Wiesnwirte:Die Wirtefamilie Steinberg: Ein Leben mit Bibel und Bier

Wiesnwirte: Zwei Generationen - eine Wirtefamilie: Silja Schrank-Steinberg und ihr Bruder Ricky sowie die Eltern Margot und Günter Steinberg (von links).

Zwei Generationen - eine Wirtefamilie: Silja Schrank-Steinberg und ihr Bruder Ricky sowie die Eltern Margot und Günter Steinberg (von links).

(Foto: Robert Haas)

Seit 47 Jahren sind die Betreiber des Hofbräuzelts auf dem Oktoberfest aktiv. Sie hatten in der Zeit auch einige Tiefen - und gehen offen damit um.

Von Franz Kotteder

Aufhören? Nein, sagt Margot Steinberg, ganz so könne man das auch wieder nicht sagen. "Wir werden schon noch im Zelt sein, so lange uns die Kinder lassen. An die haben wir ja eigentlich schon vor drei Jahren die Führung abgegeben." Was ihr Mann Günter da vor zwei Wochen bei der Vorstellung des Krugs vom Hofbräuzelt verkündet habe, sei insofern etwas missverstanden worden. Die Eltern werden keine Krüge mehr machen, die Kinder dürfen sich etwas Neues, vielleicht Zeitgemäßeres einfallen lassen. Aber von der Wiesn würden sich die Eltern sicher nicht trennen und vielleicht auch noch daheim herumsitzen. Das geht doch gar nicht!

So sind sie halt, die Steinbergs. Seit 47 Jahren sind Margot, 68, und Günter, 78, nun schon auf dem Oktoberfest, erst mit dem kleinen Wienerwald-Zelt, das es heute nicht mehr gibt, und seit 1980 mit dem Hofbräuzelt, der zweitgrößten Wiesn-Festhalle. Seit 2014 sind ganz offiziell die beiden Kinder Ricky, 47, und Silja, 45, Wiesnwirte. Letztlich war das nur noch eine Formalie, denn die beiden sind ja mit dem Oktoberfest großgeworden. Silja sagt: "Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, wie ein normaler Besucher die Wiesn erlebt." Einmal hat sie für eine Fernsehsendung auf eine Bierbank steigen müssen, um zu feiern wie die Zeltgäste. Das kam ihr sehr seltsam vor: "Ich weiß nicht, ob ich überhaupt auf die Wiesn gehen würde."

Das klingt nur auf den ersten Blick ein wenig seltsam. Wirt und Gast, das sind eben zwei grundverschiedene Rollen, die nicht vermischt werden dürfen, wenn der Laden florieren soll. Und die beiden Steinberg-Kinder, die ja nun auch schon ziemlich erwachsen sind und längst eigene Kinder haben, sind in die Wirtsrolle früh hineingewachsen. Schon nach der Grundschule ging es während der Wiesnzeit nachmittags ins Zelt.

Dort gibt es das berühmte "Stüberl", den Rückzugsort der Familie, in dem auch Ministerpräsident Franz Josef Strauß gerne saß, debattierte und dabei ein paar Flaschen Bocksbeutel vernichtete, bis er einnickte. Hier machten tagsüber die Kinder ihre Hausaufgaben, später dann kamen kleinere Jobs im Zelt hinzu. Silja tütete die Hendl für den Straßenverkauf ein oder nahm die Bons von den Bedienungen entgegen. So ging das los.

Dergleichen hört man öfters von Wiesnwirten. Aber eine ganz normale Wirte-Dynastie sind die Steinbergs halt doch nicht. Die Eltern und die Tochter sind etwa höchst engagierte Mitglieder einer christlichen Freikirche und tiefgläubig, während man den anderen Wiesnwirtefamilien sicher nicht zu nahe tritt, wenn man sagt, sie leben in der Regel einen pragmatischen Katholizismus. Bei den Steinberg-Eltern aber wird regelmäßig gebetet und in der Bibel gelesen. Missionarischer Eifer ist ihnen aber fremd. Tochter Silja schloss sich ihnen nach etwas Zögern mit großer Überzeugung an, wie sie sagt. Sohn Ricky hält noch etwas Abstand. Ausfluss des Glaubens ist auch die familieneigene Stiftung "'S Münchner Herz", die etwa mit der Benefizveranstaltung "Stars im Prinze" bedürftige Münchner unterstützt.

