Lebensqualität:Weinen um die alte Kastanie

Lebensqualität: Heinz Sedlmeier ist Geschäftsführer des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) in München. Der promovierte Biologe arbeitet seit 20 Jahren im Naturschutz. Derzeit koordiniert er verschiedene Arten- und Biotopschutzprojekte.

Heinz Sedlmeier ist Geschäftsführer des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) in München. Der promovierte Biologe arbeitet seit 20 Jahren im Naturschutz. Derzeit koordiniert er verschiedene Arten- und Biotopschutzprojekte.

(Foto: oh)

Bäume kühlen, dämpfen den Lärm der Stadt und sind manchmal sogar Identifikationsfigur fürs Leben

Interview von Günther Knoll

Schon wieder vorne dabei - i n diesem Fall ist das allerdings kein Grund zum Jubeln: Mit einem Versiegelungsgrad von 46 Prozent ist München eine der am stärksten versiegelten Städte Deutschlands. Um die Lebensqualität in der Stadt zu erhalten, muss auch ausreichend Grün vorhanden sein. Welchen Wert Bäume speziell für die Stadt haben, weiß Heinz Sedlmeier vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) in München.

SZ: Wie geht's Münchens Bäumen?

Heinz Sedlmeier: Pauschal gesehen muss man sagen: schlecht. Das Stadtklima, diverse neue Schädlinge, die Trockenheit - all das setzt ihnen schon stark zu. Man pflanzt ja deshalb neue Arten wie den Ginkgo oder den japanischen Schnurbaum. Aber das ist die Versuch-Irrtum-Methode. Da wissen wir einfach noch nicht, was mit denen passiert. Bei der Fichte hatte man ja auch gehofft, sie löse alle Probleme.

Und schadet das gegenwärtige Wetter?

Im Münchner Raum sind keine Schäden festzustellen. Traubenkirsche und Apfelbäume stehen in voller Blüte. Buche und Eiche folgen bald und sind nicht zu früh dran wie zuletzt.

Wie ist es mit direkter menschlicher Einwirkung? Stichwort Nachverdichtung.

Den Bebauungsmaßnahmen und auch der Wegesicherung fallen natürlich etliche Bäume zum Opfer, oft sind es leider gerade die besonders wertvollen. Wenn dann auf Ersatzpflanzungen hingewiesen wird, dann lügt man sich damit schon ein bisschen in die Tasche, denn junges Grün kann einen gewachsenen Baum nicht ersetzen.

Warum sind denn Bäume gerade für die Stadt so wichtig?

Hier ist es wärmer als auf dem Land, Bäume wirken klimadämpfend. Sie kühlen, und sie haben für die Menschen generell auch eine Erholungsfunktion. Dass sie den Lärm mindern, darf man auch nicht unterschätzen. Und Bäume tragen natürlich zum Erhalt der Artenvielfalt bei, weil sie vielen andern Pflanzen und Tieren Lebensraum bieten. Außerdem können Bäume auch so etwas wie Identifikationsfiguren sein. Ich habe selbst erlebt, wie zwei ältere Münchner geweint haben, als im Schlachthofviertel eine alte Kastanie gefällt wurde, die sie in ihrem Leben begleitet hatte.

Lieben die Münchner also ihre Bäume?

Alle glauben wohl, sie gehen mit Bäumen gut um. Und dann wird einfach in den Wurzelbereich hineingeparkt und Müll darauf geworfen. Oder die Leute laufen querfeldein und zertreten dabei Keimlinge. Das alles geschieht aber unabsichtlich. Die Leute wissen das nicht. Deshalb haben wir jetzt auch zusammen mit der Stadt die Broschüre "Bäume in München" herausgegeben. Mehr Wissen trägt hoffentlich auch zu einem besseren Umgang mit den Bäumen bei. Das kostet nichts, sondern erfordert nur mehr Rücksichtnahme. Generell haben Bäume ein sehr gutes Image. Das merken wir, wenn wir zu Pflanz- und Pflegeaktionen oder auch Baumpatenschaften aufrufen, da ist das Echo enorm.

Haben Sie denn einen Lieblingsbaum?

Bei mir ist das eine ganze Gruppe: Die Weiden. Sie sind Pionierpflanzen, und wenn sie im Frühling blühen, dienen sie als erste Nahrung für Wildbienen und Hummeln. In München gibt es elf Weiden-Arten. Leider werden es immer weniger. Da bricht halt einmal ein Ast und dann kommt das Totschlag-Argument: Der könnte umfallen. Und schon ist er weg.

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