Lehel:Ein stumpfes Schwert

Der von Lokalpolitikern geforderte flächendeckende "Milieuschutz" für zwei Innenstadt-Viertel wird nicht kommen. Die Stadt sieht keine Möglichkeit zum Einschreiten: Die Gentrifizierung ist viel zu weit fortgeschritten

Von Thomas Kronewiter, Lehel

Vermutlich ist es einfach ein Missverständnis zwischen Politik und Verwaltung, doch seine Folgen sind durchaus bedeutsam für die Münchner Innenstadt. Denn obwohl sich in der Altstadt und im Lehel nach wie vor Immobilienspekulation zu Lasten betroffener Mieter abspielt, wird es dort auch künftig keine Erhaltungssatzung geben. Das wird der Münchner Stadtrat an diesem Mittwoch so beschließen. Dem Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung bleibt gar nichts anderes übrig als die Einführung des sogenannten Milieuschutzes für die Altstadt und das Lehel abzulehnen - auch gegen den Willen der ortskundigen Lokalpolitiker.

Die Ablehnung eines entsprechenden Vorstoßes aus dem Bezirksausschuss Altstadt-Lehel ist die logische Folge einer bitteren Feststellung: Im Herzen der Stadt ist die Gentrifizierung derart weit fortgeschritten, dass die Voraussetzungen für den Schutz der Bevölkerung zumindest nicht mehr im großen Stil oder gar flächendeckend vorhanden wären.

Auf wenige Kernsätze reduziert: In der Altstadt wohnen nach einer jahrzehntelangen Welle der Sanierung und Mietervertreibung inzwischen überdurchschnittlich finanzstarke Bewohner. Einkommensschwache Mieter, deren Verdrängung zu befürchten wäre, gibt es nur mehr vereinzelt. Nur noch wenige Gebäude sind damit für Immobilienunternehmer als potenzielle Modernisierungsobjekte attraktiv und für die Bewohner zugleich problematisch.

Blick vom Turm Alter Peter in München, 2015

Begehrte Gegend: Der Bezirksausschuss Altstadt-Lehel setzt sich für den Schutz der alteingesessenen Mieter in den Quartieren im Stadtzentrum ein. Damit das Wohnen auch weiterhin bezahlbar bleibt, fordert der BA von der Stadt, gegen die Gentrifizierung vorzugehen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Damit sind den städtischen Experten die Hände gebunden, müssten sie doch mit (erfolgreicher) juristischer Gegenwehr von Eigentümern und Immobilienunternehmen rechnen, sofern sie die mit erheblichen Einschränkungen verbundenen Satzungen nicht hieb- und stichfest einführten. Denn in Gebieten, für die eine Erhaltungssatzung gilt, müssen geplante Modernisierungen vom Amt für Wohnen und Migration genehmigt werden. Ziel ist es, Luxussanierungen, die in der Regel eine Verdrängung der Mieter zur Folge haben, zu verhindern und die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten. Seit März 2014 unterliegt auch die Umwandlung in Wohnungseigentum einer zusätzlichen Genehmigungspflicht. Und schließlich steht der Stadt München in Erhaltungssatzungsgebieten ein Vorkaufsrecht zu.

Für maximal fünf Jahre dürfen deshalb solche Eingriffe festgelegt werden, weswegen stadtweit permanent Prüfungsprozesse laufen. Allein 2016 wurden die Erhaltungssatzungen "Haidhausen", "Untere Au/Untergiesing", "Gärtnerplatz/Glockenbachviertel", "Neuhausen", "Sendling" und "Milbertshofen" mit veränderten Umgriffen erneut erlassen. Neu hinzugekommen sind die Gebiete "Sendling-Westpark" und "Wettersteinplatz".

München hat 21 Erhaltungssatzungsgebiete, in denen rund 253 000 Einwohner in 140 800 Wohnungen leben, zumeist innerhalb des Mittleren Rings. Zwar zählten das Lehel wie auch Schwabing seit den ersten Veränderungen in den Siebzigerjahren zu den Gebieten, für die als erste Erhaltungssatzungen in Frage kamen. Für die südliche und östliche Altstadt galt die Erhaltungssatzung von 1996 bis 2001; der Umgriff wurde 2001 verkleinert, und bis 2011 wurde dieses Quartier mit dem Gärtnerplatzviertel zusammengefasst. Im Lehel galt von 1990 bis 2000 die Satzung für das Gebiet "St.-Anna-Platz", von 1990 bis 2004 für "Lehel-Süd". Danach wurden die Satzungen nicht wieder erlassen, schon damals fehlten die Voraussetzungen dafür.

Lehel: Beispiel für Veränderung im Lehel: Das Haus in der Bildmitte soll durch einen Neubau mit Luxus-Wohnungen ersetzt werden

Beispiel für Veränderung im Lehel: Das Haus in der Bildmitte soll durch einen Neubau mit Luxus-Wohnungen ersetzt werden

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Bezirksausschuss Altstadt-Lehel will sich jetzt vom städtischen Direktorium rechtlich beraten lassen - man will wenigstens verstehen, warum der politische Anstoß derart schnell verpufft.

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