Leichenpräparator Alfred Riepertinger:Ein Faible für den Tod

Auf seinem Tisch lagen die Leichen von Franz Josef Strauß, Rudolph Moshammer oder von den beiden Mädchen, die in Krailling getötet wurden: Der Münchner Oberpräparator Alfred Riepertinger hat mehr als 25.000 Tote seziert - und nun ein Buch darüber geschrieben. Bei seinen detaillierten Schilderungen kippen Zuhörer manchmal um.

Christina Warta

Leichenpräparator Alfred Riepertinger

Findet Alfred Riepertinger seine Arbeit in der Pathologie nicht auch selber manchmal etwas gruselig? Nein, sagt er ganz entschieden, bei der Arbeit herrsche rein wissenschaftliches Interesse vor. Unter seinen Kollegen gilt der Oberpräparator in der Pathologie des Schwabinger Klinikums längst als Koryphäe.

(Foto: dpa)

Bis zu Alfred Riepertinger ist es ein weiter Weg: Man nimmt den Haupteingang ins Schwabinger Klinikum, geht durch das lange Gebäude hindurch, auf der Rückseite wieder hinaus, dann eine mit Kastanien gesäumte Straße entlang. Ganz am Ende steht auf der linken Seite das "Haus 32": das Institut für Pathologie. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass diese besondere Station am Rande des Klinikkomplexes untergebracht ist. Patienten, die in der Klinik sterben, werden auf diese letzte Station gebracht und, wenn die Angehörigen zustimmen, hier obduziert.

In Haus 32 arbeitet der Oberpräparator Alfred Riepertinger, 57, aus Germering, ein schmaler Mann mit freundlichen Augen und sparsamen Gesten. Er scheint auf den ersten Blick kein ungewöhnlicher Mensch zu sein: Riepertinger ist Hobbykoch und Anhänger des TSV 1860 München, er sammelt Alligatoren aus Plüsch und tanzt mit seiner Frau in einer Boogie-Formation.

Dass dieser Mann in 36 Berufsjahren mit etwa 25.000 toten Menschen zu tun hatte, dass er sie gewaschen und eingesargt, seziert und wieder fachgerecht zugenäht, geschminkt, einbalsamiert oder plastiniert hat - man sieht es ihm nicht an. Er lacht leise. "Das ist eine ganze Kleinstadt", sagt er. Über seine Arbeit hat Alfred Riepertinger nun ein Buch geschrieben: In "Mein Leben mit den Toten" (Heyne) geht es um die Aushebung einer 300 Jahre alten Gruft, um Franz Josef Strauß, Roy Black und Rudolph Moshammer, aber auch um die beiden Mädchen, die 2011 in Krailling erstochen wurden. Es ist ein Buch mit einem sehr unverstellten, pragmatischen Blick auf das Ende des Lebens.

Die meisten Menschen zeigen eine ziemliche Scheu vor dem Thema Tod. Sie gruseln sich vor Toten und wollen sie weder sehen noch berühren. Sie weigern sich, ihr eigenes Testament zu verfassen oder einen Organspendeausweis zu unterzeichnen. Der Tod ist vermutlich eines der letzten großen Tabuthemen dieser Gesellschaft - und das, obwohl jedes Leben unweigerlich tödlich endet.

Für Alfred Riepertinger dagegen ist der Tod Alltag, und es stört ihn nicht. "Ich habe mich schon immer für das Thema interessiert", erzählt er, "für den Tod, für Leichenwagen, für Friedhöfe und all das." Sein Vater, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg viele Gräuel gesehen hatte, unterband das nicht. "Er hat das Interesse zugelassen." Riepertinger macht eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Nebenbei hilft er in einem Bestattungsunternehmen aus.

Als Quereinsteiger zum Präparator

Seinen Zivildienst leistet er im Schwabinger Krankenhaus beim LAD - dem Leichenabholdienst. Riepertinger muss die verstorbenen Patienten von den Stationen in die Pathologie fahren. Er ist neugierig, will alles über diesen Arbeitsbereich wissen und wartet begierig auf die Gelegenheit, bei einer Sektion zusehen zu können. Während zartbesaitete Naturen vermutlich gleich umgekippt wären, dachte sich Riepertinger, als das Gehirn der Leiche herausgenommen wurde: "So weich hatte ich mir das nicht vorgestellt. Interessant."

Am Ende seiner Zivi-Zeit hatten sie am Institut für Pathologie längst mitbekommen, dass Riepertinger ein besonderes Faible für seine Aufgabe entwickelt hatte. Der Zufall wollte es, dass eine Stelle als medizinischer Präparator frei war, die man dem jungen Mann anbot. Anders als ein Pathologe hat ein medizinischer Präparator keine akademische Ausbildung. "Wir sind die Techniker bei einer Obduktion", erklärt er, "wir öffnen den Kopf-, Brust- und Bauchraum, legen Organe frei, nähen wieder zu." Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit ziehen die Obduzenten am Mikroskop. Riepertinger ließ sich als Quereinsteiger zum Präparator ausbilden. Und er hat, dieser Meinung ist er auch noch nach fast vier Jahrzehnten und vielen tausenden Leichen, damals die richtige Entscheidung getroffen.

