Langwierige Vorarbeiten:Feuchte Fresken

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Die Kirche St. Ludwig zählt zu den Sorgenkindern des Erzbischöflichen Ordinariats München. Nicht nur Schimmel verursachte Schäden, auch Sanierungspfusch setzte dem Gotteshaus zu. Das Restaurierungskonzept, das erst Mitte 2017 vorliegen soll, füllt jetzt schon 36 Ordner

Von Stefan Mühleisen

Ironie kann ein Trost für die Ohnmächtigen sein, heißt es. Insofern ist der frotzelnde Kommentar verständlich, mit dem Pfarrer Markus Gottswinter das Fresko im südlichen Querschiff präsentiert. "Hier ist also unser Jesus mit den drei Füßen", sagt er leise. Der 45-Jährige wirkt indes nicht wie jemand, der des Trostes bedarf. Gelassen führt der Geistliche durch seine Kirche, die Ludwigskirche. Er zeigt die Ziegelwände, die Schimmelflecken, deutet hierhin und dorthin - und bleibt beim dreifüßigen Christus stehen. "Immer, wenn die Abendsonne auf das Fresko fällt, wächst ihm ein dritter Fuß." Es wird deutlich: Eine ironische Haltung ist sicher hilfreich, angesichts der gigantischen Sanierungsaufgabe, die es hier zu meistern gilt.

Die Ludwigskirche ist eine der bedeutendsten katholischen Kirchen in München, mit den beiden markanten Türmen nach Art venezianischer Campanile prägend für das Stadtbild. St. Ludwig fungiert als Universitätskirche, eingebettet ins Hochschul-Ensemble. Von einem "herausragenden Baudenkmal mit dem Titel ,Denkmal von nationaler Bedeutung'", spricht Bettina Göbner von der Pressestelle des erzbischöflichen Ordinariats. Herausragend sind allerdings auch die Probleme, die dieser Sakralbau bereitet. "Die Ludwigskirche ist sicherlich zu den bedeutendsten und aufwendigsten Restaurierungsmaßnahmen im Erzbistum zu zählen", teilt das Ordinariat mit.

Das weiß auch Markus Gottswinter, der neben St. Ludwig auch für St. Joseph am Josephsplatz zuständig ist. Er kann bei einem Rundgang durch seine Kirche sehr genau belegen, weshalb dieses Gotteshaus zu den ewigen Sorgenkindern in der Erzdiözese München und Freising zählt. Allein die Vorbereitung des Restaurierungskonzepts dauert seit drei Jahren an, es füllt nach seinen Angaben bereits jetzt 36 Aktenordner, weitere werden folgen.

In einem der Ordner ist auch das Fresko mit der Kreuzigungsszene dokumentiert, auf der Christus im richtigen Licht betrachtet ein dritter Fuß wächst. Ein krasser Restaurierungspfusch, angerichtet in den Fünfzigerjahren, "als irgend ein Rindvieh die Fresken mit Salpeter gereinigt hat", wie Gottswinter bemerkt. Das könnte jetzt ohnmächtig klingen. Denn es ist ja nur ein Detail in der an Details reichen Mammutaufgabe, die gesamte Raumschale inklusive der wertvollen Fresken zu restaurieren. Doch der Pfarrer tröstet sich wieder mit Ironie. Die mit dem Konzept befasste Mitarbeiterin, die seit Jahren schon den Verfall und die Erblast des Pfusches Quadratmeter für Quadratmeter in den vielen Aktenordnern aufbereitet, erwerbe sich gerade "himmlische Würden mit einer irdischen Tätigkeit", wie der Pfarrer sagt.

Dieses Verdienst nahm wohl auch König Ludwig I. für sich in Anspruch, der die Kirche mit seinem Namen als wichtige kulturpolitische Komponente in der Gesamtschöpfung der Straße mit seinem Namen sah - eine Kirche nahe der Universität, Glauben und Wissen in direkter Nachbarschaft, in der Blickachse der Löwen-, heute Schellingstraße. Die Planung wurde dem Architekten Friedrich von Gärtner übertragen, die Freskoausmalung übernahm Peter Cornelius. 1844 weihte Erzbischof Lothar Anselm von Gebsattel ein höchst innovatives Gotteshaus: Romanischer und gotischer Stil mit Rundbogenelementen sind synthetisch vermengt, die knapp 30 Meter hohen Wände mit nazarenisch-romanischen Sakralfresken und Wandornamenten geschmückt. Aufsehenerregend sind zudem das farbig glasierte Ziegeldach, im Inneren das riesige Altarbild des Jüngsten Gerichts. Doch das Gotteshaus hat ein Grundproblem. "Es wurde auf einem Fischweiher erbaut", sagt Markus Gottswinter.

