Flüchtlinge in Bayern:Integration mit Deutsch, Yoga und Fußball

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Fazila Asif (links, mit Sohn) besucht den Deutschkurs in der Flüchtlingsunterkunft in Edling. (Foto: Christian Endt)
  • Die Familie Sarvar ist im Frühjahr 2016 von Afghanistan nach Deutschland geflüchtet.
  • Inzwischen lebt das Ehepaar mit seinen kleinen Zwillingen in einer Containersiedlung im oberbayerischen Edling.
  • Die SZ begleitet das Leben der Familie in der neuen Heimat in einer Langzeit-Reportage.

Von Katharina Blum und Nina Bovensiepen

Fazila Asif ist jetzt beim "sch" angelangt. Sie formt ihre Lippen zu den für sie oft noch fremd klingenden Lauten und liest laut vor: " Schuhe", " Schweiz" "Deut schland", "Du schen". Die Lehrerin nickt, Fazila Asif lächelt und heftet das Arbeitsblatt in den Ordner. Keine Fehler in den Hausaufgaben.

Es ist ein Dienstag in der Flüchtlingsunterkunft in Edling, in der Fazila Asif mit ihrer Familie seit einigen Monaten lebt. Sieben Frauen haben sich um den großen Tisch in der Küche versammelt, die an diesem Vormittag zum Klassenzimmer für den Deutschkurs für Frauen wird. Nach der Hausaufgabenkontrolle teilt Regina Klein vom Helferkreis die nächste Aufgabe aus. Shakila, Zozan, Hafiza, Sarifa, Chaola, Preed und Fazila sollen nun die Lücken mit den vorgegebenen Substantiven und Präpositionen füllen. Doch es ist gar nicht so leicht zu erklären, warum die Oma in dem Sessel sitzt - die Brille aber auf der Nase.

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Von Katharina Blum, Nina Bovensiepen (Text), Johannes Simon (Fotos)

Seit November besucht Fazila Asif zweimal in der Woche den Kurs. Was die Fortschritte in der deutschen Sprache betrifft, ist ihr Mann, Gulam Sarvar, schon weiter, auch wenn sein Deutschkurs erst am 6. März begonnen hat. Er findet aber auch häufiger statt. In einer Gruppe von etwa 20 Leuten lernt Sarvar von Montag bis Donnerstag täglich gut drei Stunden. Afghanen, Nigerianer, Eritreer und Türken sind in dem Kurs und wenn sie alle so lernbegierig und fleißig sind wie Sarvar, dann können sie sich alle sprachlich bald gut zurechtfinden in dem Land, das sie sich als neue Heimat wünschen. "Ich liebe den Deutschkurs", sagt Gulam Sarvar selbst, und er bringt das Gelernte so oft es geht zur Anwendung. Er redet deutsch, mailt deutsch, manchmal nicht ganz verständlich, aber oft eben erstaunlich gut.

Wer erlebt, mit welchem Ehrgeiz der 50-Jährige sich die bis vor kurzem völlig fremde Sprache aneignet, der wird wieder einmal daran erinnert, welche Bedeutung dies hat. Sich verständigen zu können, verstehen zu können - das bringt Teilhabe. Es bedeutet Autonomie zu gewinnen, weniger von anderen abhängig zu sein, in ein eigenes Leben zu finden. Dies versuchen Gulam Sarvar und Fazila Asif für sich und ihre Familie zu schaffen - auch wenn sie immer noch nicht wissen, ob sie in ihrem neuen Leben in Deutschland bleiben werden können. Denn wie ihr Asylverfahren irgendwann ausgeht, ist völlig offen.

Nachdem ein erster Anhörungsbescheid nicht zugestellt werden konnte, wartet die Familie auf einen neuen Termin. Das Schriftstück ging mit dem Vermerk "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurück zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, obwohl der Briefkasten mit ihrem Namensschild gut sichtbar rechts neben der Eingangstür der Containermodule hängt. Im Asylverfahren gilt der Bescheid trotzdem als zugestellt, ein Anwalt hatte für die Familie deshalb Ende vorigen Jahres Klage eingereicht. Inzwischen hat das Verwaltungsgericht München zwar den Antrag auf aufschiebende Wirkung, damit die Familie nicht sofort das Land verlassen muss, bewilligt, ebenso wie Prozesskostenhilfe. Bis Gulam Sarvar und seine Frau beim Bamf aber darlegen und erklären können, warum sie in Deutschland bleiben wollen, wird es wohl weitere Monate dauern.

Am Willen mangelt es nicht

Doch auch für die Entscheidung darüber, ob sie in Deutschland bleiben können, kann es ja eventuell wichtig sein, wie sehr sie schon integriert sind oder sich integrationswillig zeigen. Zumindest am Willen dazu mangelt es nicht. Und allmählich öffnen sich in Edling, in diesem kleinen bayerischen Ort, auch Wege, die zu mehr Integration führen. Bestimmte Fixpunkte, die die Tage in der Containerunterkunft, in der die Familie lebt, strukturieren, sie mit Betätigung und auch mit Sinn füllen. Das eine sind die Sprachkurse. Das andere ist zum Beispiel das regelmäßig stattfindende Fußballspiel am Freitagnachmittag, bei dem Gulam Sarvar und andere Flüchtlinge mit Nachbarn und Helfern kicken. Ein weiterer Fixpunkt im wöchentlichen Kalender ist ein Yogakurs von Fazila Asif, der vom Helferkreis organisiert wird und den sie vor kurzem das erste Mal besucht hat. Auf die Frage, ob es ihr gefallen hat, strahlt sie: "ja, super". Auch eine wöchentliche Zumba-Stunde gibt es. Fazila Asif nimmt alles gerne an.