In seinem Buch spricht er über jene Momente seines Berufslebens, die ihn besonders geprägt haben. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass im Tode alle Menschen gleich sind. "Das ist mir bewusst geworden, als ich vor dem Leichnam von Franz Josef Strauß stand", erzählt er. Mit seinem Chef und einem Kollegen war er zum verstorbenen Ministerpräsidenten gerufen worden, um ihn einzubalsamieren. "Dieser mächtige Politiker lag da vor mir und sah genauso aus wie all die anderen Toten, die ich Tag für Tag aufschnitt." Geld, Macht, Besitztümer - nichts davon könne man am Ende mitnehmen. "Es bleibt alles da", sagt der Präparator.

Das Leid schon hinter sich

Strauß war nicht der einzige Prominente, den Riepertinger vor sich hatte. "Roy Black war wohl der sonnengebräunteste", sagt er. Auch die Schauspielerin Lina Carstens lag vor ihm, ebenso die Fürstin von Liechtenstein und Modezar Rudolph Moshammer, für den Riepertinger zum ersten Mal überhaupt den Kühlraum abschloss, weil draußen schon ein Fotograf um das Institut schlich.

Leichenpräparator Alfred Riepertinger: Die meisten Menschen haben große Scheu vor dem Tod. Riepertinger ganz und gar nicht.

Die meisten Menschen haben große Scheu vor dem Tod. Riepertinger ganz und gar nicht.

(Foto: Catherina Hess)

Als einen der Höhepunkte zählt der Präparator außerdem die Gruft des Klosters Attel, die geräumt werden musste. "Ich war völlig aus dem Häuschen", berichtet er von der Nachricht, die Überreste von Leichnamen bergen zu dürfen, die um 1720 bestattet worden waren. "Was würde da noch übrig sein?"

Man fühlt sich als Leser oder Zuhörer von Alfred Riepertingers Geschichten immer zwiegespalten: neugierig, vom Morbiden gelockt, vielleicht sogar sensationslüstern - einerseits. Auf der anderen Seite können die detaillierten, unverblümten Beschreibungen von Obduktionspraktiken durchaus schockieren. Führungen durch den historischen Sektionssaal sind oft ausgebucht - hin und wieder kippt dennoch jemand um.

Umso erstaunlicher, dass Riepertinger selbst keinerlei Probleme damit hat. Keine Dämonen, keine Geister, die ihn verfolgen? "Nein, kein einziger", sagt er nüchtern. "Mein Interesse ist ein rein wissenschaftliches." In der Notaufnahme eines Krankenhauses dagegen könnte er nicht arbeiten. "Das Leid würde ich nicht ertragen. Wenn die Patienten zu mir kommen, haben sie das Leid schon hinter sich."

Mit der Faust in der Tasche

Doch so klar sind die Verhältnisse nicht immer. Vor eineinhalb Jahr wurden in Krailling zwei Mädchen ermordet. Auch ihre Leichname kamen in die Pathologie des Klinikums Schwabing. "Einen derart brutalen Angriff auf so kleine, wehrlose Körper habe ich niemals zuvor gesehen", sagt Riepertinger. "Da steht man dann schon mit der Faust in der Tasche da." Doch auch hier gewann die professionelle Attitüde die Oberhand.

Denn auch das gehört zum außerdienstlichen Aufgabenbereich Riepertingers: Die Opfer von Gewalttaten und Unfällen, aber auch Selbstmörder wieder in einen Zustand zu versetzen, in dem sich die Angehörigen von ihnen verabschieden können. "Für die Trauerarbeit ist das ganz wichtig", sagt Riepertinger: dass das Bild mit all dem Blut und der Zerstörung von einem besseren Bild ersetzt wird.

In all den Jahren ist die Zahl der Obduktionen stetig zurückgegangen. "Als ich angefangen habe, waren es noch knapp 1000 im Jahr, heute sind es noch rund 100." Dafür, meint Riepertinger, gebe es vor allem gesellschaftliche, vielleicht aber auch politische Gründe. "Eine Obduktion ist eine Qualitätskontrolle. Man kann vieles aus den Toten für die Lebenden lernen", etwa, welche Nebenwirkungen bestimmte Medikamente hätten. Die Angehörigen, die einer Obduktion zustimmen müssen, würden darüber häufig nicht ausreichend aufgeklärt.

Trotz der gesunkenen Zahlen wird Riepertinger nicht langweilig: Er gilt längst als Koryphäe, hat auch mit dem umstrittenen "Körperwelten"-Plastinator Gunther von Hagens zusammengearbeitet, war lange im Vorstand des Verbandes Deutscher Präparatoren aktiv. Er spricht auf Kongressen, hält Schulungen, macht Führungen, berät bei Fernsehproduktionen. Dabei kann er auch heute noch nicht erklären, was ihn am Tod eigentlich so sehr fasziniert. "Ich finde das einfach noch immer sehr interessant", sagt er.

Seine Neugier ist weder mystisch noch religiös unterfüttert. Was nach dem Tod kommen wird? "Ich denke, wir kehren in den Zustand zurück, in dem wir vor unserer Geburt waren." Und welcher wäre das? Da lächelt Alfred Riepertinger wieder sein kleines Lächeln. "Tja", sagt er - und lässt die Antwort offen.

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