Leben nach der Transplantation:Wenn das Herzklopfen zurück ist

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Die Wartezeit in drei verschiedenen Krankenhäusern in München war für Thomas Barkow die schlimmste seines Lebens - "schlimmer als im Knast".

(Foto: Stephan Rumpf)

Thomas Barkow hat elf Monate auf ein Spenderorgan gewartet - immer wurden seine Hoffnungen enttäuscht. Seit 48 Tagen lebt er nun mit einem neuen Herzen. Ein Besuch bei einem, der noch einmal ganz neu anfangen will.

Von Beate Wild

48 Tage schon. Seit 48 Tagen lebt Thomas Barkow mit seinem neuen Herzen. Und das schönste Gefühl der Welt ist zurück: Herzklopfen. Stark und regelmäßig schlägt das neue Organ in seiner Brust. Dabei hat er so lange darauf warten müssen, dass er beinahe nicht mehr daran geglaubt hat. Elf lange Monate harrte der 50-Jährige aus dem Allgäu aus. Das ist ein trauriger Spitzenwert auf den Wartelisten. Nun liegt Barkow im Klinikum Großhadern und jeden Tag geht es ihm besser

Er hat ein hartes Jahr hinter sich. Ein Jahr voller Hoffnungen, voller Verzweiflung und voller Enttäuschungen. Am 15. Januar 2012 kam Barkow auf die HU-Liste, das ist die Warteliste für "high urgency", also für die sehr dringlichen Fälle. Sein Herz war wegen eines zu spät erkannten Herzinfarkts so krank, dass es nicht mehr arbeiten wollte. Damals besuchte Süddeutsche.de den Patienten im Klinikum Großhadern. Es war klar: Wenn Barkow nicht bald ein neues Herz bekommt, wird er nicht mehr lange leben. Dass er jedoch bis 30. November wird warten müssen, konnte damals niemand ahnen. Nur mit viel Glück hat er durchgehalten, bis sein neues Herz gefunden war.

Und dann kam es auch noch bei der Transplantation zu Komplikationen. Die ersten sieben Tage nach der Operation wollte das neue Herz nicht funktionieren, es lag wie ein toter Klumpen da und rührte sich nicht. Es ging um Leben und Tod. Barkow musste bei offenem Brustkorb mit einer Herz-Lungenmaschine am Leben gehalten werden. Fast hätte man ihn schon aufgegeben, dann zuckte das fremde Herz plötzlich. Es fing schwach und unregelmäßig an zu pochen. Die ersten Schläge seines neuen Lebens. 14 Tage nach der Operation wachte Barkow aus der Narkose auf.

Nun, sechs Wochen nach dem Eingriff, haben sich das Herz und Barkow besser aneinander gewöhnt. Ein Herzschrittmacher hilft dem neuen Organ regelmäßig zu schlagen. "Es fühlt sich so stark an, es klopft so entschlossen", sagt Barkow. Über den Spender weiß der Empfänger nichts. "Mir wurde nur gesagt, dass es ein jüngerer Mann war." Mehr darf und mehr will Barkow nicht erfahren. Er glaubt, das sei besser so für ihn.

Schlimmer als im Knast

Die Wartezeit verbrachte der ehemalige Handwerker in drei verschiedenen Münchner Krankenhäusern. Weil kein Platz war, musste er mehrmals verlegt werden. Die längste Zeit, neun Monate, war er im Krankenhaus Neuperlach untergebracht. Dort musste er in einem Einzelcontainer hausen, da die Klinik derzeit im großen Stil umgebaut wird. "Diesen Container durfte ich nicht alleine verlassen, nicht mal kurz raus an die frische Luft", sagt Barkow, und reißt seine dunklen Augen weit auf. "Die Wartezeit im Krankenhaus war schlimmer als im Knast. Die Häftlinge dürfen wenigstens raus zum Hofgang", sagt Barkow. Er durfte nicht nach draußen, weil die Ärzte es für zu gefährlich hielten.

Während er erzählt, liegt er auf seinem Krankenbett, nun wieder im Klinikum Großhadern, und sieht deutlich gesünder aus als vor einem Jahr. Damals war er blass, wirkte schwach und war an unzählige Geräte angeschlossen. Heute ist er zwar immer noch dünn und hat kaum Muskeln, "aber das ist nach einem Jahr im Bett liegen auch kein Wunder", sagt er. Und während er wartete und bangte, platze die Nachricht von den Organspendeskandalen in sein Leben. Das war im Juli 2012.

