Leben in München:Wohnen statt parken

Wohnhaus in München, 2015

Wohnen auf engem Raum: Die Stadt wird immer dichter bebaut, und doch reicht es hinten und vorne nicht.

(Foto: Lukas Barth)
  • München wächst rasant - und damit der Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
  • Experten fordern deshalb radikale Lösungen. Zum Beispiel Wohnungen zu bauen, wo heute noch Autos parken.

Von Thomas Anlauf

München wächst so stark wie nie. Täglich kommen 80 neue Bürger hinzu, das sind 1000 Menschen in weniger als zwei Wochen. Schon heute finden immer weniger Münchner eine Wohnung, die sie sich noch leisten können. Und das Problem wird sich weiter verschärfen: In 15 Jahren könnten in der Stadt weit mehr als 1,7 Millionen Menschen leben - 200 000 mehr als heute. Dabei gibt es kaum noch Flächen, die die Stadt mit Immobilien bebauen kann. Experten fordern deshalb radikale Lösungen. Zum Beispiel Wohnungen zu bauen, wo heute noch Autos parken.

"Ich sehe es nicht ein, dass in dieser Stadt heute noch vor einem Supermarkt Parkplätze ebenerdig gebaut werden", sagte Stadtbaurätin Elisabeth Merk bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend, zu dem das Sozialpolitische Forum München eingeladen hatte. Allerdings räumte die Chefin des Planungsreferats ein, dass es rechtlich bislang kaum möglich sei, Einzelhandelsketten zum Bau von Tiefgaragen zu zwingen.

Wie Fläche gewonnen werden soll

Christian Stupka von der Genossenschaftlichen Immobilienagentur München (Gima) sieht insbesondere auf Verkehrsflächen eine Chance, Grundstücke zu gewinnen. "Das wird es künftig nicht mehr geben, dass jeder zweite Münchner ein eigenes Auto hat." Dort, wo heute noch Autos am Straßenrand parken, könnten zahlreiche Wohnungen entstehen, glaubt auch Benjamin David. Gemeinsam mit 120 Unterzeichnern hatte der Chef der Urbanauten vor einem Jahr in einem dreitägigen Workshop die "Tutzinger Erklärung" erarbeitet. Darin wird unter anderem der radikale Rückbau der zum Teil sechsspurigen Ifflandstraße zwischen Englischem Garten und Isar vorgeschlagen, um dort Hunderte Wohnungen zu bauen.

Bernd Schreyer, der als Vorsitzender des Sozialpolitischen Forums zu der Diskussion eingeladen hatte, fordert hingegen, dass die verbliebenen städtischen Flächen nicht mehr nach der Münchner Mischung aufgeteilt werden, also ein Drittel auf dem freien Immobilienmarkt vergeben wird. "Die städtischen Flächen gehören den Münchner Steuerzahlern", sagte der Leiter der Wohnungslosenhilfe im Sozialreferat. Er plädiert dafür, dass die Grundstücke künftig nur noch Wohnungsbaugenossenschaften erhalten oder für den geförderten Wohnungsbau verwendet werden. Und die Stadt müsse sich jetzt "alle Flächen ansehen, wo etwas möglich ist". Denn die Wohnungslosigkeit in München steige rasant: Jedes Jahr kommen laut Schreyer 1000 Wohnungslose hinzu. Das ist die Kehrseite dessen, weshalb München so beliebt ist: "Viele Menschen, die nach München kommen, sind deshalb hier, weil wir Arbeit und Frieden haben", sagte Schreyer.

Was die Münchner an ihrer Einstellung ändern müssen

Der Vorsitzende der Vereinigung Münchner Wohnungsunternehmer Hans-Otto Kraus beobachtet in jüngster Zeit, dass genau dieser starke Zuzug zunehmend auf Skepsis stößt. Er beklagt eine "mangelnde Solidarität in der Stadtgesellschaft". Das Prinzip "Schotten dicht und niemand darf mehr rein, kann ja wohl nicht sein in einer Weltstadt wie München". Es gehe schließlich "um die soziale Verpflichtung in dieser Stadt".

Dem Chef der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG stößt die Haltung von einigen Anwohnern auf, die eine notwendige städtebauliche Verdichtung vor ihrer Haustür um jeden Preis verhindern wollen. "Das Hauptproblem in der Stadt ist doch die Uneinigkeit in der Notwendigkeit der Entwicklung", sagte Kraus. Dazu müssten neue wohnungspolitische Instrumente her. Denn mittlerweile fallen Hunderte Wohnungen jährlich aus der sozialen Bindung heraus, weil etwa die Gebiete mit Erhaltungssatzung aufgehoben werden müssen, in denen Gentrifizierung weitgehend unmöglich ist, zumindest theoretisch.

Ein Modell des Gemeindebaus nach Wiener Vorbild hält etwa Bernd Schreyer für ein geeignetes Instrument, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dabei müssten "sozial stabile Quartiere" geschaffen werden, findet Klaus-Michael Dengler von der städtischen Wohnungsgesellschaft Gewofag. Christian Stupka schlägt vor, städtische Neubauflächen zu hundert Prozent als Mietwohnungen auszuweisen, anstatt weiteren Raum für Eigentumswohnungen zu schaffen.

Auch Stadtbaurätin Merk sieht die Zeit gekommen, nun einen wohnungsmarktpolitischen Neuanfang zu wagen: "Wir sind an einer Schwelle angekommen und müssen nun mutig neue Schritte denken", sagte sie. Das gehe aber nicht mit einem Fingerschnippen. Die Schritte müssen nun jedoch groß sein, um das anhaltende Wachstum in München überhaupt noch steuern zu können.

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