Leerstand in München:"Eine Stadt sollte nicht spekulieren wie Immobilienhaie"

Mitten im Lehel steht ein Gründerzeithaus leer, nur eine ältere Dame wohnt noch dort. "Goldgrund"-Aktivist Till Hofmann kritisiert, die Stadt lasse das Haus systematisch verfallen - und nennt weitere Beispiele für Leerstand in München.

Von Anna Fischhaber

Die Aktivisten der fiktiven Immobilienfirma Goldgrund um Kleinkunst-Veranstalter Till Hofmann haben zu einer Spekulanten-Stadttour geladen. Höhepunkt der satirischen Führung: ein leer stehendes Gründerzeithaus im Lehel, das zur Bleibe für Flüchtlinge des Immobilienwahns wurde.

SZ: Herr Hofmann, was ist das für ein Gebäude, das Sie besetzt haben?

Till Hofmann: Das Haus in der Pilotystraße 8 ist ein Beispiel für den Leerstand in München in bester Lage, gegenüber der Staatskanzlei. Das Gebäude hat 850 Quadratmeter, mindestens acht Wohnungen, und einen romantischen Hinterhof.

Und dort wohnt wirklich nur eine Frau?

Vor ein paar Jahren wurde das Haus Stück für Stück entmietet, jetzt wohnt dort nur noch eine ältere Dame. Sie würde gerne Nachbarn haben, bekommt aber nicht einmal Auskunft, was mit dem Haus passieren soll. Sie zieht nicht aus, sie ist in diesem Haus geboren. Zum Glück hat sie die Kraft, das durchzustehen. Aber es ist höchst unsozial und respektlos, die Frau vereinsamen und das Haus verwahrlosen zu lassen.

Das Haus gehört der Stadt ...

Das ist ja das Absurde. Die Stadt hat das Haus vor vielen Jahren von einem Münchner Bürger geerbt, der es Familien zur Verfügung gestellt hat. Doch jetzt lässt sie es systematisch verfallen. Dabei könnte man zumindest das Hinterhaus sofort bewohnen. München kann sich so etwas mit einer eigenen Immobilie eigentlich nicht leisten. Eine Stadt sollte nicht mit den gleichen Mitteln spekulieren wie Immobilienhaie. Das kann und darf nicht sein - die Stadt, das sind doch auch wir.

Sie haben in dem Haus ein Vertriebenen-Büro eingerichtet - für das Hotel Biss und das Atomic Café etwa. Ist das eine dauerhafte Besetzung?

Nein. Das war nur für unsere Kunstaktion. Um 22 Uhr am Sonntag haben wir das Haus sauber verlassen. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, was München lebenswert macht. Das Atomic Café ist ein Aushängeschild im Indie-Popbereich, das in der New York Times erwähnt wird. Jetzt wird es von einem Immobilienkonsortium rausgeschmissen, weil in dem Club ein Lacoste-Shop eröffnen soll. In dem Fall ist nicht die Stadt schuld. Aber auch sie lässt Häuser leer stehen.

Wäre es nicht wirksamer, solche Häuser dauerhaft zu besetzen?

Ich glaube, eine Kunstaktion mit Prominenten und Betroffenen erzielt eine größere Wirkung. Wir wollen die Stadt ja nicht angreifen, sondern Lösungen aufzeigen. Deshalb beleben wir leer stehende Häuser - wie am Sonntag mit den Kammerspielen, der Lach- und Schießgesellschaft , Gerhard Polt, den Sportfreunden, der moonband, Mehmet Scholl und vielen anderen. Es wird auch noch ein Video geben. Oder in der Müllerstraße, wo wir als Gorillas verkleidet eine Wohnung renoviert haben. Die Stadtverwaltung hatte behauptet, das Haus sei unrenovierbar.

Was ist aus dem Haus geworden?

Die Wohnungen sind inzwischen wieder vermietet. Die Fassade wurde noch nicht gemacht, dabei wäre das Haus dann fertig. Wir haben damals ein Energiegutachten in Auftrag gegeben: Das Haus entspricht den energetischen Standards - muss also nicht abgerissen werden. Ich glaube, die Stadt zögert die Entscheidung wieder heraus.

Glauben sie dennoch, dass Ihre Aktionen etwas bewirken?

Das Haus in der Müllerstraße wird wohl bleiben, genau wie der Bolzplatz. Und auch im Lehel habe ich Hoffnung. Zumindest wird jetzt über den Wohnungsmarkt debattiert, er ist das Thema im Kommunalwahlkampf. Aber es gibt noch viel zu tun: Hamburg versucht, möglichst viele Wohnungen wieder in den städtischen Bestand zu bringen. In Wien gibt es ganz viele Genossenschaftswohnungen. Die BayernLB dagegen verkauft GBW-Wohnungen an einen Konzern wie die Patrizia, die Geschäfte machen muss - und die Menschen wissen nicht, was mit ihren Wohnungen passiert.

Anmerkung der Redaktion: Die Stadtregierung hat am Montagnachmittag auf die Aktion der Goldgrund-Aktivisten reagiert und will sich ab sofort jedes Quartal über Wohnungsleerstände in ihrem Verantwortungsbereich berichten lassen. SPD und Grüne erklärten, sie wollten "langfristige Wohnungsleerstände nicht mehr dulden". Bei einem Treffen vereinbarten sie, dass künftig alle Dienststellen und Beteiligungsgesellschaften der Stadt für eine Zwischennutzung leerer Wohnungen sorgen müssen, sofern länger als ein halbes Jahr lang mit keinen baulichen Veränderungen zu rechnen ist. In Zukunft sollen im Einflussbereich der Stadt auch Kündigungen oder Räumungen verboten sein, solang keine neuen Konzepte samt Zeitplan für die Immobilie vorliegen. (SZ/LOD)

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