Lehrermangel:Mama und Papa müssen ran

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Die staatlichen Gymnasien in München greifen angesichts des Lehrermangels zu bizarren Methoden, um ihren Unterricht abzudecken. Sind Lehrer krank, springen oft Eltern oder pensionierte Lehrkräfte ein.

Von Marten Rolff

Erst in dieser Woche hat das Kultusministerium nicht ohne Stolz verkündet, künftig die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schulen gezielter fördern zu wollen.

Mit Humor nehmen diese Schüler die Situation an den Gymnasien. (Foto: Foto: dpa)

Wie weit diese Kooperation aufgrund der Sparzwänge vielerorts bereits gediehen ist, geht aus dem jüngsten Elternbrief des Michaeli-Gymnasiums hervor, der sich liest wie eine Stellenanzeige: "Ich darf Eltern, die bereit wären, für einen längeren Krankheitsfall auszuhelfen, bitten, sich bei mir schriftlich unter Angabe der Unterrichtsfächer zu melden", bittet Direktor Hendrik Rehn unter Hinweis auf die Auflösung der mobilen Lehrerreserve für Gymnasien durch das Kultusministerium zum neuen Schuljahr. Dies sei "keinesfalls als Scherz zu verstehen", erklärt Rehn.

Eine Arbeitsgruppe am Michaeli-Gymnasium kümmert sich derzeit um die Erstellung so genannter "Kompetenzlisten", die über Berufe und Fähigkeiten von Eltern Auskunft geben, die für den Schulalltag dienstbar gemacht werden können.

Und wenn beurlaubte oder pensionierte Lehrer unter den Eltern bereit seien, kurzfristig Vertretungen zu übernehmen, ließe sich dadurch der Unterrichtsausfall reduzieren, erklärt Rehn, der Wert darauf legt, dass er ausschließlich qualifizierte Kräfte einsetzen würde.

Der Schulleiter möchte durch seine Aktion "zwar keinen Alarm schlagen", doch in den vier Jahren, in denen es eine mobile Lehrerreserve für Gymnasien gab, habe er drei Mal darauf zurückgreifen müssen, erklärt Rehn. Er könne sich also "statistisch an einer Hand abzählen", wann die Schule Alternativen für die heuer wegfallenden Vertretungen benötige.

Die Einsparung der Lehrerreserve, die für Gymnasien erst vor wenigen Jahren eingeführt worden war, stellt die Schulen vor große Probleme. Immer mehr Direktoren meldeten sich, weil sie für Krankheitsfälle nicht gewappnet seien, sagt Dagmar Bär, Hauptpersonalrätin beim Kultusministerium.

Der Wegfall der mobilen Reserve sei kaum zu verkraften, die Personaldecke erweise sich mit den ersten Ausfällen als zu knapp. Qualifiziertes Personal, das zu Jahresbeginn nicht eingestellt wurde, sei längst an Privatschulen oder in andere Bereiche abgewandert, erklärt Bär.

Das Ministerium betont zwar, es stünden "Mittel für Zuweisungen" zur Verfügung, doch viele Schulleiter klagen, wie schwer es sei, Aushilfen zu verpflichten, weil gerade in München mit befristeten Teilzeitverträgen niemand überleben könne. Und hinter vorgehaltener Hand wundert man sich offenbar selbst in den Abteilungen des Ministeriums über "die erstaunlich große Ruhe an den Gymnasien".

Vielen Eltern sei wohl noch nicht klar genug, dass vor allem Kernfächer wie Deutsch, Mathe und Latein von den Ausfällen betroffen sind, glaubt Willi Eisele. Der Direktor des Gymnasiums München/Fürstenried hat in einem Brief an das Ministerium darauf aufmerksam gemacht, dass bei der Sicherung des Pflichtunterrichts am achtstufigen Gymnasium "die Wahrung des schönen Scheins unmissverständlich zu Lasten von Lehrern und Schülern geht".

Eisele musste bis Ende September "herumtelefonieren", um eine pensionierte Lateinlehrerin zurückzuholen. Fünf Teilzeitkräfte konnte er überzeugen, die Stunden einer fehlenden Lehrkraft unter sich aufzuteilen. "Wenn auch nur einer krank wird", sagt Eisele, "haben wir ein massives Problem".

Beim Bayerischen Philologenverband ist man über die Kreativlösungen nicht glücklich. Als Verbandschef könne er den Personalmangel nicht hinnehmen, der angesichts steigender Schülerzahlen erst begonnen habe, sagt Max Schmidt.

Doch als Direktor des Gymnasiums Grafing bei München sei er selber gezwungen, nach Lösungen zu suchen. Gleich zu Schuljahresbeginn war ein Mathematiklehrer an Schmidts Gymnasium für vier Wochen ausgefallen. Den Unterricht in der Unterstufe übernahm - unentgeltlich - "ein naturwissenschaftlich vorgebildeter Vater". Eine solche Notlösung sei schlecht, sagt Schmidt, aber immer noch besser als der Unterrichtsausfall, von dem der Leistungskurs Mathematik in der Zeit betroffen gewesen sei.

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