packungen Haartönung und eben die Gartensamen. Ansonsten ist alles leergekauft. Ein Gang im Laden ist begehbar, die anderen sind mit Wagen zugestellt. Ist ja ohnehin alles ausverkauft. Eine Anwohnerin kommt aus dem Laden. Sie hat den beiden Angestellten noch alles Gute gewünscht, "die waren immer so nett".

Die Schlecker-Mitarbeiterinnen beugen sich unterdessen über Listen mit vielen Zahlen und Buchstaben. Sie haben sich - wie ihre Kolleginnen in den anderen Filialen - an diesem letzten Tag offenbar ein Schweigegelübde auferlegt. Niemand will reden. Viel zu sagen gibt es ohnehin nicht mehr.

Bis 15 Uhr sollen die 2800 Schleckerläden an diesem Mittwoch noch geöffnet sein. Alle Produkte pauschal für 20 Cent. Am Freitag will Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz die Freistellungsschreiben verschicken. Vom 1. Juli an sind die 13.000 Mitarbeiter offiziell arbeitslos. Geiwitz darf dann noch die "Rückübertragungen von Vermögen innerhalb der Schlecker-Familie" prüfen, wie es sein Sprecher etwas umständlich formuliert. Dann ist das Kapitel Schlecker endgültig beendet.

Schlecker, das war einst Deutschlands größte Drogerie-Kette. 14.000 Filialen in Europa, 50.000 Mitarbeiter, ein Jahresumsatz von sieben Milliarden Euro im Jahr 2008. Ein Big Player, nahe bei den Menschen. Der sich dort niederließ, wo sich Rewe und Lidl aus Angst vor zu niedrigen Umsätzen nicht hintrauten, in den kleinen Dörfern im Harz, in Mecklenburg-Vorpommern oder im ländlichen Niederbayern. Schlecker übernahm dort kleine Geschäfte, in denen früher Tante-Emma-Läden oder kleinere Boutiquen waren, verkaufte Aprikosenshampoo, Schokokekse, Teelichter, mitunter sogar Wurst - und wurde damit vielerorts zum Alleinversorger.

Trostloses Bild: Die Schlecker-Filiale in der Münchner Stuntzstraße am letzten Tag des Ausverkaufs. (Foto: Tobias Dorfer)

Viel Umsatz lässt sich mit solchen Mini-Filialen nicht machen, das war das eine Problem. Das andere war das Erscheinungsbild. Denn während die Konkurrenz von Rossmann und dm in elegante Läden mit ansprechendem Lichtkonzept und breiten Gängen für Mütter mit Kinderwagen investierte, blieben die Schlecker-Filialen lieblos gestaltete Verkaufsbuden mit Neonröhren.

Wenn es irgendwie möglich war, mieden die Kunden diese Läden und kauften woanders ein. Schlecker schrieb ab 2008 Verluste, schloss Standorte, plötzlich war von Liquiditätsproblemen die Rede. Am 23. Januar 2012 musste das Imperium, das von dem scheuen Anton Schlecker aus dem schwäbischen Ehingen regiert wurde, Insolvenz anmelden.

Ruza Lazovic kennt sich aus mit den Preisen. Sie steht am letzten Tag des Schlecker-Ausverkaufs mit einer Bekannten vor der Filiale in der Münchner St.-Veit-Straße und holt zu einer Grundsatzrede aus. Seit zehn Jahren würde es abwärts gehen mit Schlecker, sagt sie. Beispiel gefällig? Katzenfutter: Kostet überall 25 Cent. Bei Lidl, bei Rossmann, sogar bei Tengelmann. Bei Schlecker? 35 Cent. Oder die Ginkgo-Kapseln, die Schlecker für 6,49 anbot. "Habe ich bei Rossmann einen Euro günstiger bekommen."

Die Filiale im Münchner Stadtteil Berg am Laim ist an diesem Vormittag noch geschlossen. Am letzten Tag wird sie nur für drei Stunden geöffnet. Lazovics Freundin Olga Oeller schaut durchs Schaufenster in den dunklen Laden. Sieht Staubsaugerbeutel. "Habe aber Staubsauger ohne Beutel", sagt Olga Oeller. Weiter, die Babymilch. "Habe kein Baby", sagt Oeller. Und dann sind da wieder die Gartensamen. "Habe auch keinen Garten", sagt Olga Oeller und steckt sich eine Zigarette an. Selbst am letzten Tag kann es die insolvente Drogeriekette ihren Kunden nicht recht machen.

Eine Rentnerin nähert sich dem Geschehen. Waschmittel bräuchte sie, aber das ist längst ausverkauft. Wahrscheinlich hätten die Mitarbeiterinnen die guten Schnäppchen für sich selbst gebunkert, mutmaßt die Rentnerin, lässt die Mundwinkel hängen und schaut verbittert. Die Welt ist ungerecht: Alles wird teurer und jetzt gibt es nicht einmal mehr Waschmittel für 20 Cent beim Schlecker-Ausverkauf.

Immerhin ist der Laden in der Ostpreußenstraße in München-Denning geöffnet. Auch dort das gleiche Bild. Knallrote Plakate werben für den Ausverkauf. Kunden betreten den Laden, sehen die Christbaumkerzen, die einzelne blaue Plastikbürste, die Babymilch und den Wühlkorb mit Schminke - und gehen wieder. Vom Parkplatz aus fotografiert jemand die Filiale an ihrem letzten Tag mit seinem Handy. Es ist kurz nach zehn Uhr. In wenigen Stunden ist Schlecker ein Fall fürs Museum.

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