Wo die Stadt zu Ende ist (1): Schwarzhölzl:Kahle Kiefern und beinharte Sportler

Im Sommer drängen sich die Besucher - doch im Februar haben Spaziergänger das Naturschutzgebiet Schwarzhölzl nahezu für sich allein.

Günther Knoll

Hier hat die Landeshauptstadt ihren nördlichsten Punkt: Ihn an diesem grau verhangenen Februarvormittag mit "Münchens Sibirien" zu assoziieren, hat nicht nur mit der Kälte zu tun, die hartnäckig in den Körper dringt und so klamme Finger verursacht, dass es schwer fällt, die handschriftlichen Notizen im Nachhinein zu entziffern. Auch wenn kein Schnee mehr liegt und jegliches Eis geschmolzen ist: Die Schilder, die am Rand der Münchner Ruderregatta-Strecke das Betreten der Eisfläche verbieten, sind noch nicht abmontiert. Vorsorglich?

Wo die Stadt zu Ende ist (1): Schwarzhölzl: Stockenten und Graugänse fühlen sich ungeachtet der nasskalten Witterung wohl auf den Wasserflächen im Naturschutzgebiet Schwarzhölzl. Ansonsten ist es im Winter Niemandsland - nur auf der Regattastrecke trainieren wetterfeste Ruderer.

Stockenten und Graugänse fühlen sich ungeachtet der nasskalten Witterung wohl auf den Wasserflächen im Naturschutzgebiet Schwarzhölzl. Ansonsten ist es im Winter Niemandsland - nur auf der Regattastrecke trainieren wetterfeste Ruderer.

(Foto: LKN)

Jedenfalls passen die zwei Huskys, die eine Frau auf der Ostseite spazieren führt, ins Bild. Genauso wie der Inline-Skater, der mit Unterstützung zweier Stöcke einsam seine Runden um das Regattabecken dreht, als täte er das auf Langlaufskiern. Dazu die Saatkrähenschwärme und als Kulisse im Westen die Kiefern des Schwarzhölzls - das brettlebene Niemandsland zwischen Feldmoching, Karlsfeld und Oberschleißheim könnte an diesem Tag glatt als Taiga durchgehen.

Die beinharten Sportler, die den frostig-nebligen Vormittag zum Training auf dem Wasser nutzen, ficht das alles offenbar nicht an: Die Sportlicheren tragen nicht einmal Handschuhe und Mütze, wie sie da so vom Zielbereich im Nordosten kommend das ruhige Wasser mit präzisen Ruder- oder Paddelschlägen zerschneiden, um dann im diesigen Grau in Richtung Start zu verschwinden. Erstaunlich schnell tauchen sie bald daraus wieder auf, beharrlich arbeitend. Die Einer sind in der Mehrzahl an diesem Tag - man muss wohl doch Individualist sein, um Wassersport im Freien bei solchen Bedingungen genießen zu können; dass der größere Teil der Sportler derzeit das Trockentraining am Ruder-Ergometer vorzieht, ist nur allzu verständlich.

Auch unter den Anglern gibt es offenbar eine Schlechtwetter-Fraktion: Zwei davon stehen im Startbereich und warten, dass etwas anbeißt. Der Verein Isarfischer hat die Regattastrecke gepachtet und dort auch allerlei ausgesetzt, Saiblinge und Bachforellen etwa, erklärt einer der beiden Fischer. Die Frage, ob denn die bei relativ wenig Ruderbetrieb besser beißen, als wenn die ganze Flotte unterwegs sei, erscheint ihm offensichtlich sehr laienhaft. Derzeit sei wenig zu holen, bedeutet er wortkarg, im Sommer sei die Fangquote wesentlich besser. Aber dennoch: Er sei nicht nur da, um die frische Luft zu genießen, sondern insgeheim hoffe er schon auf einen großen Fang. Und wirft den Blinker wieder aus.

Das geduldige, aber vergebliche Warten der Angler fügt sich ein in die Monotonie der Umgebung. Alles ist flach, die Felder sind abgeerntet, die kahlen Pappeln an ihren Säumen vermögen der Landschaft keine Struktur zu geben. Man kann sich gut vorstellen, dass das alles einst ein einziges großes Moor war, das Dachauer Moos erstreckte sich von Aubing über Karlsfeld bis nach Freising. Heute wird die Gegend intensiv landwirtschaftlich genutzt, nur noch Reste der alten Moore sind vorhanden.

Als besonders wertvoll gilt nicht nur bei Münchens Naturschützern das Schwarzhölzl, obwohl es genau genommen ein Biotop aus zweiter, wenn nicht gar dritter Hand ist. Die dunklen Kiefern, die dem kleinen Waldstück westlich der Ruderregatta den Namen gaben, gehörten jedenfalls nicht zur ursprünglichen Vegetation. Mit dem Bau des Würmkanals von Karlsfeld nach Schleißheim, mit dem die Wasserspiele des Schlosses gespeist werden sollten, veränderte der Mensch um 1690 erstmals die Natur rund um das Schwarzhölzl.

