Lebenshaltungskosten:Die Miete frisst das Leben auf

1000 Euro Warmmiete - mehr ist für viele Familien nicht drin. Doch für den Preis findet man in München kaum noch eine Drei- oder Vierzimmerwohnung. Selbst Menschen mit mittlerem Einkommen kämpfen. Selbst Kommunen scheinen machtlos.

Stefan Mühleisen

Hanna kratzt es wenig, auf engem Raum zu leben. Die Vierjährige sitzt auf ihrem kleinen Kinderbettchen, zu ihren Füßen türmen sich die Spielsachen. Es ist sechs Uhr abends in der Wohnung der Familie Bretschneider in der Münchner Ostrandgemeinde Haar. Gerade kommt Vater Peter Bretschneider von der Arbeit nach Hause, er stellt den Kindersitz ab, darin schläft selig der 18 Monate alte Anton. Hanna rutscht von ihrem Bett, läuft zu ihm rüber, tätschelt seinen Kopf. Schüchtern gesteht sie, dass es schön wäre, wenn er bei ihr wohnen würde, nicht im Eltern-Schlafzimmer.

Lebenshaltungskosten: Im Zangengriff der Mietlast: Im Familienetat von Kerstin und Peter Bretschneider bleibt am Monatsende kaum etwas übrig.

Im Zangengriff der Mietlast: Im Familienetat von Kerstin und Peter Bretschneider bleibt am Monatsende kaum etwas übrig.

(Foto: Claus Schunk)

Mit vier Jahren sind elf Quadratmeter eigenes Reich noch ein Palast. Doch ihre Eltern suchen jetzt schon seit zwei Jahren eine größere Wohnung. "Wir verdienen zu viel, um Unterstützung zu bekommen und zu wenig, um uns eine größere Wohnung leisten zu können", seufzt die Mutter, Kerstin Bretschneider, 31. Sie blickt zu ihrem gleichaltrigen Ehemann Peter, angestellter Raumausstatter. Trauriges Nicken. Eine günstige, größere Wohnung bleibt vorerst ein Traum für die Bretschneiders.

Eine junge Familie im Zangengriff der Mietlast: Das ist keine Seltenheit im Raum München. Die Landeshauptstadt ist laut Mietspiegel die teuerste Kommune Deutschlands, und die Preise im Speckgürtel wachsen in ihrem Schlepptau. Bauflächen sind rar, entlang der S-Bahn-Äste muss man mancherorts pro Quadratmeter - ebenso wie in München - 13,50 Euro für guten, 11,60 Euro für mittleren Wohnwert Kaltmiete hinblättern. Zusehends wird der Landkreis zum Siedlungsraum für Gutverdiener, Mittelschichtlern wie den Bretschneiders frisst die Pflichtüberweisung an den Vermieter jedoch monatlich ein Loch ins knappe Budget.

Bald könnten sie zu jenen Familien gehören, die in deutlich günstigere Wohnungen in den Nachbarlandkreisen ziehen. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch laut Mietverein München und Immobilienverband Deutschland (IVD) waren es in den vergangenen Jahren etliche. Beide Institutionen wissen zudem, dass sich viele Familien in der Region mit weniger Wohnraum bescheiden müssen. "Wir können keinen ganzen Monatslohn nur für die Miete bezahlen", sagt Peter Bretschneider.

Anton schläft wieder, diesmal in den Armen seiner Mutter inmitten kreischender Säuglinge. Ein Mittwochmorgen im Familienzentrum Haar, ein Dutzend Mütter mit ihren Kindern treffen sich zum "Babycafé". Sie sitzen auf einem großen Teppich, dazwischen krabbeln die Kleinen herum und quieken ausgelassen, wenn sie wieder auf eines der vielen herumliegenden Spielzeuge stoßen. Gelöste Gesichter, lockerer Plausch, Erfahrungsaustausch.

Mit zwei Kindern wird es eng

Kerstin Bretschneider erzählt, wie sie mit ihrem Mann 2003 aus Sachsen nach Haar in das Mietshaus am Bahnhof gezogen war. Sie hatte einen Job als Assistentin der Geschäftsführung in Riem ergattert. Dann kam Hanna zur Welt, sie mussten raus aus der günstigen Zweizimmerwohnung, unterm Dach hatten sie 80 Quadratmeter und ein kleines Zimmer mehr. Doch jetzt war sie in Elternzeit, ihr Mann Peter mit seinem Raumausstatter-Gehalt der Alleinverdiener.

Da sind 1000 Euro Warmmiete monatlich ein Batzen Geld, doch in den Immobilienanzeigen für Haarer Drei- und Vierzimmerwohnungen finden die Bretschneiders bis heute nur Angebote, die bei 1000 Euro Kaltmiete losgehen. "Mit einem Kind ging es noch, mit zwei wird es schon eng", umreißt sie den finanziellen Spielraum. "Und selbst wenn wir uns einschränken: Bei einer Autoreparatur bleibt wieder nichts übrig."

Miete essen Leben von Otto-Normalverdiener auf, ließe sich in Abwandlung eines Fassbinder-Filmtitels sagen - längst haben Kommunen und Kreistag diesen drängenden Missstand erkannt. Die Kreis-Politiker haben jüngst beschlossen, ein Zusatz-Programm gemäß dem Bayerischen Wohnraumförderungsgesetz (BayWoFG) aufzulegen. Im Landratsamt wird derzeit an den Modalitäten gefeilt. Doch bereits jetzt ist abzusehen, dass der Vorstoß den Wohnungsmarkt nur kitzeln wird, wirklich kratzen wird er Investoren wohl kaum.

