Lesben in München:Die Angst vor dem Outing

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Erst einmal nur reden: In der einzigen Coming-out-Gruppe für Lesben in Bayern suchen Frauen Hilfe, um sich über ihre Gefühle klarzuwerden - und um andere Frauen kennenzulernen.

Lisa Sonnabend

Marie ( Name geändert) hat Angst. Angst vor ihrer Familie, Angst vor den Kollegen - und immer noch ein bisschen Angst vor sich selbst. Denn seit sich Marie vor fünf Jahren von ihrem Mann getrennt hat, ist ihr Leben ein anderes. Wenn sie abends mit ihren Freundinnen ausging, merkte sie, dass sie nicht Männern hinterherschaut, sondern Frauen. Erst einmal hat sie sich nichts dabei gedacht. "Ich glaubte, man kommt entweder als Hetero auf die Welt oder als Homo", sagt sie. "Und ich war doch hetero." Dass sie vielleicht lesbisch ist, darauf ist sie zunächst gar nicht gekommen. Heute vermutet sie es, ist sich aber noch nicht ganz sicher.

Bei Letra gibt es die einzige Coming-out-Gruppe in Bayern. (Foto: Foto: sonn)

Deswegen hat Marie sich vor einigen Monaten an Letra, die Beratungsstelle des Lesbentelefons München, gewandt und nimmt seitdem an der Coming-out-Gruppe des Vereins teil. Die 32-Jährige sitzt in einem Raum von Letra im Glockenbachviertel und unterhält sich mit einer anderen Teilnehmerin, bis das Treffen beginnt.

Marie hat ihre langen, blonden Haare nach hinten gekämmt. Sie trägt ein braunes Kostüm und eine Kette, sie kommt direkt aus der Arbeit - aus einer Firma, in der Männer das Sagen haben. Der Raum liegt im Erdgeschoss, durch das große Fenster sieht man hinaus auf die Angertorstraße. Einmal sagt Marie plötzlich: "Ich habe Angst, dass draußen jemand vorbeigeht, den ich kenne, und hineinschaut."

Heute steht der siebte von zehn Abenden der Coming-out-Gruppe an. Es geht um Sexualität. Bei den Treffen davor haben die Teilnehmerinnen aus ihrem Leben und von ihren Gefühlen erzählt, es ging um den Prozess des Outens und um Vorurteile, mit denen man als Lesbe immer noch konfrontiert wird.

Die Nachfrage für den Kurs ist groß. Es sind Jugendliche dabei, aber auch ältere Frauen, deren Leben plötzlich eine neue Wendung genommen hat. Manche Teilnehmerinnen wissen über ihre Gefühle Bescheid, andere sind noch in einem Findungsprozess. Die Frauen kommen aus München, aber auch aus Kleinstädten und vom Land. Der Verein Letra ist einmalig in Bayern; in anderen Städten gibt es nur Telefonberatungen, keine Räume, in denen man sich auch persönlich austauschen kann.

Die Sozialpädagoginnen Melina Meyer und Miriam Vath von Letra leiten die Coming-out-Gruppe. Meyer sagt: "Ein Coming-out dauert oft mehrere Jahre." Meist haben Frauen zunächst eine erste Ahnung, dass sie vielleicht lesbisch sind, verdrängen diese aber zunächst. Nach einiger Zeit folgt dann die Erkenntnis: Um glücklich zu sein, muss ich lesbisch sein. Und irgendwann kommt der Moment, in dem man es jemandem erzählt.

Marie steckt noch mittendrin in diesem Prozess. Außer mit den Teilnehmerinnen der Gruppe hat sie bislang mit niemandem über ihre Gefühle geredet. Sie sagt: "Ich muss mir ja erst selbst klarwerden." Marie stammt aus einer konservativen Familie, sie ist auf dem Land aufgewachsen. Die Vorstellung, ihren Eltern eines Tages zu sagen, dass sie lesbisch ist, ist für sie unvorstellbar. Derzeit zumindest.

Miriam Vath von Letra sagt: "Lesben haben es in München besser als auf dem Land, weil es Bars und Diskos gibt, in denen man andere aus der Szene trifft." Die Toleranz sei in der Großstadt größer, aber das persönliche Umfeld reagiere auch nicht anders. "Die Mutter aus München ist meist nicht weniger geschockt als die Mutter vom Land, wenn man es ihr erzählt", sagt Vath.

Eine Szene aus dem Film "Goldfish Memory", der 2004 in die deutschen Kinos kam. (Foto: Foto: oh)

Und Meyer ergänzt, das Coming-out sei längst nicht abgeschlossen, wenn man es seinem Umfeld erzählt hat. "Der Prozess geht weiter, ein Leben lang. Soll ich es den neuen Kollegen sagen? Wie reagiere ich, wenn mich jemand fragt, ob ich einen Mann habe?"

Nach der Gruppenstunde gehen die Teilnehmerinnen noch gemeinsam auf ein Glas Wein in eine Bar, in der sich vor allem Lesben treffen. Manche verabreden sich für einen anderen Abend zur "L-Nacht" im Cinemaxx, wo einmal im Monat ein lesbischer Film gezeigt wird.

Als Marie das erste Mal zur "L-Nacht" kam, war sie viel zu früh dran. Am liebsten wäre sie schnell wieder nach Hause gegangen. Sie hatte Angst, jemanden zu treffen, den sie kennt. Doch sie blieb und wartete auf die anderen. "Früher hätte ich mich das nie getraut", sagt die 32-Jährige.

Wenn Marie sich mit anderen Teilnehmerinnen unterhält, wirkt sie gelöst. Der unsichere Blick verschwindet aus ihren Augen. "Es ist wichtig, mit anderen zu reden, denen es ähnlich geht", sagt sie. "Die Gruppe ist gut für mein Selbstbewusstsein."

Neulich hat Marie im Internet eine Frau angeschrieben und sich bereits einmal mit ihr getroffen. Ob sie sie wiedersehen will, weiß Marie noch nicht. Eines weiß sie aber sicher: "Es ist noch ein langer Weg."

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