Doch noch weit nach 1700 blieb ein intaktes kleines Niedermoor mit Pfeifengraswiesen und eingestreuten Hochmoorflächen. Damit war es vorbei, als - um den großen Durst zu löschen - etwa um 1800 systematisch Torf abgebaut wurde. Den nutzten die großen Münchner Brauereien damals als billiges Brennmaterial für ihre Sudhäuser. Der Grundwasserspiegel sank, die Streumahd wurde aufgegeben, so siedelten sich die ersten Gehölze im Moor an: Jungkiefern aus den Flugsamen einzeln stehender Bäume. Förster förderten diese Entwicklung mit gezielten Pflanzungen, der Grundstock für das Schwarzhölzl war gelegt. 1913 wurde es erstmals als Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Herausforderung für Mountainbiker

Noch 1921 schwärmte der große bayerische Ornithologe Walter Wüst von der Vogelwelt, von Brachvögeln, Kiebitzen, Sumpfohreulen und Birkwild. Doch da lag das Moor in seinen letzten Zügen. Französische Kriegsgefangene hatten 1915 im Auftrag des benachbarten Gutes Badersfeld den Kalterbach begradigt und tiefer gelegt. Das Grundwasser war daraufhin dramatisch abgesunken, der ursprüngliche Moor-Charakter ging langsam, aber sicher verloren, und mit ihm der Schutzstatus. Als Wüst nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Kindern das Schwarzhölzl zeigte, wurde er bitter enttäuscht: Ihm bot sich nach eigener Beschreibung "die trostlose Monotonie moderner Landwirtschaft und Technik".

Der inzwischen verstorbene Josef Koller - einer von Wüsts umtriebigen Epigonen und in Karlsfeld am westlichen Rand des Schwarzhölzls groß geworden - setzte alles daran, das Gebiet mit seiner immer noch bemerkenswerten Flora und Fauna zu retten, und er fand Mitstreiter. Zuerst freilich nur unter ehrenamtlichen Naturschützern. Denn als Koller 1965 vorschlug, den Naturschutz-Status wieder herzustellen, da wollten die Behörden und Politiker nichts davon wissen.

Man hatte Großes vor mit dem Gebiet: Für die Olympischen Spiele 1972 in München musste eine Ruderregatta-Strecke her. Dieser schwer wiegende Eingriff ließ den Grundwasserspiegel im äußersten Norden der Stadt noch einmal um zwei Meter fallen. Aber er bescherte auch eine neue Attraktion: den Schwarzhölzlberg. Eine Erhebung, die geomorphologisch so gar nicht in die Landschaft passen will, geschaffen und modelliert aus dem Aushub für Regattastrecke und -see.

Dann folgte, was manche Ökologen strikt ablehnen: Mit Mähgut von der Garchinger Heide und vom Lochhauser Sandberg, dazu Pflanzen, die Koller vor dem Bau des Allacher Rangierbahnhofs rettete, schuf man am Schwarzhölzlberg ein neues Biotop, in dem viele seltene Pflanzen blühen. Ähnlich verfuhr man auch mit den Resten der Streuwiesen in dem Areal. So finden sich im Frühjahr und im Frühsommer unschwer hunderte blauer Schwertlilien, Orchideen, Trollblumen, sogar Sumpfgladiole, Golddistel und Gekielter Lauch sind hier zu Hause.

Koller verteidigte diese Arbeit stets damit, dass er das Artensterben im Schwarzhölzl von Jugend an mitverfolgt habe, jetzt sei man eben bemüht, diesem einzigartigen Gebiet wieder etwas zurückzugeben. Dabei erfuhr er viel Unterstützung nicht nur von anderen Naturschützern, sondern vor allem von seiner Heimatgemeinde Karlsfeld. Obwohl das Schwarzhölzl genau genommen voll auf Münchner Gebiet liegt, fühlen sich die Karlsfelder dafür verantwortlich.

1994 wurde das Gebiet auf Betreiben der Regierung von Oberbayern erneut unter Naturschutz gestellt. Und das ist wichtig: Denn was dort früher Wirtschaft und Landwirtschaft für die Natur bedeuteten, das ist heute die Naherholung. An schönen Sommertagen drängen sich die Menschen am Ufer des Regattasees, umrunden Radler und Skater die Regattastrecke.

Und nicht wenige von ihnen wollen mit der Natur allein sein oder suchen sich neue Wege: So ist der Schwarzhölzlberg für Mountainbiker die einzige Herausforderung weit und breit, Jogger nutzen abgelegene Pfade, Hunde laufen frei herum, sogar Lagerfeuer werden entzündet, wie der Landesbund für Vogelschutz festgestellt hat.

Jetzt im Februar kann man sich das kaum vorstellen: ein einsamer Silberreiher auf einem abgeernteten Maisfeld, zwei Rehe, die sofort fliehen und nur noch ihre Lichter sehen lassen, ein Schwarzspecht, der wegfliegt, dann aber doch seinen charakteristischen Ruf ertönen lässt - mehr nicht. Da ist jeder Hund, der einem auf den Wegen rund um das Schwarzhölzl entgegenkommt, schon eine Abwechslung.

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