"Lernen XXL":In der Stille der Nacht

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Ungestört und konzentriert: Auch Viviana (links) und Vanessa nutzen zu später Stunde die Möglichkeit, in der Stadtbibliothek Westend zu lernen. (Foto: Haas)

Unter dem Titel "Lernen XXL" öffnen die Stadtteilbibliotheken an bestimmten Tagen bis 22 Uhr, um Schülern ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen. Auch Studenten können dieses Angebot nutzen

Von Helena Ott

WestendEs ist schon kurz vor 20 Uhr, noch immer liegen der Taschenrechner, das Mathebuch und lose Übungsblätter auf der weißen Schreibtischplatte vor der großen Fensterfront - der 16 Jahre alte Realschüler ist in eine Aufgabe mit linearen Gleichungen vertieft. Es ist so ruhig, dass man unweigerlich den Rhythmus des Taschenrechnertippens verfolgt.

Die Stadtteilbibliothek an der Schießstättstraße 20 c bietet erstmals "Lernen XXL" an. Aus dem Lesegarten strömt vom Regen geklärte Luft ins obere Stockwerk, die 25 Lernplätze sind gut ausgeleuchtet. Während der Prüfungszeiten - im April für das Abitur und jetzt im Juni für Quali und Realschule - bietet die Bibliothek Schülern an sechs Terminen verlängerte Öffnungszeiten an: Lernen XXL gab es dieses Frühjahr auch in Bogenhausen, am Gasteig, in Pasing und anderen Stadtteilbibliotheken. Statt acht Stunden haben die Häuser dann zwölf Stunden, also jeweils bis 22 Uhr geöffnet. "Wir wollen den Schülern, die daheim nicht in Ruhe arbeiten können, positive Lernatmosphäre bieten", erklärt Maria Stotz, die Leiterin der Westend-Bibliothek. Bei allen Bibliotheken, die in München neu gebaut werden, wird mehr Wert auf die Aufenthaltsqualität, die Lern- und Arbeitsplätze gelegt. "Von der Lautstärke lässt es sich hier sehr gut vereinbaren, weil die Kinderbücher im ersten Stock sind und das verwinkelte Gebäude viel Lärm schluckt", erklärt die Kinder- und Jugendbibliothekarin Martina Stumpf, die Maria Stotz zur Seite steht. Wem es trotzdem zu laut ist, bekommt an der Information kostenlos Ohrenstöpsel.

Obwohl der 14 Jahre alte Eren Jonazi bis zum Abitur noch vier Jahre Zeit hat, nutzt er bereits jetzt die Sonderschicht in der Bibliothek; er büffelt für die bevorstehende Ethik-Kurzarbeit und eine Deutsch-Schulaufgabe: "Hier werde ich weniger abgelenkt und kriege es nicht mit, wenn Freunde anrufen und was machen wollen." Schon zwei Tage hintereinander ist er auch abends nach sieben noch da. Als kleinen Anreiz stellen Maria Stotz und ihr Team Salzstangen, Nüsse, Gummibärchen, Kekse und Getränke für die Schüler bereit. Eren muss verzichten: "Bei uns ist Ramadan, ich kann erst um 21. 20 Uhr zu Hause etwas essen." Man sieht ihm nicht an, dass er seit dem Morgen weder gegessen noch etwas getrunken hat. Auch Mehmet Dasaron fastet, im Gegensatz zu Eren sieht er ziemlich müde aus. Erst gegen 21 Uhr klappt der 15-Jährige das Englischbuch zu und verlässt das Gebäude. Auf dem Platz neben ihm stapelt ein 25-Jähriger rote Din-A5-Ordner, juristische Kommentare. "Wir freuen uns, wenn auch Studenten das Angebot nutzen", sagt Stotz. Sie betont, dass es bei einer öffentlichen Bibliothek wichtig ist, die ganze Familie anzusprechen. Die großzügigen Arbeitsplätze, wie man sie aus Universitätsbibliotheken kennt, sollen das Angebot ergänzen.

Kurz nach acht suchen sich Vanessa Eberle und Viviana Walbeck einen Platz am Treppenaufgang. Sie lernen für den textgebundenen Aufsatz in der Realschul-Abschlussprüfung die Merkmale von Berichten, Reportagen und Glossen auswendig. "Ich kann mich hier besser konzentrieren, zu Hause lenken Fernseher und Kühlschrank zu sehr ab", begründet Vanessa Eberle ihre Entscheidung, am Abend in die Bibliothek zu kommen.

Trotz der Faltblätter und Plakate, die auf das Angebot hinweisen, sind nicht alle Plätze belegt: "Wenn 14 Schüler da sind, dann ist das für uns schon gut", findet Martina Stumpf. Sie hofft, dass sich das Angebot im Westend noch weiter herumspricht. Denn, so die Erfahrung: Wer einmal kommt, weiß die Ruhe an den Schreibtischen zu schätzen. "Am kommenden Donnerstag habe ich die erste Abschlussprüfung, und ich habe jetzt schon ein bisschen Angst", gibt die 16-jährige Vanessa Eberle zu, die deshalb auch die weiteren XXL-Termine ausnutzen will, um die allerletzten Minuten noch möglichst auszunutzen.

In dieser Woche können Realschul- und Mittelschulabsolventen im Westend noch an zwei Abenden das Angebot "Lernen XXL" nutzen. Die Stadtteilbibliothek an der Schießstätterstraße 20 c hat an diesem Dienstag, 21. Juni, und am Mittwoch, 22. Juni, jeweils von 10 bis 22 Uhr geöffnet.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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