Lesung:Der Feind hinter der Nachbarstür

Die syrische Journalistin Dima Wannous musste vor dem Krieg fliehen und arbeitet jetzt in Beirut. In "Dunkle Wolken über Damaskus" schildert sie den Alltag ihres Lebens, der von Angst und Argwohn geprägt war

Von Lena Abushi

Wenn jemand zum Mörder wird, dann gibt es sicher etwas, das in ihm selbst getötet wurde", schreibt Dima Wannous. Sie kennt sich mit diesem Thema aus eigener leidvoller Erfahrung aus: Aufgrund des Bürgerkriegs in ihrer Heimat lebt die junge Syrerin derzeit in Beirut. Viele Syrer hätten vor der Revolution nicht geglaubt, dass Personen, die ihnen nahestanden, je zu Mördern würden, schreibt die Autorin in einer E-Mail. Sie sieht die äußeren Umstände als Ursache: "Um in einer Gesellschaft, in der Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer politischen Überzeugung umgebracht werden, nicht selbst zum Mörder zu werden - dazu bedarf es einer Standhaftigkeit, die nicht alle Menschen haben."

Dima Wannous, 1982 in Damaskus geboren, liest an diesem Montag, 20. April, im EineWeltHaus aus ihrem Buch "Dunkle Wolken über Damaskus" (Nautilus). In neun Erzählungen beschreibt sie darin das Alltagsleben der syrischen Mittelschicht - noch vor Ausbruch der Revolution. Die Protagonisten stammen aus unterschiedlichen Verhältnissen, die meisten fügen sich dem korrupten Regime. Zwar geben sie sich nach außen hin selbstbewusst, die Kompromisse, die sie eingehen, bereiten ihnen jedoch Gewissensbisse. Es geht etwa um einen Geschäftsmann, der spürt, dass seine machtvollen Beziehungen ihm nicht weiterhin gesellschaftliche Privilegien und die Loyalität seiner Ehefrau sichern. Oder um einen jungen Taxifahrer, der seine verwitwete Mutter versorgt und Fahrgästen seine Lebensgeschichte aufdrängt. Oder um die Gefühlswelt einer Journalistin, die gerade erst zur Redaktionsleiterin befördert wurde und beginnt, sich vor Intrigen zu fürchten und jedes Wort, das sie schreibt, ängstlich zu überdenken.

Almost all military bases and schools across Syria holds wall graffitis of the country s familyhood

Unbarmherzig im Kampf gegen sein Volk: Dieses Bild von Syriens Herrscher Bashar Al-Assad ist auf die Mauer einer Armee-Kaserne gemalt.

(Foto: Imago)

Eindringlich erzählt Wannous in ihrem Buch von der Gedankenwelt der Protagonisten, eine Welt, beherrscht von Misstrauen. "Assads Regime gab den Menschen über vierzig Jahre lang das Gefühl, sie alle einzeln zu beherrschen", erklärt die Autorin: "Jeder hatte Angst, sein Gegenüber könnte ein Spion der Regierung oder des Geheimdienstes sein." Wie Menschen, die Tür an Tür nebeneinander lebten, dadurch einander fremd blieben, hat Wannous in Damaskus selbst erlebt. Die Autorin studierte außer in Damaskus auch in Lyon und Paris. Vor vier Jahren musste sie Syrien wegen des Bürgerkriegs endgültig verlassen, heute arbeitet sie als Journalistin in Beirut. Die Hoffnung, in ihre Heimat zurückzukehren, gibt sie jedoch nicht auf: "Bis heute spielen sich meine Träume in Syrien ab, darin sehe ich die Straßen und die Freunde, mit denen ich gelebt habe. Sogar libanesische Freunde, die ich aus Beirut kenne, befinden sich dort in Syrien."

Was den Schreibstil der Autorin auszeichnet, ist Tiefe der Details, mit denen die Figuren charakterisiert werden. Vielen der Formulierungen in ihrem Erzählband ist denn auch anzumerken, dass die bildreiche Sprache die Übersetzerin Larissa Bender vor große Herausforderungen stellte. Wenn sie unterwegs ist, habe sie immer einen Notizblock dabei, so Wannous: "Während ich in Cafés sitze, beobachte ich die Passanten. Dabei stelle ich mir vor, wie ihr Leben ist, zu welchen Terminen sie gerade eilen, wie ihr Zuhause aussieht und mit welchen Geheimnissen und Problemen sie beschäftigt sind. Bei manchen sehe ich so eine Leere in den Augen."

Lesung: Unvergessene Heimat: Nachts träumt Dima Wannous immer noch von Damaskus.

Unvergessene Heimat: Nachts träumt Dima Wannous immer noch von Damaskus.

(Foto: Richard Sammour)

Die Autorin ist überzeugt davon, dass das Verständnis füreinander eine Friedensgrundlage ist: "Wir können nicht über die Zukunft Syriens nachdenken, ohne die Beziehungen der Syrer untereinander zu analysieren."

Dima Wannous: "Dunkle Wolken über Damaskus", Mo., 20. April, 19.30 Uhr, EineWeltHaus, Schwanthalerstr. 80, 856 37 50

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