Von Beginn an greift deshalb der Schimmel das Mauerwerk und die darauf gepinselten Kunstwerke an, die lange Pfusch-Geschichte nimmt ihren Lauf. Laut Gottswinter wurden schon 1860 die ersten Feuchtigkeitsschäden ausgebessert, die Sanierungsphase von 1904 bis 1907 bezeichnet er als "Sündenfall". Der alte Putz sei nur abgewaschen worden, der Schimmel blieb unter den neu aufgetragenen, überdies veränderten Farben und Ornamenten bestehen. Die Restauratorengeneration in der Nachkriegszeit hat dann alles noch einmal verschlimmbessert, siehe den dreifüßigen Christus. Obendrein wurde damals Asbest verbaut. Das kam heraus, als 2008 ein Stück Putz von der Gewölbedecke herunterkrachte. Drei Millionen Euro flossen in die Asbestsanierung, bei der mit Unterdruck - zum Schutz der Fresken vor dem giftigen Staub - der Putz entfernt wurde.

Nun liegen teilweise die Ziegel blank, an den verputzten Stellen werden "Restaurierungsversuche" angestellt, wie Ordinariats-Sprecherin Göbner sagt. Die Restauratoren haben dazu auf 500 Quadratmeter im südlichen Seitenschiff eine Musterachse angelegt, sie verläuft teils vertikal durch die Mitte von ornamentalen Freskenbildern: die linke Hälfte ist schmutzig-grau, die rechte erstrahlt wie neu, als habe lange Zeit ein Bild davor gehangen. Den gleichen Eindruck vermittelt das figurative Deckenfresko im Vierungsgewölbe: Ein dreieckiges Segment ist gereinigt, hier können die Chöre der Heiligen strahlen, auf den anderen drei sitzen sie im Dunkeln. "Es ist eine diffizile Aufgabe", sagt Gottswinter, vor allem was die Ausmalung mit der historischen Ornamentik betrifft. Lange waren Cornelius' Ur-Formen verloren, da sie frühere Restauratoren unwiederbringlich übermalt hatten. Ein Zufallsfund in einem Berliner Archiv förderte die originalen Skizzen zu Tage. Doch einfach loslegen geht nicht: Wegen des Feuchtigkeits-Problems würde ein bunter Flickenteppich entstehen, es braucht eine genaue Kartierung der Wandflächen für die Farbgebung der unterschiedlich belasteten Stellen - deshalb die 36 Aktenordner.

Erst Mitte 2017 soll das Sanierungskonzept stehen, heißt es vom Ordinariat, erst dann könne die Finanzierung festgelegt werden. Sprecherin Göbner prognostiziert einen "unteren zweistelligen Millionenbetrag". Damit spielt die Ludwigskirche in der Liga der Groß-Projekte im Bistum. Die Innensanierung von Heilig Kreuz in Giesing kostete neun Millionen Euro, St. Paul verschlingt 6,3 Millionen, für die beiden Kirchenbauten in Poing und Holzkirchen sind es 14,6 Millionen Euro. Insgesamt hat das Bistum nach eigenen Angaben für Baumaßnahmen im Haushalt 63 Millionen Euro eingeplant, in den Vorjahren waren es etwa ebenso viel. Dazu kommen allerdings noch Eigenmittel der Kirchenstiftungen und öffentliche Zuschüsse, summa summarum also etwa 100 Millionen Euro.

Pfarrer Markus Gottswinter mag sich noch gar nicht ausmalen, wie die Sanierung ablaufen soll. "Die Kirche darf nicht schließen, sie muss in Teilen benutzbar bleiben", mahnt er. Die Gläubigen, so zeigt er sich überzeugt, würden sich zu einem anderen Gotteshaus hin orientieren - und weg bleiben. "Dann kann man gleich ein Museum aus der Kirche machen." Das könnte jetzt wieder ohnmächtig klingen, würde sich der agile Geistliche nicht wieder mit hintergründigem Humor aufmuntern. Er deutet auf den Taufstein in der Seitenkapelle, 1840 von Anselm Sickinger geschaffen. "Unsere Berührungsreliquie", sagt er und erklärt: Hier sei der ehemalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß getauft worden.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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