In der Küche der Unterkunft geht der Deutschkurs weiter. Die nächste Aufgabe sieht aus wie ein Memory-Spiel für Kinder. Die Frauen ordnen einzelne Silben zu Wörtern und dann den Bildern mit den Lebensmitteln zu. Immer wieder geht die Tür auf. Maivand, der bis gerade noch zusammen mit seinem Zwillingsbruder Maihan im Zimmer der Familie Sarvar geschlafen hat, tapst müde durch die Tür, krabbelt auf den Schoß seiner Mama, nimmt sich einen Stift und malt auf einen der Notizzettel. Amira hingegen langweilt sich, mag nicht mehr in der Küche bleiben. Bevor der Protest des kleinen Mädchens zu laut wird, zückt Lehrerin Regina Klein die Tupperschale und verteilt Süßigkeiten. Ein Erziehungskniff, der länderübergreifend funktioniert.

Für die Flüchtlinge ist Regina Klein eine wichtige Bezugsperson. Auch außerhalb ihrer Kurszeit versucht sie, den tristen Alltag ihrer Schüler aufzulockern. Fast jeden Tag ist die Rentnerin, die im Ort lebt und zuletzt in einer Behinderteneinrichtung in Attel gearbeitet hat, hier, seit zwei Jahren schon. Wenn sie mit ihrem Hund spazieren geht, nimmt sie die Kinder aus der Unterkunft mit. Sie erklärt nicht nur die deutsche Sprache. Sie erklärt, soweit wie eben möglich, auch die neue Heimat Deutschland und deren Gepflogenheiten. So mussten die Frauen erst einmal lernen, pünktlich zum Unterricht zu kommen. "Es ging ziemlich schnell, dann sind sie von Tür zu Tür und haben alle rechtzeitig zusammengeholt."

Wie viel ihre Schülerinnen aus dem Kurs mitnehmen, hänge damit zusammen, wie viel sie mitbringen und wie fleißig sie sind. Fazila Asif hat in Afghanistan ein paar Jahre die Schule besucht, Sarifa spricht sogar Englisch, mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen aber sind Analphabeten. Da genüge das Lehrbuch nicht, bei dem ein Thema meist nur auf drei Seiten abgehandelt werde. Deshalb bastelt Klein Karteikarten, Satzschnipsel, Plakate und vieles mehr. Der Mehraufwand lohnt sich. "Spätestens wenn die Männer Arbeit finden, merken die Frauen, dass es auch für sie ohne Sprache nicht geht", sagt sie.

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Die Sprache lernen, Freizeit gestalten, womöglich arbeiten - und ein weiterer Fixpunkt, der den Alltag der Familie verändern wird, zeichnet sich ab: Vom 1. Mai an werden Maivand und Maihan in den Kindergarten kommen. Vor ein paar Tagen, am 15. April, sind sie drei Jahre alt geworden, damit sind sie alt genug, um in die Edlinger Einrichtung aufgenommen zu werden. Hänsel und Gretel heißen die zwei Gruppen, die es in dem Kindergarten gibt, und als Gulam Sarvar fragt, was das heißt, wird einem wieder bewusst, wie viel Neuland Flüchtlinge überall erwartet.

Sarvar und die Seinen erarbeiten sich dieses Neuland. Die ersten neuen Strukturen von etwas, das man Alltag nennen kann, sind dabei extrem hilfreich. Auch deshalb, weil es jedes Familienmitglied aus der Enge des Raumes hinausführt, in dem sie seit Monaten zu viert leben. In der ersten Zeit waren sie in den verschiedenen Flüchtlingsunterkünften, die sie bewohnt haben, häufig 24 Stunden am Stück zusammen, ohne Beschäftigung, aber mit vielen Erinnerungen oder Traumata aus ihrem früheren Leben, in die sich Zukunftsängste mischen, wie es in der neu gewählten Heimat weitergeht. Viel Gedankenkarussell, das sich nicht abschalten lässt.

In Afghanistan, davon ist er überzeugt, warte nur der Tod

Diese Gedanken und Ängste sind weiter da, auch wenn sie nun vom Deutschlernen und Yoga und Fußball immerhin unterbrochen werden. Gulam Sarvar möchte alles dafür tun, dass es hier weitergeht. Dass er nicht überlegen muss, was er tun würde, wenn er einen Abschiebungsbescheid erhält. Dass dies durchaus im Bereich des Möglichen liegt, weiß er. Er verfolgt die Berichte über Abschiebungen aus Deutschland, den rigideren Kurs in der Flüchtlingspolitik. Auch er weiß, dass in Deutschland bald gewählt wird und dies ein polarisierendes Thema ist.

Doch in die Heimat, in der viele seiner Verwandten umgekommen seien, das betont er immer wieder, gehe er nicht zurück. "Eins weiß ich: dass ich mich und meine Frau und Kinder nicht töten lasse", sagt er. In Afghanistan, davon ist er überzeugt, warte nur der Tod.

Sie wollen aber leben. Wenn es geht, in der neuen Heimat Deutschland. Deshalb wird er weiter fleißig deutsch lernen. Wie seine Frau. Und auch die Kinder, die erste deutsche Worte können. "Hallo", "tschüss" und "servus" zum Beispiel. "Ja" und "nein". "Mama" und "Papa".

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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