Was er dachte, als er von den Manipulationen der Mediziner hörte? "Darüber wollte ich mir keine großen Gedanken machen", antwortet Barkow. Bei den Skandalen sei es schließlich um Lebern, nicht um Herzen gegangen. Hatte er keine Angst, selbst zu den Benachteiligten zu gehören? Keine Panik, wegen nicht korrekter Vergabe vielleicht kein Herz abzubekommen und deshalb das Ganze nicht zu überleben? "Na ja", sagt Barkow zögerlich, "ein bisschen habe ich mir schon gedacht, warum es ausgerechnet bei mir so lange dauert mit einem neuen Organ."

Doch an den Skandalen um die Organvergabe habe es nicht gelegen, sagen die Ärzte im Klinikum Großhadern. Barkow habe so lange warten müssen, weil er ein Mann sei und die Blutgruppe 0 habe. Diese beiden Faktoren seien der Grund für die lange Suche nach dem passenden Spender. Zudem habe der Patient unter hohem Lungendruck gelitten und nicht jedes Herz sei für ihn in Frage gekommen.

Deutlich weniger Organspender

Tatsache ist jedoch, dass seit den Skandalen die Zahl der Organspender in Deutschland deutlich gesunken ist. 2012 spendeten nur noch 1046 Personen ihre Organe nach ihrem Tod, das sind um 12,8 Prozent weniger als noch im Jahr davor. "Das ist der niedrigste Stand seit 2002, diese Zahl ist äußerst alamierend", sagt Nadine Körner von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Frankfurt am Main. Und: "Wir glauben, dass dieser deutliche Rückgang auf die Organspendeskandale zurückzuführen ist." Durch die Manipulationen bei der Vergabe sei ein großer Imageschaden entstanden. "Viele Menschen, die bis dahin einen Organspendeausweis besessen haben, haben uns diesen wütend zurückgeschickt oder uns mitgeteilt, dass sie ihn zerrissen hätten", erzählt sie.

Die zunehmende Weigerung, seine Organe nach dem Tod zu spenden, würden vor allem die wartenden Patienten in eine prekäre Situation bringen. "Wir sind alle erschüttert über die Vorfälle in Göttingen, Regensburg, Leipzig und im Münchner Krankenhaus Rechts der Isar, doch wir möchten trotzdem an alle appellieren, weiter zu spenden", sagt Körner. Die Leidtragenden seien schließlich die Patienten. Und seit der Entdeckung der Manipulationen habe man schließlich stärkere Kontrollen bei der Vergabe eingerichtet.

Für die deutschlandweit 12.000 Kranken, die auf ein neues Organ warten, mag das nur ein schwacher Trost sein. Jedes Jahr sterben in Deutschland 1300 Menschen, weil sie vergeblich auf ein Spenderorgan warten. Und selbst wenn die Transplantation erfolgt ist, ist das noch keine Garantie dafür, dass der Patient gerettet ist. Etwa 20 Prozent aller Herz-Transplantierten sterben nach der Operation, die Hälfte nach etwa zehn Jahren. Auch Barkow musste während seiner Wartezeit sechs Todesfälle von Transplantierten, die er im Krankenhaus kennengelernt hatte, verkraften. "Einer meiner Zimmernachbarn, mit dem ich lange im gleichen Zimmer gelegen bin, ist zwei Tage nach der OP gestorben", erzählt er mit belegter Stimme und senkt den Kopf. "Wir haben uns so gut verstanden und hatten so viele gemeinsame Pläne für die Zeit danach."

Nun muss Barkow seine Pläne alleine machen. Zunächst geht es ein paar Wochen zur Rehabilitation, danach darf er endlich nach Hause zu seiner Frau ins Allgäu. Mehr als ein Jahr war er schon nicht mehr daheim, die Vorfreude ist groß. "Und dann, wenn es mir wieder richtig gut geht, vielleicht in einem halben Jahr, will ich in den Urlaub fahren, nach Florida", sagt Barkow. Seine Augen strahlen. "Ich habe ein zweites Leben bekommen."

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