Für eine Vollfinanzierung von 100 Wohneinheiten jährlich müsste der Kreis bis zu 25 Millionen Euro investieren. "Das kann der Landkreis kaum bewältigen", heißt es in einer Stellungnahme der Kreisbehörde. Dazu müsste das Geld über die Kreisumlage eingetrieben werden - doch gemäß einer Umfrage der Behörde haben nur ein Drittel der Städte und Gemeinden aktives Interesse bekundet. Die Kreisbehörde sieht bereits jetzt die Gefahr, einzelne Kommunen könnten eine Erhöhung der Umlage juristisch mit Erfolg anfechten. Die Folge: Die Verwaltung favorisiert eine abgespeckte Variante, die nur mit zwei Millionen Euro zu Buche schlägt. "Wenn dies ein einmaliger Betrag wird, wäre das Förderprogramm ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt der Geschäftsführer der Baugesellschaft München Land (BML), Ulrich Bittner.

737 Anträge für geförderten Wohnraum sind 2011 laut einer Behörden-Drucksache im Landratsamt eingegangen. Nur 47 Antragsteller konnten mit einer Wohnung versorgt werden. Die Behörde verfügt derzeit landkreisweit über ein Belegungsrecht für 1532 Wohnungen - was kaum der Rede wert ist.

Ich kann nur dasitzen und abwarten", sagt Nadine Schneider. Die 31-Jährige kniet neben Kerstin Bretschneider auf dem Teppich, auch sie kommt regelmäßig zum "Babycafe"-Treffen. Ihre Tochter Eleni, neun Monate alt, beschäftigt sich gerade fasziniert mit einer bunten Rassel. Die gelernte Reiseverkehrskauffrau ist alleinerziehend, der Vater habe sich schon während der Schwangerschaft verdrückt, sagt sie. Mit "Dringlichkeitsstufe III" sei sie vom Landratsamt eingestuft worden. Ihr Problem: Sie ist keine Hartz-IV-Empfängerin, hat also keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Doch ihre 40-Quadratmeter-Wohnung am Ostzipfel von Haar ist mit Kind zu eng - und in Haar wohnt sie zu kurz, um Aussicht auf eine der begehrten günstigen Wohnungen zu haben, die die Gemeinde Haar nach ihrem "sozialen Mietkonzept" zuteilt.

Wegziehen ist für sie erstmal keine Option. "Wenn ich in eine andere Gemeinde umziehe, brauche ich erst einmal einen Krippenplatz für Eleni", sagt die junge Mutter. Allerdings wird Schneider von Oktober an kein Elterngeld mehr bekommen. Dann will sie unbedingt wieder arbeiten. "Ich stecke in einem Dilemma", sagt sie. Kerstin Bretschneider nickt, sie und ihr Mann haben das gleiche Problem. Wohnung, Arbeit und Kinderkrippe - diese drei Säulen müssen genau austariert sein, sonst funktioniert das Leben von Menschen mit mittleren Einkommen nicht.

Für Investoren wenig reizvoll

Bleibt es bei der Mini-Version, wird das Förderprogramm für Menschen wie die Bretschneiders und Nadine Schneider kaum Abhilfe schaffen. Das liegt indessen nicht nur daran, dass die Geldspritze zu klein ist. Der Förderweg - es ist an einen Zuschuss von 260 Euro pro Quadratmeter gedacht - wird für Investoren nur bedingt reizvoll sein, da er ans BayWoFG gebunden sein soll. Dazu will der Landkreis freilich eine gemeinnützige Verwendung des Geldes sichergestellt sehen. Und das geht nur mit einem Bauträger, der seine Kalkulation an eine niedrige Miete koppelt. Das macht nur ein Investor, der nicht an Gewinnmaximierung interessiert ist wie etwa die BML.

Der Landkreis zählt mit 25 Kommunen zu den Gesellschaftern - deshalb ist zu erwarten, dass mit der Fördersumme die Stammeinlage bei der BML aufgestockt wird - so wurde es zumindest bei einem Förderprogramm zwischen 1989 und 1995 gemacht. Doch als Köder für Kommunen, jetzt im großen Stil günstige Quartiere hochzuziehen, wird das kaum wirken. Zwar würde sich der Eigen-Invest durch die Förderung reduzieren.

Doch den Baugrund müssen die Gemeinden der BML via Erbpacht zur Verfügung stellen. Damit ist der Kapitalwert futsch - ein Verlustgeschäft, das sich nur finanzstarke Kommunen leisten können. Neubibergs Bürgermeister Günter Heyland hat wiederholt klargestellt, dass seine Gemeinde weder über geeignete Flächen noch über genügend Geld verfüge.

Der Wille zur Gemeinnützigkeit ist da - doch er ist eine Frage des Vermögens. Die Fördervariante mit bis zu 25 Millionen Euro würde das ausgleichen, denn der Grundstückskauf wäre enthalten - eine Vollfinanzierung.

Im Haarer Familienzentrum löst sich die Mütter-Runde des "Babycafés" langsam auf. Kerstin Bretschneider berichtet noch von den bitteren Erfahrungen bei der Wohnungssuche. Nicht nur vom Frust, mit bis zu 50 Interessenten durch die Wohnungen geschleust zu werden, um dann eine Absage zu erhalten. Sondern auch von der schonungslosen Offenheit, mit der sie abgewiesen wurden. "Wir haben oft zu hören bekommen, dass der Vermieter Pärchen ohne Kinder bevorzugt", sagt Kerstin Bretschneider.

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