Margot und Günter Steinberg haben 2010 nach langem Hinbenzen des Verlegers ein Erinnerungsbuch mit dem sinnigen Titel "Maßvoll" und dem noch schöneren Untertitel "Ein Leben mit Bibel und Bier" herausgebracht. Darin erzählen Margot und Günter Steinberg sehr offen von ihren Ehe- und anderen Krisen und auch, wie ihnen der Glaube schließlich geholfen hat, diese Krisen zu bewältigen. "Wir dachten uns: Wenn das jemandem Hoffnung macht, der in einer ähnlichen Situation ist wie wir damals, dann ist es das wert", sagt Günter Steinberg. Die Kollegen hätten überwiegend positiv reagiert oder hätten das Buch zumindest "mutig" gefunden.

Wiesn-Anekdoten und etwas bundesrepublikanische Wirtschaftsgeschichte

"Maßvoll" erzählt beileibe nicht nur vom Weg zum Glauben, sondern auch eine ganze Menge interessanter Wiesn-Geschichten und Anekdoten sowie auch ein bisschen bundesrepublikanischer Wirtschaftsgeschichte. Denn die Familie kam ja nicht aus dem Nichts, Margots Vater war Friedrich Jahn. Der österreichische Oberkellner hatte mit dem Wienerwald ein Unternehmen mit Milliardenumsatz aufgebaut.

Man kann sagen: Der Wienerwald war ein echtes Wirtschaftswunder der Sechziger- und Siebzigerjahre, das Unternehmen expandierte bis in die USA, auch im legendären New Yorker Waldorf-Astoria-Hotel gab es einen Wienerwald. Tochter Margot hat alles miterlebt, von den kleinsten Anfängen in der Schwabinger Amalienstraße bis hin zum krachenden Untergang 1982. Damals forderten die Banken ihre Kredite zurück, Wienerwald hatte 300 Millionen D-Mark Schulden, das Imperium brach zusammen.

Die ganze Familie arbeitete damals im Konzern, von dem nicht viel übrig blieb, nachdem sich die Banken bedient hatten. Margot und Günter Steinberg waren jedenfalls froh, dass sie gegen den Rat des Vaters Jahn zwei Jahre zuvor das Hofbräuzelt übernommen hatten, denn als Wiesnwirt fällt man ja doch nicht so schnell der Verarmung anheim. Später übernahmen sie noch den Hofbräukeller am Wiener Platz und konnten zumindest ein paar Wienerwaldgaststätten zurückkaufen, sie gehören jetzt zu ihrer Firma Baygast.

Dort begann auch Sohn Ricky nach längerer Bedenkzeit seine gastronomische Karriere. Auf der Wiesn hatte er zwar auch schon immer mitgearbeitet, aber: "Was mich anfangs von der Gastronomie abgehalten hat, das war, dass ich meinen Vater wochenlang nicht gesehen habe, weil er immer wegen der Restaurants unterwegs war." Ricky hat nach dem Abitur eine Banklehre gemacht und danach Betriebswirtschaft studiert. "Heute würde ich statt der Bank- eine Kochlehre machen", sagt er.

Inzwischen, sagen sie alle, achteten sie sehr darauf, dass sich die Familie öfter sehe, denn die häufige Abwesenheit und das Fehlen des Miteinander-Redens sei der Hauptgrund für Krisen gewesen. Trotzdem ist es nicht einfach, alle zusammen an einen Tisch (oder auf ein Foto) zu bekommen, irgendwas ist immer. Am ehesten schafft man das am letzten Wiesnabend. Da stehen sie dann auf der Bühne, mit Sternwerfern in der Hand und singen ganz am Schluss die Bayernhymne. Ein Moment für die ganze Familie und für das ganze Zelt. "Da läuft es dir eiskalt den Rücken runter", sagt Günter Steinberg, "da musst du aufpassen, dass dir nicht die Tränen kommen."

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